«Wollen wir eine Welt, in der man nicht mehr krank sein darf, ohne dass man damit rechnen muss, von einem Detektiv überwacht zu werden? Wo eine Drohne vor dem Fenster schwebt?» Die Frage stellte der Zürcher Anwalt Philip Stolkin am Montagmorgen vor dem Hauptsitz der CSS Krankenkasse in Luzern zum Auftakt der Abstimmungskampagne gegen das «Sozialdetektiv-Gesetz».
Mit dem Gesetz sei jeder ein potenzieller Betrüger und jeder, der Leistungen von Sozialversicherungen beziehe, werde unter Generalverdacht gestellt, sagte Stolkin. «Wir werden mit Herz, Seele und Verstand dafür einstehen, dass möglichst alle die rechtsstaatlichen Bedenken mindestens zur Kenntnis zu nehmen.» Das Komitee setzte sich zum Ziel, bis zur Abstimmung am 25. November eine Million Gespräche zu führen.
Zum Kampagnenstart reiste auch SP-Nationalrätin Silvia Schenker (BS) nach Luzern. Hautnah habe sie miterlebt, wie die Versicherungen Einfluss genommen hätten auf diese Gesetzgebung, sagte sie. Die Versicherungslobby habe massives Interesse an diesem Paragraphen. Schenker: «Wir werden sie mit dieser Abstimmung aber stoppen.»
Co-Kampagnenleiter Dimitri Rougy nannte das Gesetz «einen Angriff auf die Grundrechte, den wir nicht einfach so akzeptieren». Die Versicherungslobby könne Millionen Franken in den Abstimmungskampf investieren. «Die haben wir nicht. Aber wir haben eine Bewegung», sagte Rougy. Hinter den drei Referenten hielten gegen zwei Dutzend Personen Plakate mit durchgestrichenen Fotokameras, Schlüssellöcher und Videokameras in die Höhe.
Dass das Referendumskomitee den Ort der Medienkonferenz vor dem CSS-Hauptsitz gewählt habe, könne man als Provokation sehen, sagte Rougy im Vorfeld gegenüber Keystone-SDA. Die Veranstaltung sei aber bewilligt, Polizei und CSS seien kontaktiert worden.
Die Versicherung liess denn auch mitteilen, sie fungiere ungewollt als Gastgeberin für den Anlass. Die CSS sei aber die falsche Zielscheibe der Gegner des Observationsgesetzes, denn der Heilkostenbereich, der den absolut grössten Teil ihres Geschäfts ausmache, sei gar nicht betroffen. Der Parlamentsentscheid sei für die Kasse aber nachvollziehbar.
Lanciert wurde das Referendum von einer Bürgerinnen- und Bürgergruppierung um die Autorin Sibylle Berg - eine «parteiunabhängige Bewegung von 25'000 Personen», die innert 62 Tagen über 75'0000 Unterschriften sammelte, wie das Komitee in einer Medienmitteilung schreibt. Die Abstimmungskampagne wollen die Verantwortlichen dezentral führen.
Das «Sozialdetektiv-Gesetz» war vom Parlament in der Frühjahrssession verabschiedet worden war. Es ermöglicht Sozialversicherungen, Versicherte bei Verdacht auf Missbrauch durch Detektive observieren zu lassen. Die Regeln gelten für die Invalidenversicherung (IV), die Unfall-, die Kranken- und die Arbeitslosenversicherung.
Die Gegner kritisieren unter anderem den «Schlüsselloch»-Paragraphen, der die Überwachung von frei einsehbaren Privaträumen erlaube. Zudem könnten die Versicherungen selber entscheiden, wer durch Privatdetektive beschattet werde. Das gebe ihnen mehr Rechte als die Polizei sie habe.
Das Referendumskomitee hatte im Juli gegen das Gesetz zur Überwachung von Sozialversicherten eine Abstimmungsbeschwerde beim Zürcher Regierungsrat eingereicht. Es kritisiert, dass die Behörden tendenziös kommunizierten und Spekulationen verbreiteten.
Dabei bezieht sich das Komitee auf öffentliche Publikationen des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) und die Suva. Darin werde unter anderem behauptet, alle technischen Hilfsmittel seien genehmigungspflichtig und Sozialdetektive dürften nicht mehr als die Polizei, betonte das das Komitee.