Stammzellen der Tochter (7) plötzlich wertlos
Serbische Eltern fühlen sich von Schwyzer Cryo-Firma betrogen

Tatjana Peskir und ihr Mann Rastko Petakovic wollten das Beste für ihre Tochter Izabela (7). Doch sie vertrautem dem falschen Schweizer Unternehmen. Die dubiose Stammzellen-Bank Cryo-Save ist mittlerweile auch ein Fall für die Justiz.
Publiziert: 20.09.2019 um 23:26 Uhr
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Wollten alles mehr als richtig machen: Das serbische Ehepaar Rastko Petakovic (40) und Tatjana Peskir (35) liess Nabelschnurblut von seiner Tochter Izabela (7) einlagern. zvg
Foto: ZVG
Fabienne Kinzelmann

Als ihre Tochter Izabela geboren wird, treffen Tatjana Peskir (35) und ihr Mann Rastko Petakovic (40) eine folgenschwere Entscheidung: Sie lassen Nabelschnurblut einlagern. Die Stammzellen darin sollen das Neugeborene gegen schwere Krankheiten versichern. 

Die «biologische Lebensversicherung» wird das serbische Ehepaar Zeit kosten. Und Geld. Vor allem aber wird es die Gesundheit ihrer Tochter aufs Spiel setzen.

Denn das Schweizer Unternehmen Cryo-Save, das sie mit der Lagerung beauftragen, wird von Anfang an Standarduntersuchungen nicht einhalten, im Ernstfall nicht erreichbar sein – und schlussendlich sogar den Transport von Izabelas Stammzellen vermasseln.

Darum ist Nabelschnurblut so wertvoll

Die Medizin setzt grosse Hoffnungen in die Stammzellentherapie. Stammzellen aus Nabelschnurblut sind für die Medizin ein echter Schatz. Der Grund: Sie sind besonders flexibel einsetzbar. Denn ihre Endbestimmung ist noch nicht festgelegt. Je unreifer die Stammzellen sind, desto weniger festgelegt ist ihre Funktion. Aus diesen frühsten Stammzellen können sich ganz unterschiedliche Zellen entwickeln – zum Beispiel rote oder weisse Blutkörperchen, Muskel-, Nerven- oder Knochenzellen.

Die Medizin setzt grosse Hoffnungen in die Stammzellentherapie. Stammzellen aus Nabelschnurblut sind für die Medizin ein echter Schatz. Der Grund: Sie sind besonders flexibel einsetzbar. Denn ihre Endbestimmung ist noch nicht festgelegt. Je unreifer die Stammzellen sind, desto weniger festgelegt ist ihre Funktion. Aus diesen frühsten Stammzellen können sich ganz unterschiedliche Zellen entwickeln – zum Beispiel rote oder weisse Blutkörperchen, Muskel-, Nerven- oder Knochenzellen.

Doch das können Tatjana Peskir, die als Kind im Kanton St. Gallen lebte, und ihr Mann Rastko Petakovic, ein Anwalt, zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2012 nicht wissen. Sie vertrauen der Schwyzer Firma Cryo-Save. Die «Swissness» überzeugt das Belgrader Ehepaar. «Weil die Firma in der Schweiz registriert ist, dachten wir, dort sind die Stammzellen sicher», sagt Tatjana Peskir zu BLICK.

Cryo-Save ist zu diesem Zeitpunkt einer der sichtbarsten Player auf dem Markt der «biologischen Lebensversicherungen». Die Aufarbeitung und Einlagerung von Blutstammzellen von Babys für 25 Jahre kostet bis zu 4000 Franken. Das Geschäft boomt. Von Pfäffikon SZ und dem Genfer Vorort Plan-les-Ouates aus schliesst die Stammzellen-Bank Verträge mit 250'000 Familien in ganz Europa ab.

Hoffnung durch neue Behandlung 

Und das, obwohl die Stammzellentherapie noch in den Kinderschuhen steckt. Doch eine ganze Reihe klinischer Studien ist vielversprechend. Die aus dem Nabelschnurblut gewonnenen Stammzellen können möglicherweise Krebs und andere ernsthafte Krankheiten heilen.

Izabela hat eine autistische Störung. Ihr fällt es schwer, richtig zu kommunizieren und sich auf andere einzulassen. Ihre Eltern schicken sie bereits mit 18 Monaten zur Therapie. Plötzlich ein Hoffnungsschimmer: Eine klinische Studie der renommierten Duke University in den USA ist erfolgreich, Ärzte konnten Autismus mit Stammzellen therapieren.

Niemand erreichbar

Doch als das serbische Paar versucht, für die neue Therapiemethode an die eingelagerten Stammzellen von Izabela zu kommen, wird die «biologische Lebensversicherung» zur Nervenprobe. Es dauert Wochen, bis die Petakovics die Stammzellenbank überhaupt erreichen. Wertvolle Zeit, wenn ein Kind ernsthaft erkrankt. «Was, wenn meine Tochter Leukämie gehabt hätte?», sagt Tatjana Petakovic.

Für das Ehepaar beginnt eine Odyssee. Als Cryo-Save endlich die nötigen Unterlagen an die Duke University schickt, stellt sich heraus: Eine Voruntersuchung der Mutter auf Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis wurde vor Entnahme des Nabelschnurbluts nicht gemacht. Eigentlich eine Standardanalyse. Schlamperei? Das Ehepaar traut sich nicht, gegen den Schweizer Stammzellenbank vorzugehen. «Die hatten ja noch die Stammzellen meiner Tochter, und ich hatte Angst», so die Mutter.

Behälter nicht lange genug gekühlt 

Die Eltern betteln, bis die betreuenden Ärzte eine nachträgliche Analyse akzeptieren. Dennoch vergehen Monate, bis Cryo-Save die Stammzellen endlich in die USA schickt.

Doch der Transport geht schief. Sowohl am Flughafen JFK in New York wie auch bei der Zwischenstation in Atlanta bleibt die Lieferung laut einem internen Untersuchungsbericht liegen und verpasst die vorgesehenen Anschlussflüge, wie die «NZZ» berichtet. Weil der Behälter 98 statt 50 Stunden von Genf nach Durham unterwegs ist, kann er die notwendige Temperatur von –190 Grad nicht halten.

Stammzellen unbrauchbar

Rund anderthalb Jahre nach der ersten Kontaktaufnahme bekommt Tatjana Peskir im März 2019 die Nachricht, dass die Stammzellen zwar an der Duke angekommen – allerdings komplett zerstört sind. «Als ich das erfuhr, starrte ich nur noch an die Wand und weinte.»

Das Unternehmen beschuldigt den Kurier, doch es gibt Hinweise, dass Cryo-Save fahrlässig mit dem Nabelschnurblut umgegangen ist. Nicht nur mit Izabelas, sondern mit dem vieler Kinder besorgter Eltern. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat der Cryo-Save AG bereits Ende August die Lizenz entzogen.

Wo sind die 250'000 Blutproben?

Um die 250'000 Eltern aus ganz Europa haben Verträge mit Cryo-Save geschlossen. Doch das Unternehmen ist pleite, der CEO untergetaucht. Die Blutproben wurden laut Recherchen des serbischen «Blic» mittlerweile zu 98 Prozent nach Polen transportiert. Die Stammzellen-Bank FamiCord hat zugesagt, die Proben  fünf Jahre lagern. Allerdings fehlen notwendige Unterlagen. Betroffene Familien können bei FamiCord um eine Untersuchung bitten, um zu erfahren, ob ihre Proben in Polen sind – oder möglicherweise noch in den Händen von Cryo-Save.

Um die 250'000 Eltern aus ganz Europa haben Verträge mit Cryo-Save geschlossen. Doch das Unternehmen ist pleite, der CEO untergetaucht. Die Blutproben wurden laut Recherchen des serbischen «Blic» mittlerweile zu 98 Prozent nach Polen transportiert. Die Stammzellen-Bank FamiCord hat zugesagt, die Proben  fünf Jahre lagern. Allerdings fehlen notwendige Unterlagen. Betroffene Familien können bei FamiCord um eine Untersuchung bitten, um zu erfahren, ob ihre Proben in Polen sind – oder möglicherweise noch in den Händen von Cryo-Save.

Die Justiz ist der Stammzellenbank und ihrem mittlerweile untergetauchten CEO auf der Spur. Europaweit hatten sich Beschwerden über die dubiosen Geschäftspraktiken gehäuft. In der vergangenen Woche hat das BAG bei der Staatsanwaltschaft in Genf Strafanzeige wegen Verstoss gegen das Transplantationsgesetz eingereicht. 

«Endlich passiert etwas», sagt Rastko Petakovic erleichtert zu BLICK. Er ist gerade mit Izabela, mittlerweile sieben Jahre alt, auf dem Weg nach Ibiza. Ein Wochenendtrip, um sich von dem Trubel zu erholen, die Kleine freut sich bereits auf die Sonne.

Und für sie und ihre Eltern gibt es neue Hoffnung: Nach dem schweren Schicksalsschlag haben die Ärzte der Duke University alle Hebel in Bewegung gesetzt. Izabela wird die neue Autismus-Therapie doch noch bekommen können – dank einer passenden Stammzellenspende.

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