Auf einen Blick
- Schweizer Justiz erwägt Einstellung des Verfahrens gegen Rifaat al-Assad
- Assad floh trotz angeblicher Krankheit 2021 nach Syrien
- Familie musste über 65 Hinrichtungen in einer Schule mitansehen
Die Schweizer Justiz steht vor einem Wendepunkt im Fall des syrischen Ex-Generals Rifaat al-Assad (87). Wie der Tagesanzeiger berichtet, erwägt das Bundesstrafgericht, das Verfahren gegen den Onkel des gestürzten Diktators Bashar al-Assad einzustellen. Dies sorgt bei den Opfern für Entsetzen und Fassungslosigkeit.
Rifaat al-Assad wird beschuldigt, für das brutale Massaker in der Stadt Hama im Jahr 1982 verantwortlich zu sein. Die Bundesanwaltschaft hatte ihn im März wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Je nach Schätzung wurden während des Angriffs auf die Stadt 20'000 bis 30'000 Menschen getötet.
Die 21-seitige Anklageschrift listet sieben konkrete Vorfälle auf, darunter «Grausame Behandlung und unrechtmässige Inhaftierung von Zivilisten», «Folter» und «Mord».
Zu krank, um zu reisen
Doch nun droht das Verfahren zu scheitern. Der Grund: Assad behauptet, zu krank zu sein, um in die Schweiz zu reisen oder dem Prozess zu folgen. Kritiker zweifeln jedoch an der Glaubwürdigkeit dieser Aussage.
Ein Blick in die Verfahrensgeschichte zeigt, dass Assad seit Jahren Gesundheitsprobleme vorschiebt, um Befragungen zu entgehen. Besonders pikant: Obwohl er angeblich zu krank zum Reisen war, floh er 2021 plötzlich von Frankreich nach Syrien, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen.
Video zeigt Beschuldigten bei Tanzen
Noch im September 2021 tauchte ein Video auf, das den vermeintlich Schwerkranken beim ausgelassenen Tanzen mit seinen Enkeln zeigt. Trotzdem akzeptierte das Bundesstrafgericht nun offenbar Assads Krankheitsatteste.
Die Opfer und ihre Anwälte sind entsetzt. «Das Massaker verfolgt die Überlebenden seit 42 Jahren und die Anklageschrift war endlich eine konkrete Hoffnung auf Gerechtigkeit», so die Genfer Opferanwältin Mahault Frei de Clavière.
65 Hinrichtungen mit ansehen
Besonders tragisch ist der Fall einer Familie, deren Schicksal in der Anklageschrift detailliert geschildert wird. Sie mussten in einer Schule über 65 Hinrichtungen mit ansehen. Der Sohn wurde gefoltert, seine Schwestern und Mutter geschlagen und sexuell belästigt. Bei einer Massenexekution starb der Vater, der Sohn überlebte schwer verletzt.
Die Einstellung des Verfahrens wäre ein herber Rückschlag für die Aufarbeitung der Assad-Diktatur. «Die Schweiz als Hüterin der Genfer Konvention müsste eigentlich eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Straflosigkeit der syrischen Diktatur spielen», kritisiert Benoit Meystre von der Organisation Trial.
Schweizer Justiz steht vor schwierigen Entscheidung
Doch es gibt noch Hoffnung: Nach dem Sturz des Assad-Regimes vor einer Woche ist Rifaat al-Assads Situation unklar. Laut dem «Syrian Observer» soll er in den Libanon gereist sein – was seine angebliche Reiseunfähigkeit infrage stellt.
Die Schweizer Justiz steht nun vor einer schwierigen Entscheidung. Soll sie das Verfahren einstellen und damit möglicherweise einen Kriegsverbrecher davonkommen lassen? Für die Überlebenden und Angehörigen der Opfer steht viel auf dem Spiel. Sie hoffen weiterhin auf Aufklärung und Gerechtigkeit – 42 Jahre nach dem Massaker von Hama.