Vorsichtig legt Tim (11) das kleine Messer an den Stiel der exotisch anmutenden Blume. Die orange Blüte hält er Richtung Boden, wie es ihm gesagt wurde. Dann schneidet er mit einer raschen Bewegung das Ende des Stiels ab. Danach ordnet er die einzelnen Blumen spiralförmig an und stellt sie vorsichtig in die Vase.
Im Verkaufsraum des Familienunternehmens Bacher Gartencenter in Langnau am Albis ZH stehen schon zig andere Bouquets in gläsernen Behältern. Einige von ihnen hat Tim heute Morgen vorbereitet: «Ich habe die Blumen gerüstet, Blätter abgezupft und die Stängel geschnitten», sagt er und streicht sich durch die dunklen Haare mit den blau gefärbten Spitzen. Tim ist einer von 51 Buben, die am 8. November in der ganzen Schweiz in den Floristik-Beruf rein schnupperten: «Ein Tag als Florist» ist eines von drei neuen Spezialprojekten die im Rahmen des nationalen Zukunftstages lanciert wurden.
Der Zukunftstag entstand 2001 im Rahmen eines Lehrstellenprojektes, damals hiess er noch «Tochtertag». Das Projekt wird von Gleichstellungsfachstellen und -kommissionen verschiedener Kantone organisiert und findet immer am zweiten Donnerstag im November satt.
Buben schnuppern in der Pflege, Mädchen auf dem Bau
Unter dem Motto «Seitenwechsel» sollen Fünft- bis Siebenklässler Erwachsene bei der Arbeit begleiten und so einen Einblick in die Arbeitswelt gewinnen – im besten Fall in einem Bereich, der für ihr Geschlecht eher ungewohnt ist. Oder sie können sich für eines der Spezialprojekte anmelden. Dann schnuppern Jungen etwa in der Pflege oder im Schulwesen, arbeiten einen Tag als Tierarzt oder Ergotherapeut mit. Mädchen versuchen sich währenddessen als Informatikerinnen, Bauarbeiterinnen oder Schreinerinnen, blicken in den Alltag einer Bäuerin.
Das Motto der Organisatoren: Durch den Zukunftstag sollen Mädchen und Jungen lernen, ihre Zukunft losgelöst von starren Geschlechtsbildern anzupacken. Damit soll die Gleichstellung von Frau und Mann bei der Berufswahl und Lebensplanung frühzeitig gefördert werden. «Da Jugendliche häufig denken, dass untypische Berufe für sie gar nicht in Frage kommen, wollen wir sie am Zukunftstag motivieren, sich diese näher anzuschauen und sich bei der Berufswahl stärker von ihren Talenten und Interessen leiten zu lassen», sagt Judith Schläppi, Projektmitarbeiterin des Zukunftstages.
«Alle können alles»
Grundsätzlich stünden zwar allen die gleichen Ausbildungsgänge offen, heisst es in der Broschüre der Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann des Kantons Zürich. Trotzdem sind etwa bei jungen Männern Berufe im technischen Bereich oder im Bauwesen noch immer am häufigsten. Und Mädchen wählen meistens Ausbildungen in den Bereichen Gesundheit, Soziales oder Büroarbeit. Darum setzen die Spezialprojekte des Zukunftstages genau bei jenen Berufen an, in denen noch immer vermehrt das eine Geschlecht vertreten ist. Wie eben auch in der Floristik: Im Kanton Zürich kommen auf 98 Floristinnen nur zwei Floristen – das zeigen Zahlen, die die Bildungsstatistik 2017 erhoben hat. Es ist anzunehmen, dass die schweizweiten Zahlen nicht gross davon abweichen.
Warum das so ist, erklärt sich Tim mit Vorurteilen: Manche würden vielleicht denken, Blumen seien nur etwas für Frauen, doch das stimme nicht. Für ihn ist ganz klar, dass auch Männer diesen Beruf ausüben können: «Alle können alles», findet er. «Ich wollte gerne mal schauen, wie Floristen arbeiten. Mich faszinieren Pflanzen.» Er könnte sich gut vorstellen, später einmal Florist zu werden, sagt er, während er mit den Fingern über eine Blüte fährt. Zuhause verbringt er denn auch gerne Zeit im Garten, besonders im Sommer. Ein Sträussli gemacht hat er aber noch nie.
Unterschiede zu Mädchen, die bei ihr schnuppern kamen, habe Daniela Boxler bei der Arbeit mit dem 11-Jährigen wenig bemerkt. Aber es habe sie erstaunt und gefreut, wie interessiert sich Tim gegeben habe. «Er hat sehr viel gefragt, war unbeschwert und sehr engagiert», sagt sie. Und Tims Fazit? »Es war cool, Florist ist ein toller Job.»
Viele haben das Gefühl, die Floristik sei zu feminin
Würde Tim später tatsächlich mal Florist werden, wäre er ein seltenes Gewächs in der Blumen-Branche. Das kann auch Bruno Bacher bestätigen. Als Inhaber des Gartencenters hat er in seiner fast 50-jährigen Karriere noch nie eine Bewerbung eines Floristen auf dem Tisch gehabt. Er glaubt, dass vor allem alte Denkmuster schuld daran seien, dass Männer in diesem Metier so selten sind. Daniela Boxler, Floristin im Gartencenter und für einen Tag Chefin von Tim, erklärt es sich vor allem mit dem Ruf des Jobs. Viele hätten wohl das Gefühl, er sei zu feminin. «Aber das täuscht – wir hämmern und schweissen auch, arbeiten handwerklich und blüemele nicht nur», sagt sie.
Sie fände es toll, wenn mehr Männer als Floristen arbeiteten. »Männer würden vielleicht etwas mehr Ruhe in die Teams bringen und ihre Sichtweise auf die Dinge wäre auch spannend.» Immerhin: Im Alltag merke sie eine Veränderung, sagt sie. Immer mehr Männer würden etwa bei der Hochzeitsfloristik auch ernsthaft mitreden und zeigten Interesse am Blumenschmuck.
Tim war der allererste Florist im Gartencenter der Familie Bacher. Vielleicht wagen es bald auch andere Buben oder Männer, in den Beruf einzutauchen. Geschäftsinhaber Bruno Bacher würde es freuen: «Wir würden gerne einen Floristen einstellen!»