Gemächlich plätschert der Rheinfall vor sich hin. Die Trockenheit der letzten Wochen macht sich auch beim mächtigsten Wasserfall Kontinentaleuropas bemerkbar. Nichtsdestotrotz plant die kantonale Regierung aktuell ein neues Kraftwerk am Rheinfall, das die herabströmende Wassermenge drastisch verringern würde. Nicht ohne Grund, denn der Stromhunger des Kantons Schaffhausen wird in Zukunft deutlich ansteigen.
Der Hauptgrund für diesen Anstieg befindet sich keine drei Kilometer Luftlinie vom Schaffhauser Touristenmagnet entfernt. Eine riesige Baugrube klafft zurzeit im Industriegebiet der Gemeinde Beringen. Auf 8000 Quadratmetern entsteht dort eine sogenannte Serverfarm, die bei Vollleistung künftig rund 350 Gigawattstunden Strom pro Jahr verbrauchen wird. Zum Vergleich: Der Stromverbrauch des gesamten Kantons Schaffhausen belief sich 2020 auf 481 Gigawattstunden.
Serverzentrum braucht drei Viertel des kantonalen Strombedarfs
Die Ansiedelung des Serverzentrums geschah in aller Stille. «Es gab kaum öffentliche Informationen zu diesem Bauvorhaben, weshalb ich mit einer Kleinen Anfrage aktiv geworden bin», sagt SP-Kantonsrätin Eva Neumann. Dass man einen Stromfresser, wie das geplante Serverzentrum, willkommen heisst, während man über den Rheinfall als Energielieferant nachdenkt, stösst der Beringerin sauer auf: «Für mich ist es unvorstellbar, einen grossen Teil unseres Naturdenkmals für die Stromproduktion zu opfern – vor allem, da das Potenzial alternativer Energieformen noch nicht ausgeschöpft ist», so Neumann.
Auch das Tempo, mit dem das Projekt vorangetrieben wurde, machte Neumann stutzig. Von der Einreichung des Baugesuchs bis zur Erteilung der Baubewilligung vergingen genau 100 Tage. «Jede Scheune muss normalerweise länger auf eine Bewilligung warten. Angesichts der Dimensionen und des Stromhungers dieser Serverfarm ist das für mich völlig unverständlich», sagt sie.
Mehr noch: Dem Rechenzentrum wurden keinerlei Umweltauflagen gemacht, obwohl die geplante Serverfarm zukünftig die Energie von 88 Gigawattstunden Strom völlig ungenutzt als Abwärme in den Beringer Himmel blasen würde. Bei voller Belastung des Rechenzentrums könnten damit laut Regierung rund 12 Prozent der Haushalte im Kanton beheizt werden.
Verbrauch:
Eine aktuelle Studie, die im Auftrag von «Energie Schweiz» durchgeführt wurde, schätzt den Stromverbrauch aller Schweizer Rechenzentren und Serverräume für das Jahr 2019 auf 2,1 Terawattstunden (TWh) oder auf 3,6 Prozent des gesamten Schweizer Stromverbrauchs. Fast ein Fünftel (19 Prozent) mehr als 2013. Dies entspricht einem Viertel der Jahresproduktion des Kernkraftwerks Gösgen.
Vergleich:
Laut einer Erhebung des Verbandes schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) wurden im Jahr 2021 8,3 Prozent des Schweizer Stroms für den gesamten öffentlichen Verkehr gebraucht.
Entwicklung:
Die Studien-Autoren rechnen für die nächsten Jahre, trotz Effizienzsteigerung, mit einem weiteren Anstieg des Stromverbrauchs der Rechenzentren. Er könne sogar bis auf 4 TWh ansteigen. Grund dafür sei die voranschreitende Digitalisierung.
Lichtblick:
Gemäss Studie könnten durch Energieeffizienzmassnahmen rund 46 Prozent des heutigen Stromverbrauchs der Rechenzentren eingespart werden.
Verbrauch:
Eine aktuelle Studie, die im Auftrag von «Energie Schweiz» durchgeführt wurde, schätzt den Stromverbrauch aller Schweizer Rechenzentren und Serverräume für das Jahr 2019 auf 2,1 Terawattstunden (TWh) oder auf 3,6 Prozent des gesamten Schweizer Stromverbrauchs. Fast ein Fünftel (19 Prozent) mehr als 2013. Dies entspricht einem Viertel der Jahresproduktion des Kernkraftwerks Gösgen.
Vergleich:
Laut einer Erhebung des Verbandes schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) wurden im Jahr 2021 8,3 Prozent des Schweizer Stroms für den gesamten öffentlichen Verkehr gebraucht.
Entwicklung:
Die Studien-Autoren rechnen für die nächsten Jahre, trotz Effizienzsteigerung, mit einem weiteren Anstieg des Stromverbrauchs der Rechenzentren. Er könne sogar bis auf 4 TWh ansteigen. Grund dafür sei die voranschreitende Digitalisierung.
Lichtblick:
Gemäss Studie könnten durch Energieeffizienzmassnahmen rund 46 Prozent des heutigen Stromverbrauchs der Rechenzentren eingespart werden.
Digitaler Wildwest: Gesetze fehlen
Die Energieverschwendung ist möglich, weil noch immer konkrete gesetzgeberische Leitplanken fehlen: Für den «Gebäudetyp Rechenzentrum» sind zurzeit auf Bundesebene keine speziellen Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgesehen – trotz des bekannten Energiehungers. Es gibt für Datenzentren demnach beispielsweise kaum Energieeffizienzauflagen und keine Verpflichtung, ungenutzte Abwärme wieder in den öffentlichen Energiekreislauf zu speisen. Die Bundespolitik hinkt dem technologischen Fortschritt hinterher. Das sieht die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz ähnlich: «Das ist tatsächlich ein Mangel. Datenzentren schiessen zurzeit wie Pilze aus dem Boden und verbrauchen unheimlich viel Strom. Der Bund ist hier in der Pflicht, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Aber ich habe Hinweise darauf, dass der Bund hier bald eine Verordnungsänderung prüft.»
Um abzuklären, ob die zu erwartende Abwärme des Serverzentrums doch noch irgendwie genutzt werden kann, hat der Kanton immerhin eine Machbarkeitsstudie dazu in Auftrag gegeben. 52’000 Franken kostet die – zahlen muss das nicht die Firma Stack Infrastructure, sondern der Steuerzahler. Laut mehreren Quellen liegt diese Studie bereits seit Ende des letzten Jahres vor. Auf Blick-Anfrage stellt das kantonale Baudepartement deren Veröffentlichung noch im Monat März in Aussicht.
Im konkreten Fall wird das Nutzen der Abwärme aber nicht so einfach, wie Eva Neumann betont: «Es gibt am Bauort kein Fernwärmenetz. Wohin also mit der Abwärme?» Skeptisch äussert sich auch Martina Munz: «Die Kosten für eine Fernwärmeleitung zur Stadt Schaffhausen wären enorm, genauso wie der Wärmeverlust auf der langen Strecke. Ausserdem gibt es keine Garantie, dass das Datencenter in 5 Jahren noch steht.»
Thomas Diamantidis von Stack Infrastructure hingegen gibt sich auf Anfrage optimistisch, dass eine Lösung in der Abwärme-Frage gefunden wird: «In Oslo setzen wir erfolgreich ein Wärmewiederverwertungsprogramm um, das bis zu 5000 lokale Haushalte beheizt. Wir sind optimistisch, was die Möglichkeit in Schaffhausen angeht – aber wir brauchen einen Partner, mit dem wir zusammenarbeiten können.» Um den massiven Stromhunger des neuen Rechenzentrums zu stillen, wird direkt angrenzend an die Bauparzelle der Serverfarm zurzeit ein Unterwerk der Schaffhauser Elektrizitätswerke gebaut, damit die Serverfarm mit «genügend erneuerbarer Energie versorgt werden kann».
«Hände weg vom Rheinfall»
Das Vorhaben treibt Umweltschützern die Sorgenfalten auf die Stirn. In einem internen Positionspapier befürchtet die Gewässerschutzorganisation «Aqua Viva», dass der zusätzliche Bedarf an erneuerbarer Energie vom zu planenden Rheinfallkraftwerk gestillt werden könnte: «Es wäre höchst fragwürdig, einen Wasserfall von solcher Bedeutung (…) zu zerstören, wenn der zusätzliche Strom dann direkt von einem energieintensiven Industriezweig aufgebraucht wird, ohne dass Effizienzauflagen gemacht werden.»
Den Rheinfall mit einem zusätzlichen Kraftwerk noch weiter ausbeuten? Ein Sakrileg für den gebürtigen Schaffhauser Walter Leu (84). Der ehemalige Präsident der schweizerischen Verkehrszentrale (heute Schweiz Tourismus) äussert sich auf Blick-Anfrage deutlich: «Ob nun der Rheinfall als Energielieferant für den stromfressenden Moloch ‹Rechenzentrum Beringen› herhalten müsste oder für andere Zwecke kannibalisiert wird: Es wäre unredlich, Rheinfall-Besucherinnen und -Besuchern Geld aus der Tasche zu entlocken und ihnen als Gegenwert einen kastrierten Wasserfall vorzusetzen.»