Sie ist verführerisch schön – und gefährlich. Der Fluss Verzasca lockt mit smaragdgrünem Wasser, die geschwungene römische Brücke über ihr zum Sprung ins kalte Nass. Tausende zieht es jedes Jahr in das berühmte Tessiner Tal nahe dem Lago Maggiore (Blick berichtete). Doch immer wieder wird der Bergbach bei Lavertezzo TI zur tödlichen Falle.
Am Sonntag gegen 14.25 Uhr geht der Alarm bei Giorgio Manni (60) ein. «Eine Frau ist in der Strömung ertrunken», sagt der technische Kommissar der Sub Val Verzasca zu Blick. Er weiss: «Sie ist ins Becken gestiegen, wo es am tiefsten ist. Dort ist die Oberfläche glatt, aber darunter liegen tückische Strömungen.» Andere Badegäste hätten beobachtet, wie die gebürtige Thailänderin aus Luzern nach 200 Metern in der Gischt verschwand. Vor den Augen ihres entsetzten Sohnes (15).
Die Suche nach der Toten ist bislang erfolglos
Nur Minuten später treffen die Rettungsteams ein. «40 Kubikmeter Wasser pro Sekunde schossen durch das Flussbett wegen der vorangegangenen Regenfälle», sagt Giorgio Manni und fügt an: «Zehnmal mehr als sonst!» Die Rettungsmannschaften haben Mühe mit der Suche. An Tauchgänge ist bei der Strömung nicht zu denken. Ein Heli der Rega kreist über den Fluss, hält Ausschau nach der Ertrunkenen. Doch die Frau taucht nicht auf. Psychologen der Care-Teams betreuen unterdessen den unter Schock stehenden Jungen. Der Partner der Verschwundenen wird informiert. Er reist sofort an.
Die Suche ist erfolglos. Auch am Tag darauf. Der Helikopter seilt Rettungskräfte auf Felsen im Flussbett ab. Von dort werden Stahlseile gezogen, über die sich die Männer durch die Fluten hangeln. «Bis wir die Leiche finden, können Tage vergehen», sagt Marcel Luraschi (51), Chef der kantonalen Wasserpolizei. In 30 Jahren war der Polizist an 500 Einsätzen im Tessin beteiligt. 300 Tote habe er aus dem Wasser gezogen. Auch die Tücken der Verzasca kennt er gut.
Badegäste ignorieren die Warntafeln
«Bei einer solchen Strömung hat man keine Chance», so Luraschi weiter. «Es geht sehr schnell.» Die Strömung ziehe das Opfer in die Mitte des Flusses. Nach einer Minute sei die Frau ertrunken, der Körper unter einen Felsen gespült, wo er nun feststecke, vermutet der Einsatzleiter.
«Wir haben Hunderte Warntafeln in vier Sprachen im gesamten Kanton aufgestellt», sagt Boris Donda (57). «Schon am Anfang der Verzascatals stehen welche. Doch sie werden von vielen Badegästen ignoriert.» Der Tessiner ist Präsident der Sensibilisierungskampagne «Acque sicure». Am Tag des Unglücks sei eine Aufklärungspatrouille an der Badestelle gewesen und habe vor der Gefahr gewarnt. Donda konsterniert: «Einige Touristen antworteten ihnen, es sei kein Problem, sie könnten ja schwimmen.»