Die Hiobsbotschaften häufen sich. Die Spitäler im Tessin sind wegen des Coronavirus am Anschlag. Auch in Genf spitzt sich die Lage zu. In fast allen anderen Spitälern der Schweiz werden geplante Operationen auf unbestimmte Zeit verschoben. Wo es geht, werden mehr Betten, Beatmungsgeräte und Personal organisiert, Medikamente rationiert.
Die Angst geht um: Reicht die Kapazität der Schweizer Spitäler um Tausende Corona-Patienten stationär behandeln zu können? Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist besorgt: «Wir müssen unbedingt schauen, dass die Hospitalisationsraten der Angesteckten sinkt.»
Niemand hat damit gerechnet, dass das Schweizer Gesundheitssystem einen solchen Stresstest durchmachen muss. Umso merkwürdiger klingt heute das Programm des St. Galler Kantonsrats für die unterdessen abgesagte Frühlingssession. Dort hätte er nämlich das Aus von mindestens vier Spitälern beschliessen sollen. Auf der Kippe standen die Spitäler Wattwil, Rorschach, Flawil und Altstätten. Das ist Teil eines schweizweit angestrebten Sparprogramms im Gesundheitswesen.
Kleine Landspitäler standen vor dem Aus
Noch im Januar waren sich Experten wie Annamaria Müller (54) vom Kantonsspital Freiburg einig: In der Schweiz ist ein Drittel aller Spitäler überflüssig. Es brauche einen Kahlschlag. Am härtesten trifft die Abbaupläne den Kanton St. Gallen. Vier von neun Spitälern sollen hier geschlossen werden. Vor allem den kleinen Landspitälern droht das Aus.
Bloss, diese Planspiele wurden zu Vor-Corona-Zeiten gemacht. Gerade jetzt sind die Landspitäler, die in wenigen Jahren stillgelegt werden sollen, ein kostbares Gut geworden – und werden derzeit eiligst für Corona-Patienten hochgerüstet.
Für Monika Merki Frey (67), Expertin für Lösungen im Gesundheitswesen, ist darum klar: «Wären die kantonalen Sparpläne für die Regionalspitäler schon ein paar Jahre weiter vorangetrieben worden, hätten wir nun noch viel mehr zu kämpfen!» Das Schliessen von Akutspitälern in abgelegenen Regionen beschädige die medizinische Grundversorgung, sagt sie. Zeiten wie diese machen das besonders deutlich. Der Beitrag, den die Landspitäler in der medizinischen Grundversorgung leisten, könne jetzt während der Corona-Krise nicht hoch genug eingeschätzt werden, so die Expertin weiter.
Plötzlich ist man froh über die vielen Standorte
Auch Alois Gunzenreiner (48), Gemeindepräsident von Wattwil, sieht sich nach dem Ausbruch des Coronavirus bestätigt. Für ihn zeigt die aktuelle Corona-Krise: «Jetzt ist man froh, gibt es das Spital Wattwil und dessen Kapazitäten.» Man könne natürlich nicht das ganze Gesundheitssystem auf solche aussergewöhnliche Lagen ausrichten. Aber: «Zur medizinischen Grundversorgung muss auch gehören, dass solche Situationen gemeistert werden können. Der Taschenrechner alleine kann keine Antwort darauf geben, ob ein Spitalstandort Sinn ergibt – oder nicht», so der Gemeindepräsident weiter.
«Wir schliessen nicht sofort»
Ähnlich tönt es auch in Altstätten bei Stadtpräsident Ruedi Mattle (47): «Ich hoffe, dass allgemein ein Umdenken stattfindet und man zum Schluss kommt, dass dezentrale Spitäler helfen, flexibel auf solche Notlagen zu reagieren. Wir lernen alle viel in dieser aussergewöhnlichen Zeit – und ich hoffe, wir können auch für die Zukunft Lehren daraus ziehen.»
Gibts nun also ein Umdenken? Hört man den Befürwortern der rigorosen Sparpläne zu, dann eher nicht. «Die Corona-Krise darf die Spitaldebatte nicht dominieren», sagt der St. Galler FDP-Fraktionspräsident Beat Tinner (48) zum «Tagblatt». Auch SVP-Kantonsrat Michael Götte (40) zeigt sich unbeirrt: «Wenn das Parlament in diesem Frühjahr die Schliessung von Spitälern beschliesst, schliessen wir die Spitäler nicht mitten in der Corona-Krise.»
Spital-Schliessungen trotz Krise
Auch Annamaria Müller verteidigt ihre Aussage vom Januar, dass ein Drittel aller Spitäler in der Schweiz überflüssig sei. «Dieser Meinung bin ich auch heute noch. Natürlich befinden wir uns jetzt in einer nie da gewesenen Krise, und jetzt sind die Landspitäler, auf die ich mit dieser Aussage abgezielt hatte, hilfreich. Aber wir können nicht unser ganzes Gesundheitssystem auf solche Krisen ausrichten», so Müller zu BLICK. Vielmehr gehe es darum, künftig Strukturen zu schaffen, die es erlauben würden, Kapazitäten in solchen Lagen flexibel zu vergrössern.
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