Autoreifen, Kehrichtsäcke, Produktionsreste von Industriebetrieben
Schweizer Müllhalden – 38'000 Standorte belastet

38'000 Standorte gelten vom Müll als belastet, viele davon müssen saniert werden. Doch das kostet die Gemeinden viel Geld.
Publiziert: 15.09.2019 um 10:35 Uhr
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Aktualisiert: 15.09.2019 um 11:10 Uhr
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Der Basler Martin Forter gilt als der Altlastenexperte und kritisiert die Anhebung von Grenzwerten bei der Sanierung von Deponien.
Foto: Thomas Meier
Cyrill Pinto

In Flawil SG fuhren in diesem Jahr die Bagger auf. Sie hoben das Erdreich bei der früheren Deponie am Dorfrand aus. Hinterlassenschaften aus Jahrzehnten kamen zum Vorschein: Autoreifen, Kehricht­säcke, Produktionsreste von ­Industriebetrieben der Umgebung. Lange hatten die Abfälle im Boden geschlummert. Bis in den 90er-Jahren Böschungen rund um die Deponie einzustürzen drohten und die Behörden im Sickerwasser und im Bach Gift nachwiesen.

2006 liess die Gemeinde ein Sanierungsprojekt ausarbeiten. Kostenpunkt: 4,8 Millionen Franken. Weil es das Unternehmen, das die Deponie angelegt hatte, längst nicht mehr gibt, müssen Bund, Kanton und Gemeinde zahlen – allein Flawil rund 2,3 Millionen Franken. Im Kanton St. Gallen gibt es rund 1800 belastete Standorte. Etwa 570 wurden bislang untersucht, 150 gelten als sanierungsbedürftig. Erst die Hälfte davon wurde inzwischen saniert.

Von 4000 Standorten geht Gefahr aus

Schweizweit ist das Bild ähnlich: Neben den grossen Standorten der Chemie in Basel und im Wallis gibt es zahlreiche kleinere Deponien wie jene in Flawil. Insgesamt sind 38'000 belastete Standorte bekannt. Zusammengenommen würden sie die Fläche des Kantons Zug umfassen. Schätzungen des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) gehen davon aus, dass von 4000 Standorten Gefahren ausgehen, insbesondere für das Grundwasser.

Ein grosses Problem sind laut Bundesbehörde sogenannte chlorierte Kohlenwasserstoffe, kurz CKW. In der Industrie wurden sie zumeist als Reinigungs- und Lösungsmittel eingesetzt. 1100 Deponien oder ehemalige Produktionsstandorte sind mit diesen besonders aggressiven Substanzen belastet.

CKW wurden auch dort nachgewiesen, wo sie besonders grossen Schaden anrichten können: Nach dem jüngsten Bericht des Bundes über den Zustand des Schweizer Grundwassers werden die Substanzen in einem Viertel der Messstellen gemessen, bei vier Prozent überschreiten sie die Grenzwerte «und beeinträchtigen damit die Qualität des Grundwassers erheblich».

Frist bis ins Jahr 2040

Eine signifikante Abnahme der Gesamtbelastung im Grundwasser sei frühestens nach Abschluss von Sanierungsarbeiten zu erwarten, schreibt das Bundesamt für Umwelt. Dafür räumte der Bund eine Frist bis zum Jahr 2040 ein.

Laut Bafu gibt es allerdings keine Zahlen über den Fortschritt an einzelnen CKW-verseuchten Deponien. Allgemein betrachtet, sei man bei der Sanierung der Altlasten jedoch auf Kurs. «Die Anzahl der sanierten Standorte hat zwischen 2010 und 2018 um etwa 500 auf etwa 1300 zugenommen», teilt das Bundesamt mit.

Aber eine Sanierung allein garantiert noch nicht, dass keine giftigen Stoffe mehr ins Grundwasser gelangen. Dies zeigt ein aktuelles Beispiel aus dem Kanton Baselland: Die Deponie ­Roemisloch bei Allschwil BL wurde vor zwölf Jahren aufwendig saniert, dennoch gelangten weiter Pestizide und Arzneistoffe in die Umwelt. Die Behörden stellten im Sickerwasser 81 verschiedene Stoffe in einer Konzentration fest, die «irritierend» sei, wie die Gemeinde­behörden konstatieren.

Trotz Sanierung stuft Allschwil die Deponie noch immer als Umweltproblem ein.

Walliser Umweltchef wirft hin

Nicht nur Basel kämpft mit Hinterlassenschaften der Chemieindustrie. Auch der Kanton Wallis hat damit Probleme: In Monthey laufen teure Aufräumarbeiten, im Oberwallis müssen Bäche und Böden von Quecksilber befreit werden, eine kostspielige Sanierung der Deponie Gamsenried steht an.

Deren Betreiber, der Basler Chemie- und Pharmakonzern Lonza, und der Kanton arbeiten an einem neuen Sanierungskonzept. Doch nun hat der Chef der Walliser Dienststelle für Umweltschutz gekündigt.

Gleichzeitig mit seiner Kündigung reichte Joël Rossier, erst 2016 an die Spitze des Umweltamts berufen, beim kantonalen Finanzinspektorat ein umfangreiches Dossier ein. Darin prangert er gemäss Medienberichten die «Dysfunktionalität» der Walliser Umweltbehörde an, also deren Unfähigkeit, ihre Funktion zu erfüllen. Rossier beklagt fehlende Unterstützung durch die politische Führung sowie die Nichtbesetzung wichtiger Stellen. Daraufhin wurde Rossier sofort freigestellt. Der Kanton begründete dies mit einem nicht mehr vorhandenen Vertrauensverhältnis.

Rossier wollte sich dazu auf Anfrage nicht äussern. Inzwischen stellte sein bisheriger Chef, Staatsrat Jacques Melly (CVP, 67), in Aussicht, dass die unbesetzten Stellen bei der Umweltbehörde demnächst besetzt werden. Diese Woche verlangte das Walliser Parlament von der Regierung Transparenz über die Umstände von Rossiers Abgang und eine Offenlegung der Dokumente, die er dem Finanzinspektorat übergeben hatte.

Nicht nur Basel kämpft mit Hinterlassenschaften der Chemieindustrie. Auch der Kanton Wallis hat damit Probleme: In Monthey laufen teure Aufräumarbeiten, im Oberwallis müssen Bäche und Böden von Quecksilber befreit werden, eine kostspielige Sanierung der Deponie Gamsenried steht an.

Deren Betreiber, der Basler Chemie- und Pharmakonzern Lonza, und der Kanton arbeiten an einem neuen Sanierungskonzept. Doch nun hat der Chef der Walliser Dienststelle für Umweltschutz gekündigt.

Gleichzeitig mit seiner Kündigung reichte Joël Rossier, erst 2016 an die Spitze des Umweltamts berufen, beim kantonalen Finanzinspektorat ein umfangreiches Dossier ein. Darin prangert er gemäss Medienberichten die «Dysfunktionalität» der Walliser Umweltbehörde an, also deren Unfähigkeit, ihre Funktion zu erfüllen. Rossier beklagt fehlende Unterstützung durch die politische Führung sowie die Nichtbesetzung wichtiger Stellen. Daraufhin wurde Rossier sofort freigestellt. Der Kanton begründete dies mit einem nicht mehr vorhandenen Vertrauensverhältnis.

Rossier wollte sich dazu auf Anfrage nicht äussern. Inzwischen stellte sein bisheriger Chef, Staatsrat Jacques Melly (CVP, 67), in Aussicht, dass die unbesetzten Stellen bei der Umweltbehörde demnächst besetzt werden. Diese Woche verlangte das Walliser Parlament von der Regierung Transparenz über die Umstände von Rossiers Abgang und eine Offenlegung der Dokumente, die er dem Finanzinspektorat übergeben hatte.

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