So erlebte Pädo-Opfer Daniel Pittet das Treffen mit seinem Peiniger Pater Joël
«Er hat mich kein einziges Mal gefragt, wie es mir geht»

Pater Joël, der pädophile Ex-Priester, hat am Mittwoch Besuch von seinem Hauptopfer erhalten. Der Freiburger Katholik Daniel Pittet hat BLICK erzählt, wie er dieses befremdliche Treffen erlebte.
Publiziert: 18.08.2017 um 09:23 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:30 Uhr
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Er bedauert seine Verbrechen – aber nur oberflächlich: Pädophiler Ex-Priester Pater Joël.
Foto: Laurent Grabet
Laurent Grabet

Die Szene wirkt banal. Alltäglich ist sie trotzdem nicht. Am Mittwochmorgen beugt sich im Kapuzinerkloster Wil SG ein stämmiger 57-Jähriger mit Namen Daniel Pittet über einen zwanzig Jahre älteren Greis, umarmt ihn und überreicht ihm etwas Schokolade und ein Buch. Der Alte ist einen Kopf kleiner als der Besucher und stützt sich auf seinen Rollator. Er könnte ein entfernter Grossonkel von ihm sein.

Tatsächlich aber ist es Pater Joël. Jener Priester, der Pittet während seiner Zeit als Chorknabe vier Jahre lang vergewaltigt hat (BLICK berichtete). Im Februar ist Pittets Buch mit einem Vorwort von Papst Franziskus auf Französisch erschienen, jetzt ist es unter dem Titel «Pater, ich vergebe Euch!» auf Deutsch erhältlich.

Er brauchte 20 Jahre Therapie

«Ich wollte Pater Joël besuchen, weil er mir im Juli einen Entschuldigungsbrief geschrieben hatte. Seine Worte scheinen mir aufrichtig. Sie haben mich berührt», erzählt Pittet. Und erinnert daran, dass er schon 2004 einen ersten Brief des Pädo-Priesters erhalten hatte, «der aber vor allem Teil einer Verteidigungsstrategie war».

Der gläubige Katholik und Familienvater Pittet brauchte zwanzig Jahre Therapie, bis er gelassen auf seinen Peiniger zugehen konnte. Obschon er ihm eigentlich schon zu der Zeit vergeben hatte, als dieser sich – teilweise äusserst brutal – an ihm verging, dem Ministranten im Kindesalter. Eine Art mystische, «vom heiligen Geist inspirierte» Erfahrung hatte ihn dazu bewogen.

«Deine Kindheit mit Füssen getreten»

Pater Joël ist Hobbyfotograf und hat dem Brief eines seiner Bilder beigelegt, geschossen mit seiner alten Nikon-Kamera. Zu sehen ist Kopfsteinpflaster, «über das ein Licht huscht», wie es der Ex-Priester beschreibt. Und dann die Worte: «Ich habe dich hinters Licht geführt, ich habe deine Kindheit mit Füssen getreten, ich habe deine Unschuld missbraucht, ich habe deinen Durst nach Liebe durchkreuzt, Daniel, ich anerkenne meinen Fehler.»

Ehrliches, aber oberflächliches Bedauern

«Man kann ihn nicht wirklich mit sich selbst konfrontieren. Sobald man die Übergriffe anspricht, senkt er den Kopf, sein Blick wird fahrig, und er kann sich nicht mehr erinnern – bei anderen Themen hingegen lässt ihn sein Gedächtnis nie im Stich», erzählt Pittet. Sein Peiniger scheint ehrliches Bedauern ihm gegenüber zu empfinden, aber es bleibt noch immer zu oberflächlich. «Ich weiss, dass er im Grunde mehr leidet als ich, das habe ich ihm auch gesagt. Aber in unserem einstündigen Gespräch hat er mich kein einziges Mal gefragt, wie es mir gehe. Er ist sehr auf sich bezogen.»

Der Ex-Priester hat vor allem erzählt, dass ihm die kürzlich erfolgte Versetzung in den Laienstand «nichts ausgemacht» habe. Ein «harter Schlag» aber sei der gleichzeitige Ausschluss aus dem Kapuzinerorden gewesen. «Kapuziner zu sein, ist Teil meiner Identität.» Die Nachricht hatte er in einem lateinisch geschriebenen Brief der berühmt-berüchtigten Glaubenskongregation erhalten. Der Ausschluss aus einem Orden ist ein sehr seltener Vorgang in der katholischen Kirche.

«Pädophiler ist der Feind Nr. 1»

Der 76-Jährige sagte weiter, seine Pädophilie sei «angeboren». Er selbst sei als Kind nie vergewaltigt worden. Und fügte an, er habe eine Zeit lang gedacht, er könnte seine Opfer zusammenrufen, um sich bei ihnen zu entschuldigen, was ihm aber seine Vorgesetzten verboten hätten. «Heute ist ein Pädophiler überall der Feind Nr. 1», beklagte sich der Wiederholungstäter auch – bevor er sich lange über seine «normalen» Erinnerungen als Priester ausliess.

Angst vor Demenz

«Ich fühle, dass ich dement werde», behauptet der ehemalige Priester auch, von dem sich mit wenigen Ausnahmen die ganze Familie abgewendet hat. «Ich wage mich schon kaum mehr in die Stadt.» Mit der Aussenwelt nimmt er nur noch übers Internet Kontakt auf, das er gut zu beherrschen scheint.

Pittet wird ihn wohl nicht mehr besuchen gehen. Er sagt nur: «Ich bete oft für ihn. Ich weiss, dass er seinen Weg zum perversen Pädophilen nicht gewählt hat, auch wenn sein Tun inakzeptabel ist …»

Übersetzung: Jean-Paul Käser

Der Fall Pater Joël

Pater Joël (76) hat unter Druck zugegeben, sich im Lauf von vier Jahrzehnten in der Schweiz und in Frankreich an Buben vergangen und damit «etwa vierzig Unschuldige massakriert» zu haben – die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches grösser sein. Ein Gefängnis sah der Pädo-Kriminelle trotzdem nie von innen. Einzig wurde er dieses Jahr aus dem Kapuzinerorden ausgeschlossen, der ihm über all die Jahre Unterschlupf gewährt hatte, zuletzt im Kloster Wil SG.

Ans Licht gebracht hat den Skandal Daniel Pittet (57), der als neunjähriger Ministrant zum ersten Mal von Pater Joël vergewaltigt wurde. Der Freiburger schildert in seinem Buch «Pater, ich vergebe Euch!» die schockierenden Details des Missbrauchs – aber auch, wie er trotz seiner schlimmen Erfahrungen mit einem Kirchenmann den Glauben nicht verloren hat. Das Vorwort zum Buch hat Papst Franziskus geschrieben.

Pater Joël (76) hat unter Druck zugegeben, sich im Lauf von vier Jahrzehnten in der Schweiz und in Frankreich an Buben vergangen und damit «etwa vierzig Unschuldige massakriert» zu haben – die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches grösser sein. Ein Gefängnis sah der Pädo-Kriminelle trotzdem nie von innen. Einzig wurde er dieses Jahr aus dem Kapuzinerorden ausgeschlossen, der ihm über all die Jahre Unterschlupf gewährt hatte, zuletzt im Kloster Wil SG.

Ans Licht gebracht hat den Skandal Daniel Pittet (57), der als neunjähriger Ministrant zum ersten Mal von Pater Joël vergewaltigt wurde. Der Freiburger schildert in seinem Buch «Pater, ich vergebe Euch!» die schockierenden Details des Missbrauchs – aber auch, wie er trotz seiner schlimmen Erfahrungen mit einem Kirchenmann den Glauben nicht verloren hat. Das Vorwort zum Buch hat Papst Franziskus geschrieben.

Pater Joël macht auch in Deutschland von sich reden

Pädophilie in der Kirche ist zurzeit auch in Deutschland wieder ein grosses Thema. Diesen Sommer kam erneut eine Affäre aufs Tapet, in der es unter anderem um die Rolle von Georg Ratzinger geht. Zwischen 1964 und 2004, als der Bruder des früheren Papstes Benedikt XVI. die Regensburger Domspatzen dirigierte, wurden 67 junge Sänger Opfer von sexuellem Missbrauch.

Der Herder-Verlag, der Daniel Pittets «Pater, ich vergebe Euch!» eigentlich erst 2018 publizieren wollte, gibt das Buch nun doch jetzt heraus. Der deutsche Grossverlag hat die Rechte für 50'000 Euro dem französischen Verlag abgekauft und bewirbt es stark.

In der Schweiz wurden vom französischen Originaltitel bisher 6000 Exemplare abgesetzt. Die Zeitung «Bild» berichtet derzeit in einer dreiteiligen Serie über den Skandal, den BLICK im Februar dieses Jahres publik gemacht hat.

Pädophilie in der Kirche ist zurzeit auch in Deutschland wieder ein grosses Thema. Diesen Sommer kam erneut eine Affäre aufs Tapet, in der es unter anderem um die Rolle von Georg Ratzinger geht. Zwischen 1964 und 2004, als der Bruder des früheren Papstes Benedikt XVI. die Regensburger Domspatzen dirigierte, wurden 67 junge Sänger Opfer von sexuellem Missbrauch.

Der Herder-Verlag, der Daniel Pittets «Pater, ich vergebe Euch!» eigentlich erst 2018 publizieren wollte, gibt das Buch nun doch jetzt heraus. Der deutsche Grossverlag hat die Rechte für 50'000 Euro dem französischen Verlag abgekauft und bewirbt es stark.

In der Schweiz wurden vom französischen Originaltitel bisher 6000 Exemplare abgesetzt. Die Zeitung «Bild» berichtet derzeit in einer dreiteiligen Serie über den Skandal, den BLICK im Februar dieses Jahres publik gemacht hat.

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