Die Einsamkeit ist ein Thema, das man immer wieder in Liedern, Filmen und Büchern findet und das Künstler stets für neue Werke inspiriert. Céline Dion besingt sie in «All by Myself», Pink Floyd in «Wish You Were Here», die Beatles in «Yesterday» und «Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band», Johnny Cash in «Oh Lonesome Me».
Auf der Leinwand thematisiert sie Oscar-Preisträger Guillermo del Toro in «Shape of Water», und in Robert Zemeckis «Forrest Gump» und «Cast Away» ist sie zentral. Auch in der Literatur sind einsame Menschen omnipräsent – bei Hermann Hesse im «Steppenwolf», bei Scott Fitzgerald in «Der grosse Gatsby» und bei J. D. Salinger im «Fänger im Roggen» – und Anna Gavalda schrieb über sie ein Buch mit dem ironischen Titel «Zusammen ist man weniger allein».
Sogar in Shakespeares klassischem Liebesdrama «Romeo und Julia» spielt Einsamkeit eine wichtige Rolle. Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich (47) von der Universität Bern weiss: «Julia tötet sich, weil sie sich ohne Romeo unerträglich einsam fühlt. In der Literatur kommt Einsamkeit oft in Verbindung mit dem Motiv Liebestod vor.»
Auch im wirklichen Leben sterben einsame Menschen früher, sagen Studien. Sie sind anfälliger für Krankheiten, Sucht und Depression. Kurz: Allein sein ist schrecklich und tödlich! Doch was finden Künstler so inspirierend an diesem Gefühl?
Ohne Einsamkeit kann nichts entstehen
Die Psychotherapeutin Johanna Friedli (53) erklärt: «Es kommt auf das Erleben an, ob sich jemand der Einsamkeit hilflos ausgeliefert fühlt oder von ihr inspiriert wird.» Dabei werde zwischen emotionaler und sozialer Einsamkeit unterschieden. Bei der emotionalen Einsamkeit bestehe ein soziales Umfeld, aber den Betroffenen fehle ein Mensch, dem sie sich verbunden fühlen und in dem sie eine Vertrauensperson sehen. Bei der sozialen Einsamkeit sei die betroffene Person sozial schlecht integriert und habe wenig enge Kontakte. «Das kann unfreiwillig geschehen, aber es kommt auch oft vor, dass Menschen die soziale Einsamkeit freiwillig suchen», so Friedli.
In der bewusst erlebten und freiwilligen Einsamkeit liegt laut der Psychologin nämlich auch ein grosses schöpferisches Potenzial: Gewisse Menschen brauchen ein bestimmtes Mass an Einsamkeit – nicht zuletzt für ihre Kreativität. Sie sehen sie als Möglichkeit, sich selber ungestört besser kennenzulernen. Viele Künstler können ihr Potenzial ohne Einsamkeit nicht richtig entfalten. Schliesslich sagte schon Picasso: «Nichts kann ohne Einsamkeit entstehen.»