Freitag, 17 Uhr, Bahnhof Chiasso TI. Ein Schweizer Grenzwächter greift sich mein iPad und löscht Notizen. Er sagt: «Sie brauchen eine Bewilligung, um zu berichten.»
Im Tessin liegen die Nerven blank. Die Regierung will die Grenze für Migranten schliessen, Grenzwächter untergraben die Pressefreiheit, behindern Journalisten bei der Arbeit.
Zusammen mit Fotograf Pascal Mora besteige ich um 16.10 Uhr den Regionalzug Mailand–Chiasso. Wir sprechen vier Eritreer an, weisen uns als Reporter aus. Sie alle zahlten Schleppern je 5500 US-Dollar für eine Odyssee von Eritrea über den Sudan, Libyen, das Mittelmeer und Mailand bis nach Chiasso. Sie verliessen ihr Land, «weil wir keine Demokratie haben», sagt Geburtshelfer Fasha (25). In der Schweiz suche er «ein besseres Leben».
Der Zug hält in Chiasso. «Ist das die Schweiz?», fragt Fasha. Er strahlt. Grenzwächter stoppen alle dunkelhäutigen Passagiere. «Pässe zeigen!», ruft einer. 17 Personen haben keinen Pass. Unter ihnen Fasha und seine Kollegen. Die Grenzwächter stellen sie in einer Reihe auf.
Was ich sehe und höre, notiere ich auf dem iPad. Mora fotografiert, ohne Gesichter der Beamten abzubilden. Wir sprechen einen Grenzwächter an, identifizieren uns, zeigen Ausweise, schildern unsere Absicht. Und fragen: «Können wir bei der Befragung der Migranten dabei sein?» Der Beamte ruft einen Vorgesetzten an, legt auf und sagt: «Die Situation ist dramatisch.» Er erzählt, was mit den Menschen, die ohne Pass in Chiasso ankommen, geschieht: «Es gibt Wochenenden mit 300 Migranten. Im Schnitt sind es 60 pro Tag. Wir befragen sie, nehmen Personalien auf, prüfen, ob sie bewaffnet sind.» Letzte Woche, sagt der Beamte, sei einer mit einer Pistole eingereist. Jeder Zug aus Italien werde kontrolliert. Der Vorgesetzte erscheint. «Haben Sie eine Bewilligung?», fragt er aggressiv. «Nein.» – «Dann dürfen Sie hier nichts machen.» – «Wir beobachten nur.» – «Geht nicht.»
Der zuvor redselige Grenzer nimmt mein iPad, löscht Notizen. «Stopp»-Rufe ignoriert er.
Gestern informierte BLICK das Grenzwachtkorps. «Wir werden den Vorfall disziplinarisch untersuchen», sagt Sprecher Attila Lardori. «Sollte sich das Vorgehen so, wie von Ihnen geschildert, ereignet haben, war das nicht korrekt.» Zum Schutz der Beamten brauche es eine Bewilligung für Bild- und Tonaufnahmen. Das sei «präventiv» und «nicht gegen die Pressefreiheit an sich gerichtet», sagt er. «Es ist jedoch nicht gestattet, Bilder oder Notizen zu löschen.»