Er: der Mann im Schatten. Sagen viele. Zwischen allen Stühlen. Sagen andere. Die Realität freilich ist: Der Mann sitzt auf allen Stühlen. Überall dort, wo in den vergangenen Jahren Schweizer Tennis-Geschichte geschrieben worden ist, war Severin Lüthi (38) nahe dran. Näher jedenfalls als jeder andere in diesem Land. 1994 stand er zusammen mit der damals 14-jährigen Martina Hingis in der Schweizer Delegation der Junioren-EM U18 in Klosters GR, sechs Jahre später engagierte die inzwischen zur Nummer eins der Welt Aufgestiegene Severin Lüthi für 200 Dollar am Tag als temporären Sparringspartner – «es braucht starke Männer, um Martina Hingis so richtig zum Schwitzen zu bringen», kommentierte damals der BLICK. 2002 engagierte der Schweizer Fedcup-Team-Chef Zoltan Ku-harszky seinen Tennis-Kumpel als Sparringspartner für das Damen-Pendant zum Davis Cup – mit Lüthi hatte Kuharszky bei GC Schweizer Spitzentennis gespielt. Tja, und dann betrat Lüthi die ganz grosse, die globale Tennis-Bühne: als Coach von Roger Federer, Berater von Stan Wawrinka und Teamchef des historischen Davis-Cup-Siegers von 2014.
Bescheidener Auftritt
Jetzt steht Severin Lüthi im Licht. Im Zentrum der Tennis-Nation Schweiz. Er ist immer dabei und sieht doch immer aus, als gehörte er nicht dazu. Als stünde er zufällig dort, wo Tennis-Geschichte geschrieben wird. Das Haar meist ungezähmt von jedem Kamm, das Barthaar meist tagelang unberührt von Schaum und Klinge. Typ ewiger Student, der er vorübergehend war, der Nebensächlichkeiten im Äusseren keine Dringlichkeit beimisst. Stattdessen dieser meist leicht skeptische Blick, der nur in seltenen Augenblicken ein Lächeln zulässt. Ausdruck des Feuers, das tief im Innern lodern muss, in Schach gehalten durch Selbstkontrolle. In diesem Business ist das die Professionalität des Tennisspielers, der auf den nächsten Punkt fokussiert ist. Das Spiel, der Punkt, der Satz: Das ist auch die Welt des Severin Lüthi.
André Agassi, der US-Tennis-Champion, schrieb einst in seiner Autobiografie «Open»: Der Tennisspieler spürt den Sieg, wenn ihn die Grundlinie anzieht. So gesehen ist Severin Lüthi ein Leben lang von der Grundlinie angezogen worden. Zwei Jahrzehnte als Spieler, der 1992 an der Junioren-Schweizer-Meisterschaft auf «einen kleinen Dünnen mit einhändiger Rückhand» trifft, wie er sich erinnert – es ist der elfjährige Roger Federer. Während jener in den folgenden Jahren an die Weltspitze stürmt, schafft es Lüthi lediglich bis auf Platz 622 der ATP-Weltrangliste, realisiert, dass es für die ganz grosse Tennis-karriere nicht reicht. Fast trotzig, wie Ehrgeiz ohne Ventil, klingt es, wenn Severin Lüthi sich heute daran erinnert. «Ich wollte ganz nach oben», sagt er, «nicht irgendwo zwischen Rang 50 und 100 pendeln.»
Im Tennis ganz oben
Nach oben also. Und so blieb Severin Lüthi auf der Tour. Wechselte lediglich seine Spielanlage. Vom Spieler zum Coach, Berater und Freund. In dieser Disziplin war und ist er ungeschlagen. Nun hat er mit der goldenen Schweizer Tennis-Generation die Nationen-Weltmeisterschaft gewonnen. Höher geht nicht.
Erklärungen? Severin Lüthi ist so etwas wie Schweizer Qualität. Bescheiden, aber selbstbewusst. Einer, der weiss, wer er ist und wo sein Platz ist. Eine Art Tüftler, der aus den vorhandenen Ressourcen das Beste herausholt – auch im Wissen, dass die Ressourcen im Schweizer Tennis exquisit sind wie noch nie. Er ist der Captain des Davis-Cup-Teams, der Stanislas Wawrinka sein Ohr leiht, wenn Zweifel kommen. Und Severin Lüthi ist auch stets nah genug am grossen Maestro Roger Federer, um dessen Feuer für den Nationen-Cup zu spüren. Deshalb wurde der Sog auf die Grundlinie für die Schweizer an jenem historischen 23. November 2014 so unwiderstehlich.
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