Silvia (90) und Walter Frei (91) aus Biel BE feierten letztes Jahr eiserne Hochzeit. Das Glück in ihrer Ehe dauert seit über 65 Jahren an. «Wir lernten zusammen laufen und als Vierjährige spielten wir bereits Hochzeit», sagt Walter Frei. Damals, in den gemeinsamen Ferien im Frühling 1931, im Engadin.
Schon die Mutter von Walter Frei war mit Silvias Mutter befreundet. Die beiden Frauen wurden fast gleichzeitig schwanger. «Der Vater von Silvia war auch mein Götti.»
Silvia wohnt damals in Bern, Walter in Luzern. Als er mit 20 ein Theologiestudium in Bern beginnt, sehen sich die beiden wieder öfters. «Mein Götti bestellte mich ein Mal pro Woche zum Nachtessen», sagt Frei. «Silvia und ich stellten dann fest, dass wir viele gemeinsame Interessen haben.»
Beim ersten Kuss sind beide 20. «Heute ist das bei verliebten Paaren sicher früher», lacht Silvia Frei. Fünf Jahre später heiraten sie. Sie studierte Gesang, war Konzertsängerin. Er war 30 Jahre lang Professor für Kirchengeschichte und Seelsorge an der Universität Bern und Lehrer für Musikgeschichte am Konservatorium in Biel.
600 gemeinsame Konzerte
«Wir wollten gern zusammen musizieren», sagt Walter Frei. «Das Mittelalter entdeckten wir zusammen.» Das Paar machte zusammen mittelalterliche Musik: Silvia sang und Walter spielte dabei als Bläser auf bis zu 15 Instrumenten.
Rund 600 Konzerte gaben die beiden. In der Schweiz, in Deutschland und auch in Frankreich. «Die Musik ist von innerer Ruhe und Heiterkeit. Das hat sich auf uns ausgewirkt», sagt Walter Frei. Er lächelt: «Wir waren schon sehr betonte Eigenbrötler, aber Gott sei Dank auf der gleichen Spur und dem gleichen Ton.»
Bis heute gehen die beiden zärtlich miteinander um. Ihre innige Liebe ist sofort spürbar und allgegenwärtig. Auch sonst scheinen Silvia und Walter Frei aus einem anderen Universum. Sie tragen bunte Kleider, die Silvia früher selbst nähte.
Glück muss man sich erarbeiten
Ihre Maisonette-Wohnung in der Bieler Altstadt liegt im vierten Stock: Nach fünfzig Treppenstufen wähnt man sich in einem Schloss: Hunderte von Antiquitäten, Büchern und zahlreiche Bilder schmücken die Räume.
«Ohne gemeinsame Interessen wäre es nicht gegangen. Sie gaben uns einen natürlichen Kitt», sagt Walter Frei. «Wir erfuhren das als eine Bereicherung.» Glück müsse man sich auch erarbeiten. «Wir lernten immer gemeinsam voneinander.»
Die zweite Leidenschaft von Silvia und Walter Frei ist die Kunstmalerei. «Silvia schaute immer zu, wenn ich malte. Sie wusste immer, welche Farbe oder welchen Pinsel ich jetzt brauche. Ich sagte ihr dann, sie solle es doch auch einmal probieren.»
Silvia Frei fing an, mittelalterliche Musiker zu malen. Die erste Ausstellung hat das Paar in Basel. Von da an stellten sie immer gemeinsam aus. «Unsere gemeinsamen Tätigkeiten haben uns erfüllt, darum wollten wir auch keine Kinder», sagen die beiden.
Jeden Tag ein Liebesgedicht
Bis heute schreibt Walter Frei seiner Frau jeden Tag ein Liebesgedicht. Kein simples, sondern eine «Sestine», das ist eine Troubadour-Lyrik des 12. Jahrhunderts. Die Gedichtform hat eine komplexe Wiederholungsstruktur der Reim- und Strophenform. «Da bin ich passioniert», sagt Walter Frei. «Das muss er machen», sagt seine Frau.
Walter Frei schreibt auch täglich seine Gedanken und Abhandlungen sorgfältig auf. «Meine ‹Apropos› umfassen 16'000 A4-Seiten. Ich will sie aber nicht veröffentlichen.»
Silvia und Walter Frei haben sich ein Refugium aus einer anderen Zeit geschaffen. Sie haben keinen Fernseher, kein Radio und auch keine Zeitung. «Wir haben das nie gebraucht. Wenn etwas Wichtiges passiert, erfahren wir das auch», sagt Walter Frei.
Auch ein Auto hatte das Paar nie. «Aus gutem Grund», sagt Walter Frei. «Wir sind technisch total unbegabt. Mit einem Auto wären wir schon längst tot.»
Walter und Silvia Frei reden lieber zusammen. Gemeinsam haben sie auch viele Bücher gelesen, vor allem von Philosophen. Sie tun das bis heute: «Einer liest vor und der andere hört zu. Dann reden wir darüber», sagt Walter Frei.
«Fremdgänge waren nicht nötig»
Auch beim Thema Sex redet er offen: «Das klappte immer. Fremdgänge waren nicht nötig.» Und überhaupt: «Die Leute haben eine sture Vorstellung, was normaler Sex ist.»
Gab es eigentlich auch einmal eine Ehekrise? «Nein. Wir hatten aber schon auch Krach», sagt er. «Ohne das geht es nicht. Mit dem Alter hört das aber etwas auf. Wir sind jetzt etwas vernünftiger.»
Ein früherer Nachbar nannte die beiden «Agapornis»: die Unzertrennlichen, eine Gattung von kleinen afrikanischen Papageien. «Das hat uns gefallen», sagen Silvia und Walter Frei. «Heute schaut man zu wenig darauf, ob gemeinsame Interessen da sind.»