Staats-Computer mehrmals gesperrt
Bundesbeamte frisieren Wikipedia-Artikel

Angestellte der Bundesverwaltung machen rege von der Editier-Funktion von Wikipedia Gebrauch. Auch, um Sachverhalte in ihrem Sinne schönzufärben.
Publiziert: 09.02.2016 um 12:27 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 20:18 Uhr
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Schweizer Bundesbeamte haben Dutzende Wikipedia-Einträge schöngefärbt.
Foto: imago stock&people

Jeder kann Einträge des Online-Nachschlagewerks Wikipedia verändern. Das ist gleichzeitig seine grösste Stärke und Schwäche: Durch die Mitarbeit von vielen wird ein enormes kollektives Wissen zusammengetragen – die Artikel sind aber anfällig für nicht ganz neutrale Manipulationen.

Genau das haben Bundesbeamte immer und immer wieder ausgenutzt. Wie die Nordwestschweiz berichtet, wurden seit 2003 über 5500 Artikel von Computern der Bundesverwaltung verändert. Allein im Jahr 2015 waren es 398 Einträge.

50 entsprechende Artikel sind gemäss «Nordwestschweiz» gezielt schöngefärbt worden: Unliebsame Informationen wurden gelöscht, belanglose Fakten und Werbetext-artige Inhalte hinzugefügt.

Bundescomputer mehrmals gesperrt

Das ging soweit, dass Wikipedia Staats-Computer sperren musste: In den letzten Jahren wurde die IP-Adressen der Bundesverwaltung mehrfach blockiert. Der Grund: Mehrere anonyme und unpassende Artikeländerungen. Beamte konnten in der Folge mehrere Wochen lang keine Änderung von ihrem Arbeitsplatz vornehmen.

Die Bundeskanzlei sagt dazu: «Es gibt keine zentralen Richtlinien oder Prozesse für die Bundesverwaltung», wenn es um das Bearbeiten von Wikipedia-Artikeln geht. Von koordinierten Aktionen will sie nichts wissen.

Besonders oft manipuliert werden Artikel über die Schweizer Luftwaffe. Der Hauptartikel zum Thema wurde von Benutzern aus der Bundesverwaltung mehrmals im Interesse der Behörden aufpoliert. Ein Teil der Änderungen wurde jedoch von Wikipedia-Administratoren rückgängig gemacht. Im November 2012 versuchten Benutzer mit Bundes-IP, den gescheiterten Kauf von Transportflugzeugen als ideologisches Werk der Grünen und der SVP darzustellen.

Blumige Worthülsen und unkritische Aussagen

Auch gerne frisiert wurden Artikel zur Armee, zur Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), zum Nachrichtendienst und dem Staatssekretariat für Migration. Oft fallen geschönte Passagen durch besonders blumige Worthülsen und unkritische Statements als PR-Beiträge auf. Ein Beispiel: Im Eintrag zum Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) steht, Seuchen seien «mit grossem Einsatz auf allen Stufen der Veterinärbehörden» ausgerottet worden.

Wikipedia ist das grösste Online-Lexikon der Welt. Viele Internetsurfer verlassen sich auf die Informationen, die sie dort lesen. Deshalb sind gezielte Manipulationen für Experten mehr als nur ein Bagatelldelikt. Der Münchner Kommunikationsforscher Christoph Neuberger etwa findet: Wenn ein bedeutender Wissensspeicher von politischen und wirtschaftlichen Interessen unterwandert werde, sei das «ein gravierendes Problem für die Gesellschaft». (rey)

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