BLICK: Ist die Rechtsprechung in der Schweiz zu lasch?
Martin Killias: Bedingte Urteile gibt es in der Schweiz generell so viele wie nirgends sonst in Europa. Auch bei Einbrüchen.
Seit 2012 sinken die Einbruchszahlen. Warum?
In den letzten Jahren hat ein Umdenken eingesetzt. Es werden mehr Urteile unter sechs Monaten unbedingt ausgesprochen, besonders gegenüber Einbrechern, die vom Ausland aus operieren.
Braucht es strengere Gesetze, oder reicht eine strengere Rechtsprechung?
Der Begriff «Einbruch» sollte analog dem Raub als eigene Kategorie im Strafgesetzbuch stehen. Das wäre sinnvoll. Neben dem finanziellen Schaden hat ein Wohnungseinbruch gravierende psychische Folgen und die Bewohner fühlen sich anschliessend in ihren eigenen vier Wänden nicht mehr sicher. Das rechtfertigt eine höhere Mindeststrafe.
In Deutschland wandern Einbrecher immer hinter Gitter. Woher kommt die mildere Rechtsprechung in der Schweiz?
Das geht auf Carl Stooss zurück. Er hat um 1890 im Auftrage des Bundesrates den ersten Entwurf des Strafgesetzbuchs ausgearbeitet. Für Stoss war die Resozialisierung der Täter ein zentrales Thema, es interessierte ihn mehr die Gefährlichkeit des Angeklagten als die konkreten Umstände eines Diebstahls. Im Gegensatz zu anderen Ländern Europas ist Einbruch in der Schweiz daher kein eigenständiges Delikt mit erhöhter Strafdrohung.
Zur Person
Martin Killias (69) ist an der Universität St. Gallen ständiger Gastprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie. An der HSW Luzern arbeitet er als Dozent für Kriminologie in Wirtschaftskriminalität. Dazu führt und besitzt er die Beratungsfirma Killias Research and Consulting. An der Universität Lausanne war er ordentlicher Professor für Kriminologie und Strafrecht, von 1986 bis 2006 stand er dem Institut für Kriminologie und Strafrecht vor. 1992 bis 1996 war er in Lausanne zudem Dekan der Juristischen Fakultät.