Mann. Frau. Kind. Die Formel für Nachwuchs ist einfach. Eigentlich. Doch die Gesellschaft wandelt sich gerade fundamental: Das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes steigt seit Jahren an und liegt heute bei 30,9. Die Zahl der Singlefrauen nimmt zudem stetig zu.
Die Folge: Kinderlose Singlefrauen werden Single Mom by Choice. So nennt man Frauen, die sich bewusst alleine für ein Kind entscheiden. Nicht weil sie keinen Partner wollen, sondern weil sie keinen finden. Solo-Mütter gibt es immer mehr. Auch in der Schweiz.
Wir haben fünf Frauen getroffen, die ohne Partner Mutter wurden oder es wollen. Isabella* und Lisa* haben ein Kind dank Samenspende, Nina* ist im siebten Monat, Alexandra* hat es zweimal mit künstlicher Befruchtung versucht, ihr Wunsch ist noch unerfüllt, Marie* liess ihre Eizellen einfrieren, sie hofft noch immer auf «die romantische Variante».
Aktuelle Frage: Wer hat Zugang zu Samenspende?
Ihr Problem: Das, was sie tun, ist in der Schweiz verboten. Sie müssen ins Ausland reisen. In unserem Fortpflanzungsmedizingesetz heisst es: «Gespendete Samenzellen dürfen nur bei Ehepaaren verwendet werden.» Gemeint sind heterosexuelle Paare.
Die Frage «Wer hat Zugang zu Samenspende?» ist aktueller denn je. Die Politik gerät unter Druck. Kaum ein anderes europäisches Land hat so restriktive Gesetze wie die Schweiz. In diesen Wochen arbeitet die Nationale Ethikkommission an einer Stellungnahme dazu. Sie soll Ende Februar veröffentlicht werden, vorab wollte sie sich nicht äussern. Recherchen deuten aber darauf hin, dass die Kommission den Zugang aller Frauen zu Samenspenden erlauben will.
«Die Gesetzeslage in der Schweiz ist das grösste Problem», sagt Nina (35). Die Singlemütter sind wütend, fühlen sich diskriminiert. «Man sagt uns, dass wir nicht gut genug sind, ein Kind allein zu erziehen», sagt Alexandra (46). Eine ungewollte Schwangerschaft nach einem One-Night-Stand ist sozial anerkannter als die bewusste Entscheidung zur Samenspende. Auch wenn Samenspenderkinder absolute Wunschkinder sind.
«Es gibt so viele Kinder, die in schlimmen Verhältnissen aufwachsen»
Die Direktorin des Instituts für Biomedizinische Ethik der Uni Zürich, Nikola Biller-Andorno, ist für eine Öffnung und fordert eine breite gesellschaftliche Debatte. Das heutige Gesetz stamme aus den 90er-Jahren, da wurde gerade das Schaf Dolly geklont, und die Furcht vor Missbrauch bei Leben aus dem Reagenzglas war gross. Auf die Frage, warum es noch nicht geändert wurde, sagt sie: Die Gesellschaft sei oft weiter als die Politik. Aber es tue sich etwas.
Gemäss Biller-Andorno müssen wir uns fragen: Wie begründen wir die Einschränkung? Sie stehe im Gesetz beim Thema Kindeswohl, also gehe man davon aus, dass es dem Kind nur gut geht innerhalb einer Ehe. «Wir müssen uns verabschieden, dass nur Vater-Mutter-Kind glücklich sind. Wir kennen alle genug Gegenbeispiele», sagt die Ethikerin, die drei Kinder hat – mit Vater. Isabella (42), Mutter einer dreijährigen Tochter mittels Samenspende, sagt: «Es gibt keine Garantie, dass das traditionelle Familienbild funktioniert. Ich habe so viele tolle Menschen um mich, ich glaube nicht, dass es meinem Kind an etwas fehlen wird.»
Finanzielle und emotionale Belastung
Isabella, Lisa, Nina und Alexandra haben sich für eine Samenspende entschieden. Einem fremden Mann bei einem One-Night-Stand ein Kind unterzujubeln, «sei unethisch», «berge Risiken auf Krankheiten», und «man habe womöglich ein Arsch an der Backe». Co-Parenting, bei dem Frau und Mann gemeinsam Eltern werden, aber keine Beziehung haben, kam für keine in Frage. Sie alle wählten eine offene Samenspende. Dabei ist der Spender bekannt, und jedes künstlich gezeugte Kind ab seinem 18. Geburtstag hat das Recht, den Kontakt zum biologischen Vater herstellen zu lassen. Ihre Kinder sollten ihre Herkunft kennen. Isabella war mit ihrer Tochter schon öfters in Dänemark. In der Samenbank sah sie sogar den Tank mit dem Sperma ihres Spenders, und sie fand über eine geschlossene Facebookgruppe den Halbbruder ihrer Tochter in Norwegen. Mit ihm und seiner Mutter waren sie schon zu viert in den Ferien.
Dass sie und all die anderen Frauen ins Ausland müssen, finden die Frauen unzumutbar. Es ist eine emotionale und finanzielle Belastung. Nina sagt: «Wir haben in der Schweiz gute Ärzte, die das machen könnten.» Der Kinderwunsch ist längst ein lukratives Business. Auch in der Schweiz gibt es Kliniken, die nur auf die Öffnung dieses Geschäftszweigs warten.
Frankreich erkennt die Familie «in aller ihrer Diversität»
Solo-Müttern fehlt die Lobby, sie organisieren sich nicht politisch wie die Gay Community. Die wird bald einen Erfolg feiern, wenn die Vorlage «Ehe für alle» im März ins Parlament kommt. Es gibt Bestrebungen, die Samenspende auch für homosexuelle Paar zuzulassen – doch das Anliegen dürfte noch viel Zeit brauchen. Liberaler weht der Wind in Frankreich: Vorletzte Woche erhielten homosexuelle und alleinstehende Frauen das Recht, mit Hilfe von künstlicher Befruchtung schwanger zu werden. Sie freue sich, dass die Familie nun in all ihrer Diversität, Pluralität und in all ihrem Reichtum anerkannt werde, sagte Frankreichs Gesundheitsministerin. Ein weiteres Land, in das Schweizer Singlefrauen reisen, um Mutter zu werden. Dänemark, Schweden, Finnland, Spanien, Portugal, Irland, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Deutschland sind heute die Destinationen.
Die Münchner Klinik Cryobank spricht seit einiger Zeit bewusst Singles an. Von 2018 auf 2019 habe sich die Anzahl Singles in ihrer Klinik verdoppelt, sagt Constanze Bleichrodt, Chefin der Samenbank. Darunter seien auch Schweizerinnen. In Nordeuropa sind Singles bereits die grösste Kundengruppe der Samenbanken. Auf Nachfrage bei der weltweit grössten Samenbank Cryos heisst es: Singles machen 50 Prozent aus. Das sei in den letzten Jahren komplett auf den Kopf gestellt worden. Die meisten Frauen seien zwischen 31 und 40 Jahren, gefolgt von den 41- bis 45-jährigen. Eine Fertilitätsklinik aus Kopenhagen schreibt: «Wir haben recht viele Patientinnen aus der Schweiz, die meisten sind Singlefrauen.»
Beziehung und Elternschaft trennen
In der Schweiz ist die Offenheit gegenüber Reproduktionsmedizin bereits ziemlich gross, wie eine Umfrage der Partnervermittlung Parship unter 1000 Personen zeigt: Der Kinderwunsch ist bei Singles so stark, dass sich fast ein Drittel der Frauen (30 Prozent) und 24 Prozent der Männer vorstellen können, ohne passenden Partner ein Kind zu bekommen.
Psychologin Dania Schiftan sagt: «Frauen fühlen sich heute finanziell und emotional eher in der Lage, ohne Partner ein Kind zu bekommen.» Wer die Bedürfnisse Kind und Beziehung getrennt betrachte, übernehme eher Verantwortung für beide Lebensbereiche.
So sagt Marie (42), die ihren Kinderwunsch von A bis Z analysiert: «Ich will nicht nur einen Mann, damit ich ein Kind bekomme.» Aber für ein Kind läuft ihr die Zeit davon. Andere Solo-Mamas sind der Meinung, dass sie jetzt, ohne den Druck Mutter werden zu wollen, lockerer sind. Gleichzeitig ist ihnen bewusst, dass es mit Kind nicht einfacher ist, einen Partner zu finden.
Mehr Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch
Die Partnersuche, das Gesellschaftsproblem des 21. Jahrhunderts? Lange Ausbildungen, Karrierechancen der Frauen sowie späte Paarbeziehungen. Oder gar keine, weil sich niemand mehr binden will, weil jeder auf eine bessere Option wartet, weil die Partnersuche zum Markt wurde, wie es die Soziologin Eva Illouz formuliert – und so vielleicht auch das Erfüllen des Kinderwunschs.
Die Journalistin Annette Wirthlin porträtiert in ihrem Buch «Bye Bye, Baby?» Frauen im Wettlauf gegen ihre eigene biologische Uhr und interviewte Experten zum Thema Kinderwunsch. Gemäss den Fachleuten gebe es oft die Haltung, die moderne Medizin werde es schon richten. «Unsere Gesellschaft ist mit einer wachsenden Zahl von Frauen konfrontiert, bei denen irgendwann der Wunsch nach Kindern mit den Fakten der weiblichen Biologie in Konflikt kommt», schlussfolgert Wirthlin. Fazit: Die Anzahl an Frauen, die ihren Kinderwunsch nicht mehr erfüllen können, wird tendenziell zunehmen. Über allem steht eine ethische Frage: «Hat eine Frau denn ein Recht auf ein Kind, Frau Biller-Andorno?» – «Nein, aber wenn sie Probleme hat, hat sie ein Recht, es zu versuchen», sagt die Ethikerin.
Social Freezing wird immer beliebter
Marie (42), sehr attraktiv und sehr erfolgreich, liess mit 37 ihre Eizellen einfrieren. Das ist ihr Plan B. Marie ist Single und wollte nicht unter Druck stehen. Jedes Jahr kommt eine Rechnung für die Konservierung. «Das wird grad mal der Strom sein», sagt sie lachend. Aber eigentlich ist ihr nicht zum Lachen zumute: Sie dreht sich seit Jahren im Kreis: Soll ich es alleine durchziehen? Ist das egoistisch? Warum will ich ein Kind? Sie hofft immer noch, dass sie einen Mann kennenlernt und es auf natürliche Weise klappt.
Eine Umfrage bei Reproduktionsmedizinern in der Schweiz zeigt, Social Freezing wird immer beliebter. Der Alterungsprozess der Eizellen wird gestoppt, indem sie in flüssigem Stickstoff bei minus 196° Grad Celsius konserviert werden. Dabei dementieren die Mediziner das Klischee der Karrierefrau, die den Kinderwunsch aufschiebe. Patientinnen seien Mitte dreissig und hätten keinen Partner. Doch das Verfahren löst das Problem nicht, es schiebt es nur auf. Das weiss Marie.
Muttersein wirklich alleine durchzuziehen, sei schwer in der Schweiz, berichten die Solo-Mütter: Frauen sollen arbeiten, und Frauen sollen Kinder haben. Der Staat wolle zwar mehr Nachwuchs. Aber unterstützt werde man bei der Finanzierung der Krippe kaum. Das sei in Skandinavien ganz anders, deswegen seien Solo-Mamas da auch ganz normal. Man spricht immer von Familie und denke nur an Paare. Dabei ist es heute oft einfach: Frau. Kind.
* Namen bekannt
Insemination Künstliche Befruchtung durch direkte Injektion der Spermien in die Gebärmutter. Viele Frauen versuchen es zuerst mit dieser Technik, weil sie natürlicher und günstiger ist.
In-vitro-Fertilisation (IVF) Künstliche Befruchtung findet ausserhalb des Körpers statt. IVF ist besser planbar und die Erfolgschancen sind höher.
Social Freezing Eizellenreserve aus nicht medizinischen Gründen. Damit kann man die altersbedingte Reduktion der Fruchtbarkeit stoppen und bei Bedarf auf die jüngeren Eizellen zurückgreifen.
Insemination Künstliche Befruchtung durch direkte Injektion der Spermien in die Gebärmutter. Viele Frauen versuchen es zuerst mit dieser Technik, weil sie natürlicher und günstiger ist.
In-vitro-Fertilisation (IVF) Künstliche Befruchtung findet ausserhalb des Körpers statt. IVF ist besser planbar und die Erfolgschancen sind höher.
Social Freezing Eizellenreserve aus nicht medizinischen Gründen. Damit kann man die altersbedingte Reduktion der Fruchtbarkeit stoppen und bei Bedarf auf die jüngeren Eizellen zurückgreifen.