Herr Zwicker, das Bundesverwaltungsgericht bezeichnet Sie als Sicherheitsrisiko. Sie sind ein gestandener Oberleutnant. Haben Sie so ein Urteil erwartet?
Gibril Zwicker: Es ist schwierig zu sagen, was ich erwartet habe. Sehen Sie, es ist ein politisch orientiertes Urteil. Das Ganze ist so gehalten, dass möglichst wenig Probleme nach dem Urteil entstehen.
Nochmals: Fühlen Sie sich als Sieger oder als Verlierer?
Weder als Sieger noch als Verlierer. Ich sehe, dass in diesem Land seit dem Minarettverbot keine Gleichberechtigung zwischen den religiösen Gruppen besteht. Aus meiner Sicht ist das ein Armutszeugnis für die Armee – in vielerlei Hinsicht.
In welcher?
Dass unsere Armee ihre wertvollen Ressourcen für solche Lappalien wie diesen Prozess verbraucht. Dass da Steuergelder für solchen Mumpitz zum Fenster rausfliegen.
Mumpitz? Andere sehen den Entscheid als relevant an für die Sicherheit der Schweiz.
Es ist lächerlich, dass so vorgegangen wird – ausgerechnet gegen mich, der sich im Militär nie etwas zuschulden hat kommen lassen. Der nie gewalttätig wurde. Die Militärbehörde hat mich zu einem Terroristen abgestempelt.
Das tönt, als würden Sie sich in Ihrem Stolz gekränkt fühlen.
Ja. Ich fühle mich verraten aus den eigenen Reihen. Ich habe stets meinen Militärdienst geleistet. Ich habe mich stets korrekt gegenüber meinen Vorgesetzten, meinen Unterstellten, meinen Kameraden verhalten. Man hat mich einfach aus Überlegungen, die aus meiner Sicht durch ein Mitreiten auf einer islamfeindlichen Trendwelle erfolgten, vor den Kopf gestossen.
Was haben Sie denn erwartet bei Ihrem Coming-out als Konvertit in der Armee?
Ich habe erwartet, dass man mich meine Religion ausleben lässt. Genau gleich wie man einen Hindu, einen Christen oder einen Juden seinen Glauben ausleben lässt.
War das nicht ein wenig naiv?
Schauen Sie, ich habe nichts getan, was die Grenzen des Üblichen überschreitet. Nichts, was nicht akzeptabel für das Militär gewesen wäre.
Sie hatten Zugang zu geheimen Informationen. Das ist doch ein Grund zur Sorge – bei einem Gesinnungswandel wie dem Ihren?
Es stimmt, ich hatte Zugang zu geheimen Informationen. Ich war der Zugführer vom Werkschutzzug. Das ist wie Bunkerfeuerwehr. Und Feuer in geschlossenen Räumen ist sowieso ein heikles Thema. Zudem waren da rund 45 Leute mir unterstellt.
Was für geheime Informationen?
Das darf ich nicht sagen.
Waren es strategische Angaben? Oder Militärmobilien? Oder ging es um den Bundesratsbunker?
Ich darf dazu nichts sagen. Weder im noch nach dem Militärdienst. Nebenbei: Was hat das damit zu tun, dass ich Vollbart trage und fünf Mal am Tag bete. Ich setze meine Gebete zeitlich so an, dass ich den Betrieb nicht störe.
Das geht im Militär?
Ja, man hat immer Pausen. Es gibt den Spruch: Man rennt, um zu warten, und man wartet, um zu rennen.
Offenbar fanden Ihre Vorgesetzten Ihre Gesinnung zu Beginn okay.
Meine erste Sicherheitsprüfung war 2007. Zum Islam konvertiert bin ich 2008. Meine Gesinnung war kein Problem. 2008/2009 hatten wir Besuch vom Bataillonskommandanten. Er hat mich gefragt, ob ich konvertiert bin, und ich habe mit ihm darüber gesprochen. Er fand das cool.
Und Sie haben weitergemacht.
Ja. Ich habe mich als Übermittlungsoffizier gemeldet. Es folgte eine weitere Sicherheitsprüfung Ende 2009. Sie wurde im Januar 2010 positiv abgenommen. «Kein Sicherheitsrisiko», hiess es damals.
2010 geriet auch der IZRS in die Schlagzeilen. Sie selbst fielen mit Sätzen auf wie: «Frauen mit dem Stock zu schlagen», sei gemäss Scharia unter Umständen nötig.
Ich wusste schon, was es heisst, als eines Tages der Sektionschef vor meinem Haus stand. Er zitierte mich ins Gemeindehaus und ich musste dort mit einer Unterschrift meine Einwilligung zu einer wiederholten Sicherheitsprüfung geben. Ein paar Wochen später erhielt ich eine Einladung nach Bern, für den 25. Mai.
Was geschah in Bern?
Ich wurde vier Stunden lang von drei Leuten befragt. Zwei waren Profiler und einer war von der militärischen Sicherheit. Sie warfen mir «extremistische Tendenzen» vor.
Haben die Befrager die «extremistischen Tendenzen» Ihnen gegenüber ausgeführt?
Ja. Eine extremistische Tendenz ist, dass ich behauptet habe, der Islam sei für mich die einzig wahre Religion und die anderen würden nicht recht haben. Man warf mir vor, ich könne doch nicht eine solche Aussage machen. Sicher kann ich. Wenn Sie einen Christen fragen oder einen Seelsorger, sagen die das Ihnen auch so. Man kann nicht von mir erwarten, dass ich meinen Glauben verrate zum Wohlgefallen von Leuten, die das nicht verstehen.
Ein Fleck in Ihrem Reinheft ist die Haschbusse von 300 Franken.
Was passiert ist, ist passiert. Es war nicht richtig. Doch die Profiler haben gemeint, es könne ja sein, dass ich als Leutnant wieder in die Situation komme, Cannabis zu konsumieren. Ein Widerspruch. Seit ich konvertiert bin, lebe ich meine Religion so, dass ich keine Angst habe, je Cannabis oder Alkohol anzufassen.
Bedeutet Ihnen das Militär noch etwas, nach all dem?
Das Militär war für mich etwas Schönes und Wichtiges. Ich ging gerne hin, habe die Kameradschaft genossen, das strukturierte Arbeiten. Das Militär hat mir viel beigebracht. Das Arbeiten mit Untergebenen. Wie man Leute dirigieren muss, menschliche Schwächen einbeziehen soll.
Sind Sie ein Patriot?
Ja. Ich liebe mein Land, ich lebe gerne hier. Ich will das Land nicht verlassen. Ich finde es schade, dass wir nicht ein wenig mehr in Toleranz miteinander leben können. Solange ich niemandem auf die Füsse trete, kann ich machen, was ich will.
Beisst sich das nicht, wenn man von Patriotismus spricht, aber streng praktizierender Muslim ist?
Hören Sie, ich weiss bis heute nicht, welche Gefahr von mir ausgeht. Man sagt zwar, ich habe Gefahrenpotenzial. Aber ich hatte noch nie eine Schlägerei, war noch nie in U-Haft.
Aber Sie leben nach der Scharia.
Aber das ist nur ein Attitüde, die sich geändert hat – nicht meine psychische Konstitution.
Woher soll die Armee das wissen? Die haben keine Sicherheiten in Bezug auf Ihre Person.
Sollten sie aber. Vor allem die Profiler der Sicherheitsprüfung. Bei den psychologischen Gutachten muss man sehen: Es gibt Leute, die sind viel gefährlicher für die innere Sicherheit, als ich es bin.
Trotzdem hat man Ihnen die Armeewaffen weggenommen.
Das stimmt nicht. Zwar wollten sie mir den Dienst mit der Waffe verbieten, aber die Waffen waren während des Verfahrens zu Hause.
Die Armee meint, Ihr Gesinnungswandel sei sehr schnell vorangeschritten. Somit könne es bei Ihnen in Zukunft Richtung Extremismus gehen. Es ist ja nicht normal, dass man Partei ergreift für einen Herrn Vogel.
Vogel ist – genau so wie Blancho, Illi und ich – überzeugt von dem, was wir tun. Wir machen keinen Schritt zurück, nur weil es jemandem nicht in den Kram passt. Das wird uns als Extremismus vorgeworfen.
Der Vorwurf ist nicht, dass der Islam gefährlich ist, sondern dass Sie die Scharia gutheissen.
Die Scharia ist der Islam. Der Islam ist die einzig wahre Religion. Die Religion von Gott. Was er als Offenbarung durch Mohammed uns aufträgt. Aus dem Koran entsteht ein abgeleitetes Gesetz. Wir sind ein freies Land. Wenn ich also der Meinung bin, dass die Scharia besser ist als das Schweizer Gesetz, dann darf ich dieser Meinung sein.
Die Scharia ist das bessere Gesetz als das Schweizer Gesetz und die Schweizer Verfassung?
Darauf will ich nicht weiter eingehen. Ich sage: Wenn ich was finde, dann darf ich dieser Meinung sein.
Würde es Ihnen Spass machen, weiter für die Armee zu dienen?
Es ist natürlich ein Schlag ins Gesicht. Wenn jetzt einer hinstehen und mir sagen würde: «Los, Uniform anziehen!» Dann würde ich sagen: «Komm später wieder.»
Zivildienst statt Armee?
Ich hätte kein Problem, Zivildienst zu leisten. Es ist doch schön, wenn man etwas für seine Mitmenschen tun kann. Ich hätte keine Mühe, im Altersheim arbeiten zu gehen. Ich bin gespannt, wie meine vorgesetzten Instanzen reagieren.
Wie würden Sie auf einen Schiessbefehl reagieren, wenn Sie wüssten, dass der Feind islamischen Glaubens ist?
Wenn wir einen Terroranschlag oder Ähnliches hätten, wäre ich der Letzte, der eingesetzt werden würde. Zuerst kämen die Spezialeinheiten, dann die Kampftruppen. Das Szenario ist schlichtweg unrealistisch. Ich befürworte Terrorismus nicht, kein Unschuldiger sollte so ums Leben
kommen.