Kampagne gegen häusliche Gewalt an Männern
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Von der Fachstelle Bern:Kampagne gegen häusliche Gewalt an Männern

Tabuthema häusliche Gewalt gegen Männer
«Sie schlug mich auch vor den Kindern»

Es ist ein grosses Tabuthema. Nur wenige haben den Mut und die Kraft, darüber zu sprechen: häusliche Gewalt von Frauen an Männern. Andreas B.* (36) war einer von ihnen. Im BLICK erzählt er seine Geschichte.
Publiziert: 10.11.2018 um 01:23 Uhr
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Aktualisiert: 14.11.2018 um 22:58 Uhr
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Andreas B.* erzählt, wie ihn seine Frau biss oder ihm Veilchen verpasste. Er selbst habe nie zugeschlagen, sagt er.
Foto: STEFAN BOHRER
Céline Trachsel

Er habe sich wie der Frosch im Kochtopf gefühlt. Bei dem der Koch langsam, aber sicher das Wasser erhitzt. Mit diesem Bild vergleicht Andreas B.* (36) seine jahrelangen Qualen. Er ist das Opfer seiner eigenen Frau: «Am Anfang der Beziehung zeigte sich bloss, dass sie nicht konfliktfähig war.» Doch als das erste Kind vor vier Jahren und später noch ein zweites zur Welt kam, gipfelte die Überforderung seiner Ehefrau in purer Gewalt.

Sie schlug ihn grün und blau – mehr als hundert Mal: «Sie zielte oft gegen den Kopf, wo es nicht gut sichtbare Beulen gab. Manchmal schlug sie auch ins Gesicht oder gegen Hals und Arme, so dass ich Blutergüsse oder blaue Augen hatte.» Andreas B. schämt sich, erfindet im Geschäft Ausreden für seine Verletzungen. Für ihn besonders schlimm: «Sie biss und schlug mich vor den Kindern.»

Zurückgeschlagen hat er nie: «Ich hasse Gewalt und wollte mir nichts zuschulden kommen lassen.» Aus Angst, bei einer Trennung seine Kinder zu verlieren, nahm er alles klaglos hin. Auch habe seine Frau gedroht, ihn mit Falschanzeigen ins Gefängnis zu bringen – etwa wegen Kindsmissbrauchs. Andreas B. dazu: «Sie setzte massiv Druck auf, damit alles nach ihr lief.»

Er bleibt – seine Hoffnung stirbt zuletzt

Lange hatte er gehofft, es würde sich bessern: «Ich wusste, dass die Beziehung ungesund war. Aber ich dachte, sie mache das nur, weil sie unglücklich ist. Deshalb bezahlte ich ihr jahrelang eine Weiterbildung und die Kinderbetreuung.» Doch nichts ändert sich: «Sie drohte, sie würde mich mit den Kindern verlassen und mich finanziell ausbluten lassen, bis ich verarmt sterbe.»

Der Mittdreissiger braucht viele Anläufe, bis er der Gewaltspirale entkommt: «Ich begann, die Verletzungen zu fotografieren. Dann, als sie mich wieder mal aussperrte, rief ich erstmals die Polizei.»

Der Streit eskalierte damals, weil die Frau das ältere Kind an den Ohren gezogen hatte. «Ich sagte, sie solle es nicht anrühren, dann schlug sie mich mit einer Wasserflasche. Obwohl ich sogar noch das Baby auf dem Arm hatte!»

Freund eingeweiht, Opferhilfe beigezogen

Andreas B. hadert. Nach einer weiteren Eskalation weiht er dann doch seinen besten Freund ein. Ein Osterwochenende steht an: «An Karfreitag schlug sie erneut zu und sperrte mich wieder aus.» Zu viel. Es folgen vier Tage mit Interventionen der Psychiatrischen Dienste, der Polizei und ein Gespräch bei der Kesb. Andreas B. kehrt dennoch nach Hause zurück: «Plötzlich ging sie unangekündigt eine Woche weg, um für ihr Studium zu lernen. Ich musste bei den Kindern bleiben, war aber noch in der Probezeit und verlor so meinen Job.»

Erst als er von der Opferhilfe, einer Anwältin und der Kesb Unterstützung erhält, wird er mit den Kindern in ein Heim gebracht, wo er mehrere Monate wohnen kann. «Ich war froh, dass nun Drittpersonen beurteilen konnten, wie ich es mit den Kindern mache. Denn ich hatte ja immer noch Angst vor den Falschanzeigen.»

Er kann immer noch alles verlieren

Kurze Zeit später findet er einen neuen Job und eine Wohnung. Andreas B. arbeitet heute 40 Prozent, betreut den Rest der Zeit die Kinder: «Ich lebe am Existenzminimum, aber es geht. Denn ich fühle mich endlich frei und habe auch wieder ein soziales Umfeld aufgebaut.»

Unterdessen wurde ein Eheschutzverfahren eingeleitet. Die Obhut teilen sich Vater und Mutter derzeit zur Hälfte: «Damit hadere ich allerdings. Obwohl sie gewalttätig war und immer wieder die Obhutsregeln verletzte, bekommt sie zur Hälfte die Kinder. Das verstehe ich nicht.» Weil die Übergaben ohne Familienbegleiter nicht klappen würden, ist die Lösung nur temporär. Demnächst entscheidet ein Richter, ob Andreas B. die Obhut für seine Kinder erhält oder nicht. Er weiss: «Ich kann immer noch alles verlieren, das belastet mich sehr.»

* Name geändert

Jedes 5. Opfer ist ein Mann

Sie beissen, schlagen, diffamieren, zerschneiden Kleider und schimpfen. Aggressive Frauen können ihren Männern furchtbar zusetzen. In der Polizeistatistik waren letztes Jahr bei der häuslichen Gewalt 7059 Männer (75,7 Prozent) als Täter aufgeführt – und 2263 Frauen (24,3 Prozent).

Bei der Berner Fachstelle Häusliche Gewalt meldeten sich 2017 von 257 Fällen 14 männliche Opfer, 50 weitere wendeten in der Beziehung gegenseitige Gewalt an, waren also Opfer und Täter zugleich. Jedes fünfte Opfer von häuslicher Gewalt ist laut dem Berner Amt für Erwachsenen- und Kinderschutz (EKS) ein Mann. «Die Dunkelziffer dürfte aber höher sein», sagt EKS-Leiterin Ester Meier.

Um mehr Männer zu motivieren, sich Hilfe zu suchen, lanciert die Stadt Bern nun eine gezielte Plakatkampagne. Es zeigt ein verdroschenes Männchen. Die körperliche Schäden sind das eine, auch das psychische Leid sei nicht zu unterschätzen. Denn Meier weiss: «Häufig haben Männer Angst, Kinder und viel Geld zu verlieren.» Céline Trachsel

Sie beissen, schlagen, diffamieren, zerschneiden Kleider und schimpfen. Aggressive Frauen können ihren Männern furchtbar zusetzen. In der Polizeistatistik waren letztes Jahr bei der häuslichen Gewalt 7059 Männer (75,7 Prozent) als Täter aufgeführt – und 2263 Frauen (24,3 Prozent).

Bei der Berner Fachstelle Häusliche Gewalt meldeten sich 2017 von 257 Fällen 14 männliche Opfer, 50 weitere wendeten in der Beziehung gegenseitige Gewalt an, waren also Opfer und Täter zugleich. Jedes fünfte Opfer von häuslicher Gewalt ist laut dem Berner Amt für Erwachsenen- und Kinderschutz (EKS) ein Mann. «Die Dunkelziffer dürfte aber höher sein», sagt EKS-Leiterin Ester Meier.

Um mehr Männer zu motivieren, sich Hilfe zu suchen, lanciert die Stadt Bern nun eine gezielte Plakatkampagne. Es zeigt ein verdroschenes Männchen. Die körperliche Schäden sind das eine, auch das psychische Leid sei nicht zu unterschätzen. Denn Meier weiss: «Häufig haben Männer Angst, Kinder und viel Geld zu verlieren.» Céline Trachsel

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