Sie schuften gratis und haben keine Rechte
Das versteckte Leid der Bäuerinnen

Bäuerinnen haben ein hartes Los. Sie arbeiten viel, leiden nicht selten unter tyrannischen Schwiegereltern und stehen nach einer Trennung vor dem finanziellen Ruin. Der Bäuerinnen- und Landfrauenverband will mit einer neuen Anlaufstelle ihre Not lindern.
Publiziert: 10.09.2017 um 00:11 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:45 Uhr
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Bäuerin Luzia Berry (57) hat nach der Scheidung ihr Glück wieder gefunden.
Aline Wüst

Wir lassen uns die Bauern viel kosten, 2,8 Milliarden Franken waren es allein im letzten Jahr. Sie jammern trotzdem – der tiefe Milchpreis, die vielen Auflagen!

Wer nichts mit Landwirtschaft zu tun hat, zuckt mit den Schultern. Währenddessen nehmen die Suizide unter Landwirten zu, darunter von Männern unter 30 Jahren. Das ist schlimm, aber bekannt. Vergessen geht die Bäuerin. Ihr Leiden ist oftmals ein stilles.

Agnes Schneider (57) aus Ruswil LU berät Frauen in der Landwirtschaft, sie weiss von diesem Leiden: «Ich sehe häufig grosses Elend. Es laufen Dramen ab, die man sich gar nicht vorstellen kann.» Manchmal höre sie am anderen Ende der Leitung nur eine Stimme, die haucht: «Ich kann nicht mehr.»

Eine dieser Bäuerinnen ist die Bündnerin Luzia Berry (57). Auch sie hatte manchmal keine Kraft mehr, wusste nicht mehr weiter. 30 Jahre lang hat sie zusammen mit ihrem Mann einen Milchwirtschaftsbetrieb geführt, vier Kinder grossgezogen, den Haushalt geführt und sich mit Leidenschaft für den Hof eingesetzt. Sie bekam keinen Lohn dafür. Wenn alles zu viel wurde, gaben ihr die Kinder und die Natur Kraft, um durchzuhalten.

Kurz vor der Trennung von ihrem Mann eröffnete sie ein eigenes Konto, liess sich den Lohn ihres kleinen Wochenpensums als Lehrerin darauf überweisen. Sie habe ein schlechtes Gewissen gehabt deswegen. Mittlerweile ist sie geschieden. Sie musste die Arbeit auf dem Hof aufgeben und um das Geld kämpfen, das ihr zustand.

Oder Maria* (57). Auch sie war 30 Jahre lang Bäuerin: auf einem abgelegenen Hof, mit einer Schwiegermutter, der sie nichts recht machen konnte, die auch nachts einfach in die Wohnung trat, mit einem Mann, den nur der Hof und die Alp beschäftigten, dem es nicht wichtig war, dass seine Familie ein schönes Zuhause hatte oder dass es genug zu essen im Haus hatte

«Ich hatte einen Schutzengel»

Es klingt wie Geschichten aus einer anderen Welt, wenn sie erzählt, wie ihr Mann das Milchpulver für das Baby nicht heimbrachte. Das Kind hatte Hunger. Maria konnte nicht stillen. Stundenlang sei sie durch den Schnee gestapft, um die Trockenmilch zu holen. «Ich hatte einen Schutzengel, der mich vor Lawinen bewahrte.»

Maria arbeitete bis zum Umfallen, blieb, bis die Kinder gross waren. Auch aus Angst vor dem, was die Leute hinter ihrem Rücken erzählen würden. «Zum Glück lebe ich in dieser Generation, in der die Frauen weggehen können.» Viele ältere Bäuerinnen hätten ihren Mann gern verlassen, aber nicht gekonnt.

Oder Ruth* (53), die mit ihrem Mann so viel arbeite und Ende Monat die Rechnungen doch kaum bezahlen konnte. Als irgendwann der Preis für das Hühnerfutter den Erlös der Eier frass und der Milchpreis immer weiter sank, wurde ihr Mann ob all der Sorgen psychisch krank. «Die Last wurde so schwer, dass ich manchmal fast daran zerbrach.» Doch zerbrechen durfte sie nicht. «Irgendjemand musste stark sein.»

Jetzt gibt es ein Sorgentelefon

Heile Bauernwelt? Maria seufzt: «Die gibt es nicht mehr.»
Auf die oft vergessene Not von Frauen in der Landwirtschaft reagiert nun der Schweizer Bäuerinnen- und Landfrauenverband: Nächsten Monat lanciert er eine Anlaufstelle, die Bäuerinnen in Not anonym Hilfe vermittelt. Durch Fachpersonen in der ganzen Schweiz, die das bäuerliche Umfeld kennen. Der Verband hofft, die Frauen damit besser zu erreichen. Denn Hilfe wird oft zu spät geholt. Auch, weil sich viele schämen, bei einer kantonalen Stelle um Beistand zu bitten, wo jeder jeden kennt.

Verantwortlich für die Anlaufstelle ist KathrinBieri. Sie weiss, was Bäuerinnen quält: Generationenkonflikte, die schwierige wirtschaftliche Situation vor allem in der Milchwirtschaft, fehlende soziale Vorsorge bei Scheidungen und die hohe Arbeitslast. Erschwerend komme hinzu, dass sich bei Bauern immer alles auf engstem Raum abspielt: Manarbeitet, wo man wohnt.

Agnes Schneider wird künftig ebenfalls als Ansprechperson der neuen Anlaufstelle arbeiten. Schon heute kämpft sie für die Rechte der Bäuerinnen. Wenn sie sich öffentlich dafür ausspricht, dass jede von ihnen ein eigenes Konto braucht, erhält sie von manchen Landwirten üble Reaktionen: «Hetzen Sie die Weiber doch noch mehr auf!», heisst es dann.

Was passiert bei einer Trennung?

Dabei sind es meistens die Frauen, die bei einer Trennung ohne jegliche finanzielle Absicherung dastehen. Höfe werden in der Regel noch immer an die Söhne weitergegeben. Die Bäuerin, die nach der Hochzeit ihr ganzes Vermögen hergegeben hat, um Maschinen zu kaufen und jahrelang ohne Lohn mitarbeitete, steht bei einer Trennung oft vor dem finanziellen Ruin. Und manchmal auch vor der Frage: Soll der Mann den Hof verkaufen, um sie auszuzahlen?

Das ist ein Dilemma. Denn Bäuerinnen hängen an ihren Höfen. Und leiden nicht selten unter ihren Schwiegereltern, mit denen sie so nah zusammenleben wie heute noch kaum jemand sonst. Eine Bereicherung, wenn es gut geht. Ein Albtraum, wenn nicht.

Hinzu kommt der gesellschaftliche Druck. Es gibt Städter, die von Bäuerinnen verlangen, sie sollten ihr Haus gefälligst mit Geranien schmücken – «dafür habt ihr ja Direktzahlungen!»

Obwohl Luzia, Maria und Ruth viel Elend erlebt haben, lieben sie die Landwirtschaft noch immer. Sie vermissen die Kühe, den Garten, das Leben im Lauf der Jahreszeiten. Was sie jungen Bäuerinnen raten: Probleme sofort bereden, die rechtliche Situation schriftlich festhalten und, etwa durch einen Teilzeitjob, ihre Unabhängigkeit wahren.

* Namen der Redaktion bekannt

Editorial

Kommentar von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty

Liebe Leserin, lieber Leser

Ach ja: Neben der Abstimmung zur Rentenreform gibt es da auch noch jene zur sogenannten Ernährungssicherheit! Zwar weiss niemand, worum es geht, trotzdem dürften zwei Drittel der Stimmenden am 24. September Ja sagen. Diese Art von Sympathie ist symptomatisch für unser Verhältnis zur Landwirtschaft: Man denkt sich eine heile Welt mit glücklichen Tieren, glücklichen Menschen. Genaueres will man gar nicht erst wissen.

Die Beziehung der Bevölkerungsmehrheit zu den Bauern ist geprägt von wohlwollendem Desinteresse. Bester Boden für Missverständ-nisse.

Der Alt-Bauer und Agronom Jakob Weiss hat soeben ein Buch mit dem Titel «Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leise» veröffentlicht. Für Weiss bedeutet der Bauernberuf «die Berufung zur Pflege und Gestaltung von Lebenszusammenhängen». Industrielle Viehzucht und Feldbestellung jedoch lassen die Seelen der Bauern verkrüppeln.

In jedem Fall sind unsere Landwirte in vielen Welten zugleich daheim, die nicht zueinanderpassen. Die Organisationsform des Bauernbetriebs – ein Hof, eine Bauernfamilie – wurzelt in der Vormoderne. Aus dem 20. Jahrhundert stammt die Idee, dass jeder einzelne Hof einen gigantischen Maschinenpark unterhalten muss. Aus jüngster Zeit schliesslich stammt der Ruf nach immer mehr

Wettbewerb. Wobei sich die meisten Bauern der Masse verschreiben statt der Klasse: Von schweizweit 52 263 Bauernhöfen betreiben nur 6031 den biologischen Anbau. Die anderen stürzen sich in einen unsinnigen Konkurrenzkampf mit ausländischen Billigproduzenten.

Allerdings sind es nicht die Bauern, denen die Gleichzeitigkeit von vormoderner Organisationsform, industriellem Maschinenpark und neuzeitlichem Wirtschaftsdenken am meisten zu schaffen macht. ­Ihnen greift ja die Politik unter die Arme: Mit milliardenteuren Subventionspflastern wird der ärgste Schmerz der Bauernseele gelindert.

Allein gelassen in ihrer Zerrissenheit zwischen vorgestern und heute werden dagegen die Bauersfrauen. Ohne ihre Fronarbeit würde kein Hof auf einen grünen Zweig kommen. Bei einer Scheidung bleiben Land wie Betrieb freilich im Besitz des Mannes. Mit anderen Worten: Die Bäuerin ist auf Gedeih und Verderb an ihren Gatten und dessen Scholle gebunden. Ein Schicksal, wie man es sich fürs Mittelalter ausmalt, nicht aber fürs Jahr 2017.

Die Abstimmungsvorlage zur sogenannten Ernährungssicherheit ­fordert unmittelbar nichts Konkretes. Der neue Verfassungstext hält lediglich fest: Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln soll auch in Zukunft sichergestellt werden. Die Vorlage ist ein Bekenntnis zu eben jener Landwirtschaft, die Massenware für den heimischen Markt produziert. Die Seele der Bauern darf also weiterhin Schaden nehmen – solange es nur immer noch grössere Subventionspflaster und immer weitere Steuerprivilegien gibt.

Die Bäuerinnen mit ihren Nöten indes – sie ­backen weiter die kleinen Brötchen. Für sie richtet der Landfrauenverband jetzt ein Sorgentelefon ein.

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Gieri Cavelty

Gieri Cavelty: Chefredaktor SonntagsBlick
Gieri Cavelty: Chefredaktor SonntagsBlick
Paul Seewer

Kommentar von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty

Liebe Leserin, lieber Leser

Ach ja: Neben der Abstimmung zur Rentenreform gibt es da auch noch jene zur sogenannten Ernährungssicherheit! Zwar weiss niemand, worum es geht, trotzdem dürften zwei Drittel der Stimmenden am 24. September Ja sagen. Diese Art von Sympathie ist symptomatisch für unser Verhältnis zur Landwirtschaft: Man denkt sich eine heile Welt mit glücklichen Tieren, glücklichen Menschen. Genaueres will man gar nicht erst wissen.

Die Beziehung der Bevölkerungsmehrheit zu den Bauern ist geprägt von wohlwollendem Desinteresse. Bester Boden für Missverständ-nisse.

Der Alt-Bauer und Agronom Jakob Weiss hat soeben ein Buch mit dem Titel «Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leise» veröffentlicht. Für Weiss bedeutet der Bauernberuf «die Berufung zur Pflege und Gestaltung von Lebenszusammenhängen». Industrielle Viehzucht und Feldbestellung jedoch lassen die Seelen der Bauern verkrüppeln.

In jedem Fall sind unsere Landwirte in vielen Welten zugleich daheim, die nicht zueinanderpassen. Die Organisationsform des Bauernbetriebs – ein Hof, eine Bauernfamilie – wurzelt in der Vormoderne. Aus dem 20. Jahrhundert stammt die Idee, dass jeder einzelne Hof einen gigantischen Maschinenpark unterhalten muss. Aus jüngster Zeit schliesslich stammt der Ruf nach immer mehr

Wettbewerb. Wobei sich die meisten Bauern der Masse verschreiben statt der Klasse: Von schweizweit 52 263 Bauernhöfen betreiben nur 6031 den biologischen Anbau. Die anderen stürzen sich in einen unsinnigen Konkurrenzkampf mit ausländischen Billigproduzenten.

Allerdings sind es nicht die Bauern, denen die Gleichzeitigkeit von vormoderner Organisationsform, industriellem Maschinenpark und neuzeitlichem Wirtschaftsdenken am meisten zu schaffen macht. ­Ihnen greift ja die Politik unter die Arme: Mit milliardenteuren Subventionspflastern wird der ärgste Schmerz der Bauernseele gelindert.

Allein gelassen in ihrer Zerrissenheit zwischen vorgestern und heute werden dagegen die Bauersfrauen. Ohne ihre Fronarbeit würde kein Hof auf einen grünen Zweig kommen. Bei einer Scheidung bleiben Land wie Betrieb freilich im Besitz des Mannes. Mit anderen Worten: Die Bäuerin ist auf Gedeih und Verderb an ihren Gatten und dessen Scholle gebunden. Ein Schicksal, wie man es sich fürs Mittelalter ausmalt, nicht aber fürs Jahr 2017.

Die Abstimmungsvorlage zur sogenannten Ernährungssicherheit ­fordert unmittelbar nichts Konkretes. Der neue Verfassungstext hält lediglich fest: Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln soll auch in Zukunft sichergestellt werden. Die Vorlage ist ein Bekenntnis zu eben jener Landwirtschaft, die Massenware für den heimischen Markt produziert. Die Seele der Bauern darf also weiterhin Schaden nehmen – solange es nur immer noch grössere Subventionspflaster und immer weitere Steuerprivilegien gibt.

Die Bäuerinnen mit ihren Nöten indes – sie ­backen weiter die kleinen Brötchen. Für sie richtet der Landfrauenverband jetzt ein Sorgentelefon ein.

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Gieri Cavelty

 

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