Strafrechtler Killias über die Freilassung von Angela Magdici
«Das ist fast schon eine Provokation!»

Gefängniswärterin Angela Magdici lässt einen verurteilten Vergewaltiger frei und flüchtet mit ihm. Doch dafür muss sie wohl nicht ins Gefängnis. Für Strafrechtsprofessor Martin Killias ein Systemfehler.
Publiziert: 03.05.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 18:00 Uhr
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«Keine Fluchtgefahr»: Angela Magdici am Freitag auf dem Balkon.
Foto: Philippe Rossier
Sascha Schmid

Angela Magdici (32) ist wieder frei. Am Freitag entschied das Zürcher Obergericht, dass die Fluchthelferin sofort aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss. Begründung: Angela muss wohl bloss mit einer bedingten Haftstrafe rechnen.

Tatsächlich ist das in Juristenkreisen unbestritten. Die Höchststrafe für das Entweichenlassen eines Gefangenen liegt zwar bei einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Doch für Angela gelten zahlreiche mildernde Umstände: Sie ist nicht vorbestraft, sie handelte nicht aus Arglist, sondern aus Liebe, sie ist einsichtig und reuig, sie hat sich selber geschadet und ihre Karriere zerstört und auf der Flucht gab es keine weiteren Delikte.

7 bis 8 Monate bedingt

Für Experten ist deshalb klar, dass sie das Gericht wohl zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 7 bis 8 Monaten verurteilen wird. Ins Gefängnis muss Magdici nicht. 

Viele BLICK-Leser können das nicht nachvollziehen. «Eine Ex Gefängniswärterin, die in ihrem Job einem Gefangenen zur Flucht verhilft, gehört in meinen Augen zwingend hinter Gitter», schreibt Leser Danilo Lindake.

Felix Saxer meint: «Die Gesetze machen aus Straftätigen, wie eben den Gefängnisausbrechern und dessen Helfern Unschuldslämmer.»

Der Strafrechtsprofessor und SP-Mitglied Martin Killias (68) kann diese Reaktionen verstehen und übt selber Kritik am Schweizer Justizsystem, wie er im Interview mit BLICK sagt:

Herr Killias, wieso muss Angela Magdici nicht ins Gefängnis, obwohl sie einen verurteilten Vergewaltiger freiliess?

Weil man in der Schweiz nur selten ins Gefängnis kommt.

Es gibt doch Straftäter, die eine unbedingte Gefängnisstrafe bekommen.

Ja, aber nur bei sehr schweren Verbrechen. Oder wenn jemand viele Vorstrafen hat. Solange man niemanden tötet, gibt es bei Ersttätern fast immer einen Bedingten.

Gibt es also zu selten Gefängnisstrafen?

Sagen wir es so: In keinem anderen Land in Europa gibt es so selten unbedingte Gefängnisstrafen wie in der Schweiz. Hier gibt es so etwas wie eine Garantie auf «bedingt».

Strafrechtsprofessor Martin Killias (68).
Foto: Keystone

Wieso ist das so?

Dahinter steckt jahrelange Überzeugungsarbeit, dass Gefängnisstrafen schädlich seien, obwohl das so nicht stimmt. Deshalb wird auf Teufel komm raus geschaut, dass niemand ins Gefängnis muss.

Und wer leistete diese Überzeugungsarbeit?

Am Anfang standen wir Strafrechtler, dann die bei uns ausgebildeten Anwälte und Richter.

Verstehen Sie also, dass viele Leute das mutmassliche Urteil für Magdici nicht verstehen?

Ja natürlich. Das ist fast schon eine Provokation und zeigt die Legitimitätskrise des Strafrechts.

Was wäre denn Ihrer Meinung nach eine gerechte Strafe für Angela Magdici?

Eine massvolle, aber unbedingte Strafe, zum Beispiel drei Monate Gefängnis. Das würden die Leute eher verstehen.

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