Es scheint gar nicht mehr aufzuhören: Die Zahl der Menschen, die sich mit dem Coronavirus angesteckt haben, steigt und steigt. Am frühen Samstag gab es in der Schweiz 1359 positiv getestete Fälle, davon sind 1189 bestätigt. Die Zahl der Toten stieg auf 13.
«Die Situation ist ernst», sagte Simonetta Sommaruga (59) am Freitagnachmittag. Die Stimme der Bundespräsidentin ist ruhig. Ihr Blick eindringlich.
Dann verkündet der Bundesrat Massnahmen, wie sie die Schweiz noch nie gesehen hat. Die einschneidendste davon: Alle Schulen werden geschlossen!
Thomas Minder (44) ist davon gleich dreifach betroffen: als Vater zweier Buben und einer Tochter, als Leiter der Volksschulgemeinde Eschlikon im Thurgau – und als Präsident des Verbands Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz. In Panik gerät Minder trotzdem nicht: «Die Situation ist, wie sie ist. Wir müssen jetzt alle zusammenstehen, dann schaffen wir das!»
Besondere Herausforderung für die Schulen: Sie können nicht einfach den Laden dichtmachen, sondern müssen Betreuungsangebote für Kinder bereitstellen, auf die zu Hause niemand aufpassen kann.
Möglichst viele Kinder sollen zu Hause bleiben
In Minders Schulgemeinde mit rund 500 Kindern läuft die Organisation auf Hochtouren – wie überall im Land: Die Schulleitung informiert die Lehrer, die Lehrer die Eltern. «Wir wollen, dass möglichst viele Kinder zu Hause bleiben», betont der oberste Schulleiter des Landes. Nur wer wirklich keine Betreuungsmöglichkeit findet, soll seine Kinder in die Schule schicken. «Sonst nützt die angeordnete Schliessung gar nichts!»
Für Knirpse, die kommende Woche trotzdem auf der Matte stehen, wird aber gesorgt: «Wir teilen die anwesenden Schülerinnen und Schüler in kleine Gruppen auf und beschäftigen sie mit Spielen oder anderen kreativen Ideen.»
Minder geht jedoch davon aus, dass in Eschlikon – einer eher ländlich geprägten Gemeinde mit rund 4500 Einwohnern – die meisten Eltern eine Betreuungsmöglichkeit finden werden. «Den bisherigen Rückmeldungen zufolge kommen am Montag höchstens zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler. Langfristig vielleicht ein bisschen mehr.»
In grösseren Städten befürchten die Behörden aber offenbar, dass zu viele Eltern die Betreuungsangebote nützen wollen. Sie sagen deshalb klipp und klar, dass die Betreuung nur für Notfälle gedacht ist. «Der Bedarf muss nachgewiesen und begründet werden», schreibt etwa die Stadt Zürich. Bei einer akuten Notlage entscheide die Schulleitung im Einzelfall.
In Winterthur ZH lässt die Schulbehörde gar verlauten, dass die «Notfallbetreuung» ausschliesslich für Eltern in folgenden Berufen und Funktionen gedacht sei:
- Gesundheitsberufe
- Mitarbeitende von Blaulichtorganisationen, Sicherheitsorganisationen, Gefängnissen
- Detailhandel Grundversorgung (Apotheken, Lebensmittel)
- Systemkritische Berufe, beispielsweise öffentlicher Verkehr, öffentliche Versorgung, Zahlungsverkehr, Postverkehr
- Mitarbeitende der Notbetreuung
Jürg Altwegg (50), Vorsteher des Winterthurer Schuldepartements, sagt dazu: «Mit dieser Regelung wollen wir glasklar zeigen, was mit Ausnahmen gemeint ist. Selbstverständlich werden wir in der ersten Chaosphase aber kein Kind wieder nach Hause schicken.» In Winterthur gebe es 11'500 schulpflichtige Kinder. Normalerweise nutze ein Drittel davon die nicht obligatorischen Betreuungsangebote der öffentlichen Schule. «Um die Ansteckungsgefahr zu verringern, muss dieser Anteil jetzt deutlich sinken. Sonst können wir den Unterricht gerade so gut normal weiterführen», so Altwegg.
Basel-Stadt hat eine ähnliche Devise herausgegeben. Noch am Freitagabend liess der Regierungsrat verlauten: «Der Kanton bietet eine Kinderbetreuung nur für Erziehungsberechtigte an, die in Gesundheitsberufen arbeiten oder sonstige zwingende Arbeitsverpflichtungen haben und die Kinderbetreuung nicht anderweitig organisieren können.»
Ein bisschen weniger streng klingt es in der Stadt Bern. Zwar wird auch hier betont, dass das Betreuungsangebot «nur für Notsituationen» zur Verfügung stehe. Eine Berufsliste gibt es aber keine. Zudem weisen die Berner nochmals darauf hin, dass die Betreuung nicht von besonders gefährdeten Personen wie Grosseltern übernommen werden soll.
Distance Learning noch in Kinderschuhen
Eine Herausforderung ist auch die Entscheidung, ob und wie der Unterricht ohne Präsenzpflicht fortgeführt werden kann. «In den meisten Kantonen und Schulen steckt das sogenannte Distance Learning noch immer in den Kinderschuhen. Einige Schulen laufen gar komplett analog», sagt Schulleiter-Präsident Minder.
Um zumindest ältere Schüler via Internet unterrichten zu können, hat der Bund deshalb die staatliche Fachagentur Educa.ch eingeschaltet. Die soll nun den Einsatz von digitalen Lehrmitteln und Onlinediensten vorantreiben.
Involviert ist auch der US-Softwareentwickler Microsoft. Er soll Lehrerinnen und Lehrer in Web-Seminaren zeigen, wie sie ihre Klassen via Internet unterrichten können. Minder: «Ab der fünften, sechsten Klasse und in der Oberstufe ist Onlineunterricht sicher möglich und sinnvoll. Allerdings ist es auch dort keine Lösung für ewig.»
Die Frage, wie lange die Schulen geschlossen bleiben, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig offen. In vielen Kantonen öffnen sie frühestens nach den Frühlingsferien Ende April wieder. Bis dann wird so manche Familie lernen müssen, mit ungewohnten Situationen umzugehen.
Zum Beispiel Schulleiter-Präsident Minder: «Ich muss jetzt nach Hause. Meine Frau ist am Samstag in einer Weiterbildung und die drei Kinder sind alleine im Haus. Wahrscheinlich am Gamen ...»
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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