Seltsame Gutachten
Gesundbeter als IV-Arzt

Er glaubt, Gebete könnten Zähne flicken. Und dieser Arzt entscheidet, ob es IV gibt.
Publiziert: 29.10.2008 um 22:59 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 23:00 Uhr
Von Adrian Schulthess

Der IV-Arzt ist dick im Geschäft. Das Institut von Bünjamin Y.* (38) hat schon Tausende von Gutachten erstellt. Von Luzern bis Basel schicken ihm IV-Stellen Patienten. Von seinem Urteil hängt ab, wie viel Rente ein Antragsteller bekommt. Falls überhaupt.

«So ein Gutachten kostet Tausende von Steuerfranken und ist am Ende oft nichts wert», ärgert sich Anwalt Rémy Wyssmann. «Es gibt eben auch Scheingutachter.»

IV-Arzt Bünjamin Y. sei so einer, sagt Antwalt Wyssmann. Und schildert den Fall einer Klientin. Sie sei depressiv und arbeitsunfähig, sagt Wyssmann. Laut einem Gutachten aus dem Institut des IV-Arztes ist die Frau aber geheilt.

Doch: «Wenige Seiten voneinander entfernt findet man eindeutige Widersprüche.» Im Gutachten wird ihr «wenig Interesse an Sexualität» attestiert. Und dann plötzlich «keine Libidominderung».

Diesem Gutachten traut auch das Luzerner Verwaltungsgericht nicht mehr: Die bereits angesetzte Verhandlung ist abgesagt. Zuerst muss ein neues Gutachten her.

Auch Irja Zuber Hofer, Anwältin beim Invaliden-Verband Procap, kennt die seltsamen Gutachten. «Auffallend ist, dass die Einschätzung jeweils sehr streng ausfällt.» Bünyamin Y. sei ein Hardliner.

Ein Hardliner mit dem Segen Gottes? In einem Interview mit der «Berner Rundschau» von 2002 trat er als Vertreter der Vineyard-Bewegung auf: eine christliche Freikirche, deren Anhänger an prophetische Träume glauben.

Das Wirken Gottes äussere sich auch in Heilungswundern, liess sich der IV-Arzt damals zitieren: «Ich habe erlebt, wie ein Loch in einem Zahn sich durch Gebet innerhalb einer Stunde geschlossen hat. Ein Furunkel verschwand in einer halben Stunde.»

Für Anwältin Zuber ist klar: «Das ist jemand, der an Wunderheilungen glaubt», sagt sie. «Jemand mit so einer Grundhaltung glaubt, dass sich die Betroffenen nicht genug anstrengen. Sonst könnten sie sich ja gesundbeten.»

Der IV-Arzt weist die Gesundbeter-Vorwürfe von sich. «Das Interview ist sechs Jahre her. Der Text gab schon damals meine religiöse Haltung nicht korrekt wieder.»

Sein Glaube sei privat und habe auf seine Tätigkeit keinen Einfluss. «Die erstellten Gutachten werden durch den Auftraggeber und durch die zuständigen Gerichte rechtlich gewürdigt und zu keinem Zeitpunkt wurden geringste Hinweise für Aussagen abseits der Schulmedizin beanstandet.»

Kürzlich wurde Procap-Anwältin Zuber bei der IV-Stelle Solothurn vorstellig. Wieder gings um ein seltsames Gutachten von Bünjamin Y.

*Name der Redaktion bekannt

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