SRG-Chef Gilles Marchand kontert Kritik an Umzug
«Wir verlassen Bern nicht!»

Nach der Kritik am Umzug nach Zürich kontert SRG-Chef Gilles Marchand: Er kündigt eine neue Redaktion in Bern an – und mehr TV-Serien.
Publiziert: 23.09.2018 um 10:19 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2018 um 10:29 Uhr
Reza Rafi

Sie haben sich in Ihrem neuen Wohnort Bern sehr unbeliebt gemacht. Haben Sie mit dieser Empörungswelle gerechnet?
Gilles Marchand: Ja. Und natürlich kann ich die Reaktionen verstehen. Die haben viel mit dem Berner Selbstverständnis als Bundesstadt zu tun. Es ist der SRG wichtig, in Bern gut vertreten zu sein. Und es wird immer so sein! Ich hoffe, dass wir bald etwas sachlicher diskutieren können.

Dann erklären Sie den Entscheid sachlich.
Es ist ein Entscheid zur Wahrung des Angebots, unseres Programms, zum Schutz von Arbeitsplätzen und von Know-how. Nach der No-Billag-Abstimmung erwarteten alle von uns Reformen. Wir haben entschieden, lieber bei der Infrastruktur als bei unserem publizistischen Kernauftrag zu sparen. Wir haben ab 2019 weniger Geld zur Verfügung. Und ich möchte unseren Berner Kollegen und den Politikern sagen: Wir sind nicht daran, Bern zu verlassen – im Gegenteil! Wir werden andere und neue Tätigkeiten in Bern machen.

Vor No Billag gab sich die SRG als Garantin des nationalen Zusammenhalts. Jetzt zügeln Sie 170 Radio-Stellen nach Zürich, in Bern bleiben noch 32.
Die Idee der nationalen Kohäsion und der föderalistischen Tätigkeit ist zentral für mich. Aber das ist vor allem eine Frage des Programms, mehr als unserer Büros. Und nochmals: Wir verstärken andere Tätigkeiten in Bern!

Dann sagen Sie den Bernerinnen und Bernern jetzt, was Sie konkret in ihrer Stadt ausbauen.
Es gibt drei konkrete Massnahmen: Erstens wird es mehr Journalisten auf unserer Inlandredaktion in Bern geben. Zweitens möchten wir in Bern eine neue, mehrsprachige Recherche-Redaktion gründen. Drittens verfolgen wir ein wichtiges nationales Projekt: den Aufbau einer Digitalplattform, die die Inhalte der SRG-Kanäle mit Untertiteln für die ganze Schweiz aufbereitet. Und zudem darf man nicht vergessen, dass weiterhin 550 Mitarbeitende in Bern tätig sind, davon mehr als 150 Journalisten.

Was wird diese Recherche-Redaktion machen?
Eine überregionale, multilinguale Redaktion mit Kollegen von RTR, RSI, RTS und SRF wird in einem sehr interessanten neuen Projekt nationale Themen behandeln – beispielsweise das Thema Integration: Wie können wir Menschen besser in unsere Gesellschaft einbinden? Dies entspricht auch den Vorgaben unserer neuen Konzession. Das wird aber keine Hors-sol-Redak­tion sein. Jeder Chefredaktor aus jeder Region wird zwei, drei oder vier Mitarbeiter delegieren.

Gilles Marchand

Seit genau einem Jahr ist der Genfer Gilles Marchand (56) Generaldirektor der SRG. Der studierte Soziologe sammelte bei der «Tribune de Genève» Führungserfahrung in der Printbranche. Er war danach Direktor von Ringier Romandie, ehe er 2001 den Führungsposten des Westschweizer TV und Radio TSR übernahm, wo er bis 2016 blieb. Marchand wohnt mit seiner Familie in Bern.

Seit genau einem Jahr ist der Genfer Gilles Marchand (56) Generaldirektor der SRG. Der studierte Soziologe sammelte bei der «Tribune de Genève» Führungserfahrung in der Printbranche. Er war danach Direktor von Ringier Romandie, ehe er 2001 den Führungsposten des Westschweizer TV und Radio TSR übernahm, wo er bis 2016 blieb. Marchand wohnt mit seiner Familie in Bern.

Wozu braucht es zum Webangebot noch eine Digitalplattform?
Der Zuschauer weiss heute kaum, was in den anderen Landesteilen berichtet wird. Die neue Technologie bietet uns nun die Chance, unsere Programme näher zusammenzubringen: Der Tessiner kann SRF-Inhalte mit italienischer Untertitelung abrufen, der Deutschschweizer kann französische Berichte mit deutschen Untertiteln verfolgen. Uns ist aber auch wichtig, dass man diese Plattform personalisiert nutzen kann, etwa mit einem Login: Wenn Sie sich für Fotografie interessieren, können Sie Beiträge zum Thema Fotografie abonnieren, aus jeder Region.

Und die SRG kann unheimlich viele Nutzerdaten sammeln.
Das Projekt verfolgt kein Kommerzialisierungsziel, sondern ist eine Frage der Legitimation: Wer bei uns arbeitet, arbeitet für alle, nicht nur für seine Region oder seinen Sprachteil. Was in einer linearen Welt nicht möglich war, wird in ­einer À-la-carte-Welt möglich! Genauso, wie Sie etwa bei Netflix Inhalte konsumieren, die für Sie untertitelt sind.

Wie viele Stellen umfassen diese beiden Projekte?
Die mehrsprachige Recherche-Redaktion in Bern wird aus etwa 15 Journalisten bestehen. Für die neue À-la-carte-Plattform wollen wir zunächst mit unserer eigenen Produktion arbeiten. In einem zweiten Schritt werden wir neue Community-Jobs schaffen – wir müssen unsere Inhalte auch in den sozialen Medien kuratieren.

Laut dem «Tages-Anzeiger» standen Sie im Mai dem Umzug noch kritisch gegenüber. Wieso plötzlich der Meinungswechsel?
Es gab damals noch viele offene Fragen. Wir haben eine professionelle Analyse in allen Dimensionen gemacht, Vor- und Nachteile abgewogen und dann war ich überzeugt von dem Teilumzug.

Sie sparen in Bern fünf Millionen Franken – wie erreichen Sie das Sparziel von 100 Millionen?
Die fünf Millionen ergeben sich aus 3,3 Millionen im Bereich SRF und 1,7 Millionen bei der Generaldirektion. Insgesamt erreichen wir in der Deutschschweiz rund zwölf Millionen Franken an Einsparungen allein mit Immobilien. Aber lassen Sie mich noch einmal erklären, wie sich die 100 Millionen ergeben.

Bitte.
Durch die vom Bundesrat beschlossene Senkung und Plafonierung unseres Gebührenanteils fallen uns bereits ab nächstem Jahr 50 Millionen Franken weg. Dazu ist die Werbung unter Druck. Und wir werden mehr für Seh- und Hörbehinderte machen. Das ergibt 80 Millionen. Aber wir können ein Unternehmen nicht nur durch Sparen führen. Darum sparen wir zusätzliche 20 Millionen, um die genannten Projekte zu entwickeln und mehr in die schweizerische Fiktion investieren zu können.

Weshalb mehr für die Fiktion?
Wir glauben, dass wir mit dem Schweizer Film einiges für den Zusammenhalt des Landes tun können. Heute bringen SRF und RTS etwa drei bis vier Serien pro Jahr. Unser Plan ist, bis in fünf Jahren sieben bis acht Serien zu produzieren – zusammen mit der Branche, also Koproduktionen!

Und wo wollen Sie jetzt die 100 Millionen einsparen? Sie können nicht ewig Studios verlagern.
Die einzige Möglichkeit, unser Angebot und unser Know-how zu schonen, ist die Infrastruktur: Wir senken unsere Technik-Investitionen um 20 Prozent, wir reduzieren die Flächennutzung unserer Immobilien um 25 Prozent im ganzen Konzern. Wir möchten auch unsere Distributionskosten senken und sparen bei der Verwaltung. So probieren wir zu sparen, ohne die föderalistische Dimension in Gefahr zu bringen.

Und ohne zusätzlichen Stellenabbau zu den kommunizierten 250 Arbeitsplätzen?
Wir sind in einem Konsultationsverfahren mit dem Sozialpartnern. Ich hoffe, dass wir Entlassungen vermeiden können. Aber einen Social Impact werden wir nicht ganz verhindern können.

Das Publikum interessiert, ob Sie einen Abbau beim Programm­angebot ausschliessen können.
Falls die finanzielle Situation so bleibt, können wir mehr oder weniger unser Angebot aufrechterhalten, ja.

Mit Unterhaltung und Sport?
Unterhaltung im Stile der grossen Shows wie «The Voice of Switzerland» können wir uns nicht mehr leisten. Aber es gibt andere attraktive Formate wie «Vier Dörfer – ein Land» bei SRF oder «Traversée des Alpes» auf RTS. Ein Ziel, das wir nach dem 4. März gesetzt haben, ist Unterscheidbarkeit, in allen Bereichen.

Müssen Sie auch beim Sport auf Alternativen zurückgreifen?
Noch sind wir in der Lage, Sportrechte von Grossanlässen wie den Olympischen Spielen zu erwerben. Aber wir können nicht jeden Preis bezahlen. Bei der Champions League können wir noch einen Match pro Woche zeigen statt zwei. Vielleicht müssen wir mehr auch auf andere Sportarten setzen. Vor zwei Wochen zum Beispiel haben wir die Mountainbike-Weltmeisterschaft in Lenzerheide produziert. Das war ein Erfolg. Zudem sollten Fifa und Uefa nicht nur die kurzfristige Zahlungsbereitschaft eines Senders beachten, sondern auch die Reichweite. Unsere Stärken sind Reichweite und Know-how.

Sie sparen und werden kritisiert. Letztlich müssen Sie ausbaden, was Ihre Vorgänger versäumten.
Nein. Aber Sie sehen, ich bin nicht lethargisch, wie Sie schrieben (lacht). Mein Team und ich sind seit dem 4. März fast pausenlos am Arbeiten. Das ist gut so.

Im Leutschenbach sucht man derzeit einen Nachfolger von SRF-Direktor Ruedi Matter.
Ich begleite den Rekrutierungsprozess, der von SRG-Deutschschweiz-Präsident Andreas Schefer geführt wird. Und wir sind auf Kurs. Es gibt keine Verspätung. Wir werden vor Ende Jahr einen neuen Direktor oder eine neue Direktorin gewählt haben.

Kann man sich noch bewerben?
Tut mir leid, dafür ist es jetzt zu spät.

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