Baldham, 18 Kilometer östlich von München (D). Der noble Vorort zählt heute rund 20 000 Einwohner. Gern erinnert man sich dort an den berühmtesten Einwohner der Gemeinde, den Schauspieler Karlheinz Böhm (1928–2014). Der Star aus den «Sissi»-Filmen ist so etwas wie Baldhams gutes Gewissen. Aber es gibt da noch eine andere, dunkle Seite.
Gern gesehener Gast in Baldham war nämlich auch Adolf Hitler. Der «Führer» besuchte dort den populärsten Bildhauer seines «Dritten Reichs», Josef Thorak (1889– 1952). Der stellte in seinem 17 Meter hohen Atelier gigantische Statuen für den Reichskanzler her.
Auch Luftwaffenoffiziere pflegte Hitler in Baldham zu besuchen – unweit vom heute stillgelegten Flughafen München-Riem. Hitler kam aber auch, um seinen Leibschneider zu sehen. Josef Landolt führte ein florierendes Uniformatelier an der Sophienstrasse mitten in München. In Baldham besass er ein Landhaus – und dort war Hitler samt Gefolge oft zu Gast.
Die Beziehung zwischen Landolt und Hitler – geschäftlich wie privat – ist in zahlreichen Quellen dokumentiert. Was bisher jedoch niemand wusste: Josef Landolt war Schweizer! Das zeigen Recherchen von SonntagsBlick. Hitlers Leibschneider stammte aus dem glarnerischen Näfels, wie der Eintrag in der Genealogie des Landesarchivs des Kantons Glarus belegt.
Wer war dieser Mann, der Adolf Hitler so nahe kam wie kein anderer Schweizer? SonntagsBlick ist den Spuren von Josef Landolt nachgegangen.
In Übereinstimmung mit den Angaben in deutschen amtlichen Quellen lebte Landolt von 1897 bis 1973. Schon seine Eltern waren nach Deutschland ausgewandert. 1922, im Alter von 25 Jahren, heiratete er die Deutsche Helena Seidel. Nur ein Jahr später kam Tochter Gabriele auf die Welt, sie blieb Einzelkind. Als Uniformenschneider machte Josef Landolt in der Münchner Innenstadt Karriere.
Ein Stück weit verdankte er das auch seiner schweizerischen Herkunft. Deutschland war schon damals judenfeindlich und misstrauisch gegenüber Ausländern. Doch Österreicher und Schweizer galten allgemein als bodenständig und ehrlich. Wenn sie auch noch katholisch waren wie Landolt, hatten sie in Bayern nichts zu befürchten.
Das Landhaus in Baldham benannte Landolt nach seiner Frau. «Helene» hiess das wuchtige Chalet inmitten eines Wäldchens, nur wenige Hundert Meter vom Atelier des Bildhauers Thorak entfernt. Regelmässig verbrachte die Familie ihre Wochenenden im Haus Helene. Landolt, begeisterter Jäger, ging dort auf die Pirsch.
Claus Ortner (62) erinnert sich noch an den Schweizer Schneider und seine Familie. «Mein Vater spielte als Kind oft zusammen mit Landolts Tochter Gabriele», sagt der Ortshistoriker. «Landolt war hier bekannt als Massschneider Hitlers.» Er fertigte graue Wehrmachtswaffenröcke und braune Uniformen für den «Führer». Noch Jahre nach dem Krieg berichteten ältere Dorfbewohner von den Besuchen Hitlers. Claus Ortner hat ihre Berichte gesammelt.
«Vor allem in den 30er-Jahren, vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, war Hitler mit seinem Gefolge oft in Baldham.» Er fuhr mit seinem schwarzen Mercedes in der heutigen Frühlingsstrasse 36 vor, marschierte im charakteristisch steifen Gang ins Haus seines Freundes.
Dort liess er sich von Schneider Landolt persönlich seine braune Uniform anfertigen – kein einfaches Unterfangen. Hitler hatte aufgrund einer Verletzung aus dem Jahr 1923 eine herabhängende linke Schulter. «An dieser Stelle musste die Uniform speziell gepolstert werden», sagt Ortner.
Hans Schmidt, ein weiterer Zeitzeuge, berichtete im «Münchner Merkur» von den Begegnungen zwischen Hitler und dem Schweizer. Per Telefon wurde seine Familie über die Besuche Hitlers in Baldham informiert. Schmidt, der 2014 im Alter von beinahe 90 Jahren starb, musste dann zum Grüssen antraben.
«Ich habe Wache gestanden, wenn der Führer nach Baldham kam, um seine neue Uniform abzuholen», sagte er. Hans, der damals in die Volksschule geht, wartete dann vor dem Landhaus Helene. Wenn der Führer kam, reckte er seinen rechten Arm zum «Hitlergruss» nach vorne: «Heil Hitler!»
Als Bub fand Schmidt die Besuche des Diktators aufregend. Im «Merkur» bekannte er, dass er als junger Mann Hitler bewundert und auch der Wehrmacht angehört habe. Die Bewunderung schlug jedoch während des Krieges in Hass um. Nur knapp, in einem der letzten Flugzeuge, entkam Schmidt dem Kessel von Stalingrad, geriet jedoch bald darauf in die Gefangenschaft der Alliierten.
Ob Josef Landolt Hitler auch ideologisch nahestand, ist für Ortshistoriker Claus Ortner offen. Ein Foto zeigt den modisch gekleideten Landolt bei der Eröffnung der von Hitler inszenierten Winterolympiade in Garmisch-Partenkirchen. Im Hintergrund wehen Fahnen, darunter auch die mit dem nationalsozialistischen Hakenkreuz.
Heute sind die Spuren der nationalsozialistischen Vergangenheit in Baldham fast verwischt. 70 Jahre sind seit Kriegsende vergangen. Das überdimensionierte Atelier von Bildhauer Thorak ist hinter Bäumen und Sträuchern kaum noch zu erkennen und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Es beherbergt heute die archäologische Sammlung des Freistaates Bayern.
Das Landhaus Helene der Familie Landolt steht nicht mehr. Es musste mehreren Villen weichen. Nur ein kleiner Teil der einstigen Liegenschaft ist noch im Besitz von Angehörigen der Familie Landolt. Sowohl seine Tochter Gabriele als auch deren Söhne sind verstorben.
Die Ehefrau eines Landolt-Enkels ist Eigentümerin einer Parzelle, hat das Haus jedoch vermietet. Die Frau ist samt Familie ebenfalls längst aus Baldham weggezogen. Alle Versuche, sie zu erreichen, um doch noch Auskunft von einem Verwandten der Familie Landolt zu bekommen, bleiben erfolglos.
Eines aber ist Ortshistoriker Claus Ortner noch wichtig: «Landolt war trotz seiner zwielichtigen geschäftlichen Verbindungen kein Kriegsverbrecher! Er war einfach der Leibschneider von Adolf Hitler.»