Stadt-Land-Konflikt wird grösser, aber...
Röstigraben verschwindet langsam

Bei nationalen Abstimmungen ist der Röstigraben seit bald zehn Jahren immer weniger auszumachen. Grund ist die Annäherung zwischen den grossen Schweizer Städten. Vor allem in der Deutschschweiz öffnet sich aber ein Graben zwischen Stadt und Land.
Publiziert: 08.11.2016 um 07:15 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 10:35 Uhr
Blick von der Kathedrale St. Pierre in Genf: Der Röstigraben, also die unterschiedliche Sicht auf politische Fragen in der Deutschweiz und in der Romandie, verschwindet in der Schweiz langsam. Das zeigt eine Studie der ETH Lausanne.
Foto: GAETAN BALLY

Bei nationalen Abstimmungen ist der Röstigraben seit bald zehn Jahren immer weniger auszumachen, wie eine Studie der ETH Lausanne (EPFL) aufzeigt. Grund ist die Annäherung zwischen den grossen Schweizer Städten. Vor allem in der Deutschschweiz öffnet sich aber ein Graben zwischen Stadt und Land.

Am tiefsten war der Röstigraben wohl am Tag nach der EWR-Abstimmung. Die Romandie hatte den Rahmenvertrag mit der EU angenommen, die Deutschweiz hatte ihn abgelehnt. Viele Romands empfanden das Verdikt als ungerecht. 

Jetzt zeigt eine neue Studie der ETH Lausanne (EPFL), dass der Röstigraben am Verschwinden ist. Für die Studie wertete Urbanistik-Forscher und Architekt Shin Alexandre Koseki der EPFL die Resultate der nationalen Abstimmungen der vergangenen 30 Jahre aus. Seine Analyse befasst sich mit dem Zeitraum zwischen 1981 und 2014. Über 300 Urnengänge nahm der Forscher unter die Lupe.

Dabei stellte sich heraus, dass die 1980er-Jahre noch oft von Gräben zwischen den Sprachregionen in der Schweiz geprägt waren. Die Stimmberechtigten in Genf und Zürich verfolgten klar andere Interessen, hielt der aus Kanada stammende Doktorand fest.

In den 1990er-Jahren änderte die Politlandschaft, als sich die grossen Deutschschweizer Städte politisch annäherten. Das gleiche Phänomen zeigte sich mit der Romandie, Städte und Land inbegriffen.

Seit dem Jahr 2000 glichen sich schliesslich die Deutschschweizer Städte und die gesamte Westschweiz an. «Der Faktor Sprache neigt zu verschwinden«, sagte der Forscher, der daraus auf einen weniger tiefen Röstigraben schliesst.

Stadt-Land-Graben in der Deutschschweiz

Neu stehen die Westschweiz, die grossen Städte der Deutschschweiz, das Tessin und ein Teil von Graubünden der Deutschschweizer Agglomeration und der Landbevölkerung gegenüber. Der Forscher stellte dies in neuartigen Karten für Abstimmungsresultate dar.

So zeigte sich von 2003 bis 2014 ein grünes Band der Zustimmung von Genf bis St. Gallen. Für Koseki ist das Ausdruck eines neuen sozialen und politischen Kontextes: «Es gibt mehr Mobilität und Vernetzung. Man tauscht mehr und mehr aus, was zu einer Übereinstimmung der kulturellen und politischen Präferenzen führt.»

Die Achse zwischen Genf und St. Gallen werde mehr und mehr zu einem einzigen helvetischen Stadtgebiet. Ein gemeinsamer urbaner Raum zeichne sich ab, in dem es unzählige Verbindungen zwischen den Einwohnern gebe.

Stadt gegen Agglomeration und Land

Diese Vereinheitlichung zeige sich auch in anderen Gebieten in Westeuropa oder Nordamerika. «Das hat auch mit dem heutigen Globalisierungsprozess zu tun", fügt der Forscher an.

Die Schweiz unterscheide sich vor allem zwischen Stadt und Land. Vor allem in der Deutschschweiz würden sich die grossen Städte massiv von der Agglomeration, der Landbevölkerung und den Berggebieten unterscheiden.

Für Shin Alexandre Koseki stellen diese Resultate auch das System mit Volksmehr und Ständemehr bei nationalen Abstimmungen in Frage. Das effektive Gewicht der urbanen Zentren werde bei diesem System nicht abgebildet, hält der Forscher fest.

In seinen Augen müssten die Erkenntnisse dazu führen, dass die Städte mehr gemeinsame Projekte anpacken müssten, um ihre Interessen besser verteidigen zu können. (sda/hlm)

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