Schweizer Schütze in Hamburg gefasst
Ist die Schweiz zu nett zu Nazis?

Sebastien Nussbaumer (24) schoss am Samstag in Zürich einen Mann nieder. Dabei sollte er im Knast sitzen! Die Hintergründe eines Justiz-Skandals.
Publiziert: 08.05.2012 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2018 um 12:29 Uhr
Von Adrian Schulthess

Als der ICE 992 gestern Morgen im Hamburger Bahnhof Harburg (D) ankommt, steht das Empfangskomitee der Bundespolizeiinspektion bereit. 40 Beamte warten auf ihren Einsatz. Sebastien Nussbaumer (24) ahnt nichts. Die schwer bewaffneten Polizisten lassen den flüchtigen Schweizer Neonazi aussteigen. Um 3.10 Uhr überrumpeln sie ihn.

Der Grenchner lässt sich widerstandslos festnehmen. In seinem Rucksack finden die Polizisten eine Schusswaffe. Das Magazin ist gefüllt!

Mit grosser Wahrscheinlichkeit die Waffe, mit der Nussbaumer in der Nacht auf Samstag in Zürich einem Aargauer (26) zweimal in den Oberkörper schoss (BLICK berichtete).

Verbindungen zur Hamburger Szene

Dass Nussbaumer nach Hamburg türmte, ist kein Zufall. Seine Freundin lebt in einem Vorort, er engagiert sich in der Hamburger Nazi-Rockgang «Weisse Wölfe Terror-Crew». Als Verbindungsmann gilt der ausgewanderte Berner Oberländer Neonazi Jonas S.*(29).

Ihn soll er vom 22. April bis zum 20. Mai 2008 erstmals länger besucht haben. An der 1.- Mai-Nazidemo stach er Beobachtern damals durch besonders eifrige Hitlergrüsse ins Auge. Offenbar schaffte er auf dieser Reise auch eine Remington-Schrotflinte nach Deutschland. Ihr Verbleib ist ungewiss.

Zu 39 Monaten Haft verurteilt

Dieser Verstoss gegen das Schweizer Waffengesetz gehört zu jenen 44 Delikten, für die Nussbaumer im Mai 2010 vor dem Amtsgericht Solothurn-Lebern stand. Der Staatsanwalt beantragte 20 Monate Haft. Der Richter sprach 40! Und steckte Nussbaumer sofort in Sicherheitshaft. Nach fünf Monaten und mehreren Haftentlassungsgesuchen kam der Nazi wieder frei. Mit einigen Auflagen, darunter regelmässiger Kontakt mit der Bewährungshilfe.

«An die Auflagen hat er sich eineinhalb Jahre lang gut gehalten», sagt der Solothurner Oberrichter Hans-Peter Marti. Er war einer der Richter, die Nussbaumer am 11. Januar 2012 in zweiter Instanz zu einer Freiheitsstrafe von 39 Monaten verurteilten. Und ihn nicht zurück in die Sicherheitshaft steckten. «Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Hätte ich doch anders geurteilt», sagt Marti. «Aber mit dem Wissensstand Mitte Januar müsste ich wieder gleich urteilen.»

Nussbaumer zieht das Urteil ans Bundesgericht weiter. Dort ist der Fall immer noch hängig. Die Auflagen des Gerichts sind Nussbaumer schon lange egal.

Der Neonazi hielt sich nicht an die Auflagen

«Noch im Januar dieses Jahres gelang es unserer Bewährungshilfe nicht mehr, Kontakt zu Herrn Nussbaumer herzustellen. Dies hat sie am 27. Januar dem Obergericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt», sagt Paul J. Loosli, stv. Chef des Solothurner Amts für Justizvollzug.

Trotzdem bleibt Nussbaumer auf freiem Fuss. «Wir haben uns an seinen Anwalt gewandt und ihn so eindringlich gebeten, seine Auflagen einzuhalten», sagt Oberrichter Marti. «Ich gebe ja zu, das ist ein relativ schwaches Mittel. Aber das Gericht hat in diesem Fall keine Sanktionierungsmöglichkeiten.»

Im Klartext: Der notorische Neonazi-Schläger war drei Monate unkontrolliert auf freiem Fuss. Sebastien Nussbaumer konnte tun, was er wollte.

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