Bellinzonas Beizer bibbern um ihre Zukunft!
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Coronakrise in der Burgenstadt:Bellinzonas Beizer bibbern um ihre Zukunft!

Ausgerechnet die Tessiner Hauptstadt hat nichts vom Touristen-Ansturm
Bellinzonas Beizer bibbern um ihre Zukunft!

Während die Grotti in den Touristenhochburgen überrannt werden, herrscht in den Schankräumen der Tessiner Hauptstadt gähnende Leere. 80 bis 90 Prozent der Lokale würden eine zweite Corona-Welle nicht überleben, sagt Luca Merlo (50), Präsident von Gastro Bellinzona.
Publiziert: 21.08.2020 um 23:10 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2020 um 07:25 Uhr
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Die Burgenstadt Bellinzona ist trotz Prachtaussicht wegen Corona wie ausgestorben.
Foto: mauritius images / enricocacciafotografie
Myrte Müller

Man habe die Uhr nach ihnen stellen können, sagt Michele Gabuzzi (46). «Jeden Morgen Punkt 9 Uhr kamen die ersten Gäste», erzählt der Wirt vom L'Incontro vis-à-vis des Regierungspalastes, «Beamte, Politiker, Verwaltungsangestellte, Büroleute.» Sie nahmen ihren Morgenkaffee und ein Brioche. Gegen 12 Uhr folgte das Zmittag, gegen 16 Uhr der Feierabend-Drink.

Auch heute stuhlt der gebürtige Bellenzer auf die Piazza della Foca. Doch die Tische bleiben meist unbesetzt. Die Stammkundschaft bleibt weg. «Wegen Corona arbeiten die Leute nun im Homeoffice. Wer heute ins Büro kommt, bringt sein Essen von zu Hause mit, auch weil viele Arbeitgeber das Auswärtsessen ihrer Angestellten missbilligen», sagt Michele Gabuzzi. In seinem Lokal seien die Einnahmen um 40 Prozent eingebrochen.

Traurig blickt der Wirt auf den Gäste-Boom der Grotti und See-Lokale (BLICK berichtete). «Trotz seiner Castelli ist Bellinzona nie ein Touristenmagnet geworden», sagt Michele Gabuzzi.

«Von einem Tag auf den anderen war alles vorbei»

Zwei Häuser weiter steht Teresa Caputo (49) in ihrem leeren Ristorante Giardino. Die Terrasse im Hof mit Blick auf einen Eckturm des Castelgrande ist ebenso verwaist. Noch Ende Februar, im Karneval Rabadan, brummte ihr Laden. «Wir hatten viele Guggen-Gruppen von 50 bis 60 Mann», erzählt die Wirtin mit Wehmut. Dann kamen die Corona-Nachrichten aus der Lombardei. «Von einem Tag auf den anderen war alles vorbei», erinnert sich Teresa.

Der Sommer sei generell keine Hochsaison für Bellinzona, sagt Caputo weiter. Bereits im Herbst habe aber das Geschäft wieder angezogen. Dank der vielen Volksfeste. Doch dieses Jahr wird es kein Winzerfest geben, keinen Käsemarkt, kein Piazza Blues Festival. Auch das geplante Burgen-Jubiläum, bei dem alle Restaurants mittelalterliche Gerichte auftischen wollten, ist bis auf weiteres verschoben.

Vor einigen Tagen schockte die nächste Hiobsbotschaft. Das Tessin verzichtet auf den nächsten Karneval. «Diese fünf bis sechs Tage sicherten uns zehn Prozent der Jahreseinnahmen», sagt Teresa. An einen zweiten Lockdown kann und will sie nicht glauben. «Mein Mann und ich haben unsere Seelen ins Geschäft gesteckt. Wir werden mit all unserer Kraft darum kämpfen.»

Zweiter Lockdown würde auch Lieferketten schwer treffen

Zweifel und Angst quälen auch Patrizia Rinaldi (63) am Hang oberhalb des Bahnhofs. «Die Leute trauen sich nicht ins Lokal, auch die Stammgäste nicht. Alle fürchten eine Corona-Ansteckung», sagt die Wirtin des Penalty. Und nur von der Terrasse könne ihre Osteria nicht leben. Die Krise raube ihr den Schlaf. Rinaldi erwägt die Frühpensionierung.

Sie wäre nicht die Einzige, die aufgibt. «Ich bin von Natur aus optimistisch», sagt Luca Merlo (50), «aber heute mache ich mir Sorgen.» Der Wirt der Locanda Marco ist Präsident von Gastro Bellinzona und kennt die Nöte der Kollegen. «Wenn es tatsächlich zu einem zweiten Lockdown käme, dann würden hier 80 bis 90 Prozent das Handtuch werfen.» Bellinzona bleibe dann nicht nur ohne Gastronomie, «es wird auch ganze Lieferketten, darunter Metzger, Käser und Winzer, in Not bringen.»

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