Sozialversicherungen
Sozialdetektive als «letztes Mittel» bei Missbrauchsverdacht

Die Änderung des Sozialversicherungsgesetzes schaffe eine Grundlage für bewährte Praktiken, gewährleiste Rechtssicherheit und erhöhe die Transparenz. Die Befürworter von Sozialdetektiven zur Aufdeckung von Betrugsfällen haben am Freitag ihre Kampagne lanciert.
Publiziert: 19.10.2018 um 15:36 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2018 um 15:54 Uhr
Das bürgerliche Befürworter-Komitee begründete vor den Medien sein Ja zu den Sozialdetektiven. V.l.n.r.: Nationalrat Thomas Weibel (GLP/ZH), Nationalrat Philippe Nantermod (FDP/VS), Nationalrätin Barbara Steinemann (SVP/ZH), Lorenz Hess (BDP/BE) und Nationalrätin Ruth Humbel (CVP/AG).
Foto: KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Es gehe bei der Referendumsabstimmung vom 25. November darum, in einem sehr sensiblen Bereich Wildwuchs zu verhindern und die Überwachung von Versicherten von einem rechtsfreien Raum in geregelte Bahnen zu lenken, sagte Nationalrat Lorenz Hess (BDP/BE) am Freitag vor den Medien in Bern.

Die fünf Nationalratsmitglieder des überparteilichen bürgerlichen Komitees «Ja zu Fairplay im Sozialversicherungsrecht» betonten dabei immer wieder, die Überwachung von Missbrauchsverdächtigen sei nur «ein letztes Mittel» für Extremfälle.

Hess bezichtigte die Gegner der Revision sogar des Linkspopulismus. Von Spionage bis in die Schlafzimmer könne keine Rede sein. Der vom Referendumskomitee beklagte «Schlüsselloch»-Paragraph mit der Drohne, die in Privatgemächer filme, sei gemäss geltender Bundesgerichtspraxis klar unzulässig.

Der neue Rechtsrahmen baue die Überwachungsmöglichkeiten nicht aus, führte Nationalrat Thomas Weibel (GLP/ZH) aus. Die bisherige Praxis werde sogar verschärft. So werde die Dauer einer möglichen Observation zeitlich beschränkt.

An die Ausbildung von privaten Ermittlern würden sehr hohe Anforderungen gestellt. Für den Einsatz von GPS an Fahrzeugen brauche es eine richterliche Genehmigung und die Behörden müssten Überwachte im Nachgang informieren, wenn sich ein Verdacht gegen sie nicht erhärtet habe.

Ebenso wenig entspreche es der Wahrheit, dass Versicherungen mehr Kompetenzen erhielten als die Polizei. Das Gesetz verletzte auch die Grundrechte und die Gewaltenteilung nicht, sagte Nationalrat Philippe Nantermod (FDP/VS).

Zum Vorwurf der verletzten Gewaltenteilung hielt Nationalrätin Barbara Steinemann (SVP/ZH) fest, der Staat habe seine Kerntätigkeiten in vielen Betätigungsfeldern an Private ausgelagert.

So könne etwa die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) eine Privatperson mit der Abklärung eines Sachverhaltes betrauen oder Massnahmen umsetzen. Und die private Billag AG habe jahrelang Empfangsgebühren erhoben. Weshalb dies ausgerechnet bei der Überwachung von vermutetem Versicherungsbetrug «juristisch heikel» sein solle, erschliesse sich ihr nicht.

Als «völlig absurd» bezeichnete Nationalrätin Ruth Humbel (CVP/AG) ebenso die Befürchtungen der Gegner, Detektive könnten sogar im Krankenpflegebereich eingesetzt werden. Die Krankenversicherer seien gar nicht dem Sozialversicherungsrecht (ATSG) unterstellt, ergänzte Weibel.

Die Überwachung von Versicherten als letztes Mittel habe sich bewährt, heisst es in der Mitteilung des Komitees zum Kampagnenstart. Die Versicherungen hätten so in den vergangenen Jahren jährlich 80 Millionen Franken einsparen können.

Die effektive Bekämpfung von Missbrauch habe auch eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Betrüger, ergänzte Humbel. Das Instrument wirke somit auch präventiv. Missbrauch sei unfair gegenüber all jenen Menschen, die auf Renten angewiesen seien.

Die Räte hatten das Gesetz in der Frühjahressession verabschiedet. Die Überwachungsregeln gelten nicht nur für die Invalidenversicherung (IV), sondern auch für die Unfall-, die Kranken- und die Arbeitslosenversicherung.

Neben Bild und Tonaufnahmen sind auch technische Instrumente zur Standortbestimmung erlaubt. Gemeint sind vor allem GPS-Tracker, die an Autos angebracht werden. Anders als bei den Bild- und Tonaufnahmen braucht es dafür eine richterliche Genehmigung.

Eine Bürgerinnen- und Bürgergruppierung um die Autorin Sibylle Berg hatte erfolgreich das Referendum gegen das Gesetz ergriffen. Mit dem Referendum kämpfe man gegen die «willkürliche Überwachung». Zudem werde jeder und jede unter Generalverdacht gestellt, der Leistungen der Sozialversicherungen beziehe, hiess es Mitte September anlässlich der Lancierung der Nein-Kampagne.

Die Gesetzgebungsarbeiten gehen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zurück. Dieser hatte festgestellt, dass in der Schweiz eine klare und detaillierte gesetzliche Grundlage zur Observation von Versicherten fehlt. Wegen des Urteils mussten die IV und die Unfallversicherer ihre Beobachtungen einstellen.

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