Staatsanwältin Judith Vogel
Die Grossen lässt sie laufen

Die Einstellung des Strafverfahrens gegen Roland Nef war nicht der erste umstrittene Entscheid der Staatsanwältin Judith Vogel. Anwälte kritisieren sie als «obrigkeitsgläubig».
Publiziert: 11.01.2009 um 11:32 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 00:25 Uhr
Von Romina Lenzlinger und Beat Kraushaar

Angespannt sitzt Staatsanwältin Judith Vogel (46) am Donnerstag im Lakeside Casino Zürich. Bundesrätin Doris Leuthard (45) referiert zum Thema Personenfreizügigkeit. Es ist einer der ersten Anlässe, bei dem sie sich wieder in der Öffentlichkeit zeigt – seit sie wegen ihrer Handhabung der Affäre Nef massive Kritik einstecken musste. Ihr wird vorgeworfen, dass sie das Verfahren gegen den Ex-Armeechef voreilig eingestellt habe.

Wer ist die Juristin, von der man kaum ein Foto findet, und die auch sonst wenig über ihr Leben preisgibt? Judith Vogel ist seit 2005 Staatsanwältin – in der Sonderabteilung für Verfahren gegen höhere Beamte. Zuvor war sie 14 Jahre lang Bezirksanwältin.

Die Juristin ist Mutter von 12-jährigen Zwillingen und engagiert sich auch in der Politik: Im April wählten sie die FDP-Frauen des Kantons Zürich zu ihrer Präsidentin. Parteikolleginnen loben ihr «hohes Rechtsempfinden», Anwälte hingegen erleben sie als «stark staats- und obrigkeitshörig». Und kritisieren: «Wenn sie gegen hohe Tiere wie Nef ermittelt, tendiert sie dazu, das Verfahren einzustellen.»

Vogel: die Staatsanwältin, die nicht anklagt? Fakt ist, dass sie nicht nur im Fall Nef rasch mit einer Einstellungsverfügung zur Hand war. Erst kürzlich trug ihr ein anderer Entscheid scharfe Kritik ein. Dabei ging es um einen Polizisten, der eine Kleinkind-Erzieherin aus geringfügigem Anlass vor den Augen ihrer Schützlinge geschlagen hatte. Vogel wollte auch hier einstellen. Doch das Obergericht pfiff sie zurück und verlangte die Anklage. Ergebnis: Der Polizist wurde verurteilt, obwohl Vogel vor Gericht trotzig einen Freispruch verlangt hatte.

Dass die Staatsanwältin Widerspruch nur schlecht erträgt, musste auch die Polizistin Z.* erfahren: Vogel zitierte die junge Frau im Juli 2008 zu sich. Sie sei verdächtigt, der «SonntagsZeitung» Akten zugespielt zu haben. Dabei kam es zu einem gehässigen Disput, als Z. sich weigerte, ihre Mütze abzulegen. Vogel rächte sich mit einem Eintrag in die Akten. «Daraufhin schob (...) die Mütze nach hinten, behielt sie jedoch nach wie vor auf. Da es die Staatsanwaltschaft nicht als ihre Aufgabe betrachtet, einer langjährigen Polizeibeamtin Anstand beizubringen, liess sie die Auskunftsperson gewähren.»

Öffentlich gibt sich Judith Vogel gern als unbeugsame Gesetzeshüterin. In der FDP-Parteizeitschrift schreibt sie: «Nur wenn strafbare Handlungen überhaupt angezeigt und wo nötig die entsprechenden Strafanträge konsequent gestellt werden, ist ein Handeln des Staates möglich. Etwas mehr Zivilcourage wäre manchmal wünschenswert.»

Mehr Zivilcourage hätten sich viele Schweizer in der Affäre Nef auch von ihr gewünscht. Laut Strafrechtsprofessor Stefan Trechsel (71) hätte sie beispielsweise den Bundesrat vor dem Sicherheitsrisiko warnen können, das Nefs Ernennung zum Armeechef für die Schweiz mit sich brachte.

Hatte sie sich tatsächlich von der beruflichen Stellung des Ex-Armeechefs blenden lassen, als sie den Fall voreilig einstellte? Sicher ist: Stalking, wie es Roland Nef vorgeworfen wurde, war der Staatsanwältin ein Begriff – sie selbst brachte das Phänomen vor einiger Zeit bei den FDP-Frauen aufs Tapet. Als Referentin lud sie eine Spezialistin der Kantonspolizei ein. Und die sagte: «Ich finde unbefriedigend, dass so viele Anzeigen nicht zu einer Anklage kommen.» Unsere Bitte um ein Interview lehnte Vogel diese Woche ab: «Im Fall Nef äussere ich mich weiterhin nicht».

Der Fall
September 2006: Die Ex-Partnerin von Roland Nef reicht Klage wegen Nötigung ein.
Oktober 2007: Staatsanwältin Judith Vogel stellt das Verfahren ein.
Juli 2008: Die «SonntagsZeitung» enthüllt die Affäre.
August 2008: Nef wirft das Handtuch.
Dezember 2008: SonntagsBlick deckt auf, dass der Armeechef ein Sicherheitsrisiko war.
September 2006: Die Ex-Partnerin von Roland Nef reicht Klage wegen Nötigung ein.
Oktober 2007: Staatsanwältin Judith Vogel stellt das Verfahren ein.
Juli 2008: Die «SonntagsZeitung» enthüllt die Affäre.
August 2008: Nef wirft das Handtuch.
Dezember 2008: SonntagsBlick deckt auf, dass der Armeechef ein Sicherheitsrisiko war.
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