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Schweizer erforscht die Unsterblichkeit
«In ein paar Jahrzehnten könnten wir 150 Jahre alt werden»

Wissenschaftler wie Tony Wyss-Coray wollen das Leben der Menschen verlängern. Der Schweizer machte bereits mit spektakulären Entdeckungen auf sich aufmerksam.
Publiziert: 28.12.2019 um 23:16 Uhr
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Der Schweizer Tony Wyss-Coray erforscht die Mechanismen des Alterns. Trotzdem sagt er: «Ich will nicht ewig leben»
Foto: Stanford
Interview: Cyrill Pinto

Tony Wyss-Coray sorgt mit ­seinen Entdeckungen über die Mechanismen der Ent­stehung von Alzheimer für Furore. Seine Forschung führte zur Entwicklung von zwei Therapien, die bereits erprobt werden – weitere dürften folgen. SonntagsBlick sprach mit dem Schweizer Stanford-Professor über seine Arbeit, den Jugendwahn der Kalifornier und das Streben nach dem ewigen Leben.

SonntagsBlick: Herr Wyss-Coray, eines Ihrer Experimente, bei dem die Blutkreisläufe von zwei Mäusen verbunden wurden, sorgte für Aufsehen. Sie wiesen nach, dass damit der Alterungsprozess aufgehalten oder gar umgekehrt werden kann.
Tony Wyss-Coray: Am Anfang stand die Forschung von Thomas Rando hier in Stanford. Er beobachtete, wie sich Muskelzellen nach der Zugabe von jungem Blut regenerierten. Wir knüpften daran an. Auch wir haben die Blutkreisläufe zweier Mäuse – ­einer alten und einer jungen Maus – zusammengeschlossen. Danach zeigte sich: Das Erinnerungsvermögen und andere Hirnleistungen verbesserten sich bei der älteren Maus, bei der jungen verschlechterten sie sich. Als wir genauer hinsahen, konnten wir beobachten, wie das junge Blut die Hirnzellen der alten Maus dazu brachte, sich wieder zu teilen und so zu erneuern. Als wir uns diesen Effekt näher anschauten, fanden wir heraus, dass offenbar das Blutplasma dafür verantwortlich ist.

Junges Blut als Quell der Jugend – werden wir demnächst alle unsterblich?
Die Resultate unserer Experimente waren tatsächlich zu gut, um wahr zu sein. Doch unsere Entdeckung brachte uns auf eine völlig neue Schiene bei der Erforschung vieler altersbedingter Erkrankungen wie Alzheimer. Denn offenbar hat das Blut des jungen Tieres einen verjüngenden Effekt auf das Hirn des älteren. Tatsächlich ändert sich die ­Zusammensetzung des Bluts mit dem Alter. Junges Blut fördert die Bildung von Stammzellen, die für die Erneuerung unseres Körpers so wichtig sind, und es hat auch ­entzündungshemmende Wirkung. Inzwischen konnten wir ein paar Faktoren im Plasma identifizieren, die zu diesem Effekt beitragen.

Welche Faktoren waren das?
Wir haben beispielsweise Entzündungsfaktoren im alten Plasma identifiziert, die wir nun zu neutralisieren versuchen. Denn die sind zum Beispiel für die Degeneration der Netzhaut verantwortlich. Wenn wir damit die sogenannte Makula-Degeneration bremsen können, können wir die Hauptursache für Altersblindheit aufhalten. Wir haben nun zusammen mit einer Pharmafirma ein Medikament entwickelt, das zurzeit getestet wird. Die bisherigen ­Resultate sind vielversprechend …

Und wie wäre es, wenn man alten Menschen einfach junges Plasma verabreichen würde?
Wir testen zurzeit tatsächlich Blutplasma als Mittel gegen Alzheimer. Die klinischen Tests befinden sich bereits in der zweiten Phase, bei der vor allem die Dosis des Medikaments geprüft wird. Falls diese und zukünftige Tests positiv ausfallen sollten, müssen wir wegen der limitierten Verfügbarkeit mit Problemen rechnen. Gegenwärtig wird ausserhalb der USA viel zu wenig Blutplasma gesammelt, um alle Alzheimerpatienten behandeln zu können. Wir arbeiten deshalb auch an einer Synthetisierung. Daneben müssen wir jedoch verstehen, welche der Faktoren für das Aufhalten des Alterungsprozesses verantwortlich sind. Plasma enthält Tausende Faktoren – wir wissen nicht, welche genau für die therapeutischen Effekte verantwortlich sind.

Schweizer Pharmafirmen wie Roche haben Milliarden Franken in die Erforschung von Alzheimer investiert. Dennoch mussten Sie kürzlich die Entwicklung eines Alzheimermedikaments aufgeben: Besteht dieses Risiko bei Ihnen auch?
Ja, jede klinische Forschung birgt das Risiko, dass am Ende der Forschung an einer Therapie kein Medikament steht. Aber wir spielen kein Roulette: Unsere Arbeit hat eine wisschenschaftliche Grundlage, auf der wir aufbauen. Vielleicht werden wir eines Tages im Detail verstehen, wie der verjüngende Effekt zustande kommt, aber trotzdem kein Präparat entwickeln, das diesen Prozess im Körper des Menschen umkehrt. ­Roche und Novartis hatten den ­Ansatz, dass man Eiweisse im Hirn blockiert hat, das ist ein sehr spezifischer Hebel. Das Verständnis dieser Mechanismen hat bis jetzt nicht zu einem Medikament geführt, das eine Altersdemenz oder Alzheimer aufhalten kann. Wir haben dagegen einen sehr breiten Ansatz. Wir wissen: Wir brauchen das Blutplasma zur Verjüngung. Es hält unseren Körper für etwa 60 Jahre in einem guten Zustand, dann verändert es sich.

Nach dem Bekanntwerden Ihrer Studie entstand ein riesiger Hype. Ein junger Medizinstudent startete sogar ein Business mit Blut konserven, die er für 8000 Dollar verkaufte.
Ich lehne solche unseriösen Geschäfte ab. Wir haben in der Medizin einen völlig anderen Ansatz. Aber natürlich kann man den Menschen nicht verbieten, sich junges Blut zu injizieren. Es bestehen jedoch grosse Risiken. Das Blut kann Krankheiten übertragen. Das Unternehmen musste übrigens inzwischen auf Druck der US-Gesundheitsbehörde die Behandlung von Patienten einstellen.

Trotzdem gibt es nach wie vor einen Markt für junges Blut.
Ja. Allein die Vorstellung, dass damit der eigene Alterungsprozess zumindest verlangsamt werden kann, treibt die Menschen dazu. Es gibt aus der Geschichte viele Beispiele: So liess sich schon Charlie Chaplin sogenannte Frischzellen – meist Zellen von Kälbern oder Lämmern – spritzen. Über die Führung der Kommunistischen Partei Chinas wird gemunkelt, dass sie sich regelmässig Blutkonserven verabreichen lässt, um sich zu verjüngen.

Und was tun Sie persönlich, um jung zu bleiben?
Ich esse gesund und treibe Sport. So gehe ich regelmässig joggen und fahre Velo. Aber ich bin jetzt 55 Jahre alt und nicht davon besessen, möglichst lange zu leben. Da bin ich etwas anders. Ich zähle mich zu den sogenannten Healthspannern. Wir wollen die Zeit bis zu unserem Tod möglichst gesund bleiben und bis zum Ende eine möglichst hohe Lebensqualität behalten.

Damit stehen Sie im Gegensatz zu den Immortalisten, die den Tod überwinden wollen und an der Unsterblichkeit arbeiten …
Genau. Auch unter Forschern in der Medizin gibt es Leute, die eine breite Palette an Medikamenten nehmen, um den Alterungsprozess aufzuhalten. Die Lebenserwartung auf 120 bis 150 Jahre zu verlängern, das könnte in ein paar Jahrzehnten wohl Realität werden. Könnten wir das Leben jedoch auf 300 Jahre ausdehnen würde uns das vor enorme gesellschaftliche Probleme stellen …

Die Langlebigkeit als Problem?
Unser ganzes Leben, unser Umfeld, ja der gesamte Planet ist auf unsere Sterblichkeit ausgerichtet. Würden Menschen plötzlich Hunderte Jahre alt, würde sich vieles radikal ändern. Wir haben schlicht nicht die Ressourcen, um so vielen Menschen ein so langes Leben zu ermöglichen. Hinzu kommt: Würde ich 500 Jahre alt, stellten sich auch für mich persönlich ganz viele Fragen. Etwa die nach der beruflichen Laufbahn. Unser ganzes Berufsleben und unser Ruhestand sind auf ein etwa 80-jähriges Leben ausgerichtet. Würde man dann in Zukunft mehrere Berufe erlernen und mehrere Karrieren hinlegen? Viele Berufe, die es noch vor 100 Jahren gab, kennt ja heute niemand mehr.

Würden Sie persönlich nicht möglichst lange leben wollen?
Das ist eine sehr persönliche Frage. Aber nein, ich denke nicht. Ich werde lieber bloss 90 Jahre alt, habe ein erfülltes Leben und sterbe plötzlich – ohne langes Leiden.

Persönlich

Tony Wyss-Coray (55) studierte Mikrobiologie an der Uni Bern und schrieb eine Doktorarbeit über Immunologie. Seit 2002 arbeitet er an der Universität Stanford bei San Francisco (USA) an der Erforschung von Hirnzellen. Für Entdeckungen über deren Reaktion beim Austausch von Blutplasma erhielt Wyss-Coray zahlreiche Auszeichnungen, so 2015 den Glenn Award für die Biologie des Alterns.

Tony Wyss-Coray (55) studierte Mikrobiologie an der Uni Bern und schrieb eine Doktorarbeit über Immunologie. Seit 2002 arbeitet er an der Universität Stanford bei San Francisco (USA) an der Erforschung von Hirnzellen. Für Entdeckungen über deren Reaktion beim Austausch von Blutplasma erhielt Wyss-Coray zahlreiche Auszeichnungen, so 2015 den Glenn Award für die Biologie des Alterns.

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