In den USA ist die Corona-Krise auf dem Höhepunkt. Die Megastadt New York ist seit zwei Monaten im Lockdown. Trotzdem versuchen die New Yorker, ihre Stadt am Leben zu erhalten. Eine zentrale Rolle spielt die Metro – das grösste U-Bahn-System Amerikas. Bis Ende April hielt die Metropolitan Transportation Authority (MTA) ihren Betrieb rund um die Uhr aufrecht. Dann entschied Gouverneur Andrew Cuomo (62), den Dienst jede Nacht zwischen 1 und 5 Uhr zu unterbrechen. Während des nächtlichen Shutdowns desinfiziert die MTA ihre Waggons.
Das Problem: Die MTA bringt systemrelevante Arbeitskräfte wie Ärzte, Bäcker und Krankenschwestern zur Arbeit – für sie musste eine Lösung für die Nacht- respektive frühen Morgenstunden her. Geliefert hat sie die Luzerner Firma Axon Vibe mit der App «Essential Connector». Seit gestern zeigt die App den systemrelevanten Pendlern («essential workers») alternative Wege zu ihrem Arbeitsplatz.
Neue App in wenigen Tagen
Doch wie kommt es, dass eine Innerschweizer Software-Firma die Pendlerströme einer Millionen-metropole lenkt? Nur sie sei in der Lage gewesen, in wenigen Tagen eine völlig neue App zu entwickeln, begründet die MTA. Roman Oberli (48), CEO von Axon Vibe, sagt: «Wir sind bereits Teilnehmer eines Pilotprojekts, das den öffentlichen Verkehr New Yorks digital neu organisieren soll.» So will die MTA Störungen und Staus früh erkennen und den Pendlern alternative Reiserouten anbieten. «Doch dann kam der Auftrag, den Transport der systemrelevanten Beschäftigten während des nächtlichen Metro-Shutdowns zu garantieren.» Jetzt integriert die App Züge, Busse und Taxis und zeigt den Pendlern den Weg durch das verschlungene New Yorker ÖV-Netz.
Doch das Programm bietet noch mehr. «Mithilfe der App erkennen wir grössere Menschenansammlungen und können die Reisenden umlenken», sagt Roman Oberli. Der Effekt: «Das gibt ihnen Sicherheit und trägt dazu bei, das Vertrauen in den öffentlichen Verkehr wieder zu stärken. Ohne dieses Vertrauen ist an eine Ankurbelung der Wirtschaft nicht zu denken.» Oberlis Team arbeitet bereits an einer grösseren Mobility-App, die nach dem Lockdown eingesetzt werden soll. Das Ziel ist die Kombination sämtlicher Vorteile der digitalen Lenkung von Pendlerströmen: eine Karte des ÖV-Netzes, Reisevorschläge von Tür zu Tür, Vermeidung von Störungen, Staus und Menschenansammlungen, die Integration unterschiedlicher Verkehrsmittel von der U-Bahn bis zum E-Bike.
Auch für die Schweiz interessant
Und der Datenschutz? «Er ist mit ein Grund, warum die MTA uns ausgewählt hat», sagt Oberli. «Wir halten uns an strenge europäische Richtlinien. Sämtliche Bewegungsdaten stehen unter der Kontrolle der App-Benutzer. MTA sieht keine individuellen, sondern ausschliesslich aggregierte Informationen.»
Was für die Pendlerströme New Yorks funktioniert, könnte auch für Reisende in der Schweiz attraktiv sein. «Tatsächlich haben wir die Technologie in Zusammenarbeit mit den SBB entwickelt», sagt Axon-Vibe-Chef Oberli. Daraus ist die App «Smartway» entstanden, die schon heute im App Store ist. «Ein Vorhaben wie in New York könnten wir auch in der Schweiz in relativ kurzer Zeit verwirklichen.»
Ringier-Verwaltungsrat Uli Sigg (74) ist Mitbegründer der Mobility App Axon Vibe, die gerade in New York für Furore sorgt.
SonntagsBlick: Wie sind Sie dazu gekommen, bei dieser App mitzumachen?
Uli Sigg: Zusammen mit Präsident Stefan Muff gehöre ich zu den Gründeraktionären. Vor vier Jahren entstand die Idee einer Mobility-App. Wir haben 55 Millionen Franken investiert. 100 Ingenieure haben daran gearbeitet. In mehreren Weltstädten steht sie vor der Einführung.
Ich habe noch nie von dieser Firma gehört.
Im Gegensatz zu anderen Start-ups haben wir bewusst nicht den schnellen Weg in die Medien gesucht. Wir wollten zuerst liefern.
Was liefern Sie?
Wir lösen das Problem, wie wir uns unterwegs vor dem Virus schützen können. Denn die App signalisiert uns in Echtzeit, ob wir uns auf grössere Menschenansammlungen zubewegen, und zeigt uns mittels Routenplanung Möglichkeiten, diese zu umgehen. Dieses Wissen trägt wesentlich zum Abbau der Angst vor der Benutzung des öffentlichen Verkehrs bei und damit zur Ankurbelung der Wirtschaft.
Eine weitere Tracing-App also.
Nein. Tracing-Apps im Zusammenhang mit Corona entfalten ihren Nutzen nach einer Ansteckung. Dann werden sie eingesetzt, um die Wege eines Infizierten nachzuverfolgen. Unsere App dagegen schützt vor einer Ansteckung. Die beiden Formen ergänzen sich.
Jetzt lenkt die App die Pendlerströme New Yorks. Könnte sie das auch im Schweizer ÖV-System übernehmen?
Unsere Firma hat ja bereits eine Mobility-App für die SBB entwickelt. Die technischen Grundlagen existieren also schon heute. Es wäre ein Leichtes, sie in kurzer Zeit auch hierzulande einzuführen. Aber dazu braucht es die Mitwirkung des Bundes.
Haben Sie die App in Bern vorgestellt?
Wir haben uns seit Ende März darum bemüht, sie den Schweizer Behörden zu präsentieren. Aber wir sind vom Bundeshaus an das Bundesamt für Gesundheit verwiesen worden. Dieses hat uns dann an den Krisenstab weitergereicht. Von dort ging es an dessen IT-Verantwortlichen. Eine Reaktion blieb bis heute aus. Wir stossen beim Bund auf taube Ohren.
Genügt die App den Ansprüchen des Bundes nicht?
Das dürfte kaum der Grund sein. Wir konnten sie ja noch gar nicht vorstellen.
Warum finden Sie kein Gehör?
Der Bundesrat ist auf die Tracing-App fokussiert. Alles andere blendet er aus. Damit vergibt er sich und den Bürgern sehr viel, denn das Potenzial des Smartphones ist bedeutend grösser. In New York hat man das sofort erkannt. In der Zeit, in der wir vergeblich den Kontakt zu den Schweizer Behörden suchen, haben wir in New York über die App verhandelt und sie eingeführt.
Haben Sie Hoffnung, dass der Bundesrat doch noch reagiert?
Er hat sich in der Corona-Krise Bestnoten verdient. Aber im digitalen Bereich glaubt der Bundesrat offenbar, dass es mit einer Tracing-App getan sei. Das ist viel zu kurz gedacht. Ich bin trotzdem guter Hoffnung, dass diese Türe noch nicht zu ist. Die App kann einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit der Reisenden im öffentlichen Verkehr leisten, und zwar nicht nur in New York.
Ringier-Verwaltungsrat Uli Sigg (74) ist Mitbegründer der Mobility App Axon Vibe, die gerade in New York für Furore sorgt.
SonntagsBlick: Wie sind Sie dazu gekommen, bei dieser App mitzumachen?
Uli Sigg: Zusammen mit Präsident Stefan Muff gehöre ich zu den Gründeraktionären. Vor vier Jahren entstand die Idee einer Mobility-App. Wir haben 55 Millionen Franken investiert. 100 Ingenieure haben daran gearbeitet. In mehreren Weltstädten steht sie vor der Einführung.
Ich habe noch nie von dieser Firma gehört.
Im Gegensatz zu anderen Start-ups haben wir bewusst nicht den schnellen Weg in die Medien gesucht. Wir wollten zuerst liefern.
Was liefern Sie?
Wir lösen das Problem, wie wir uns unterwegs vor dem Virus schützen können. Denn die App signalisiert uns in Echtzeit, ob wir uns auf grössere Menschenansammlungen zubewegen, und zeigt uns mittels Routenplanung Möglichkeiten, diese zu umgehen. Dieses Wissen trägt wesentlich zum Abbau der Angst vor der Benutzung des öffentlichen Verkehrs bei und damit zur Ankurbelung der Wirtschaft.
Eine weitere Tracing-App also.
Nein. Tracing-Apps im Zusammenhang mit Corona entfalten ihren Nutzen nach einer Ansteckung. Dann werden sie eingesetzt, um die Wege eines Infizierten nachzuverfolgen. Unsere App dagegen schützt vor einer Ansteckung. Die beiden Formen ergänzen sich.
Jetzt lenkt die App die Pendlerströme New Yorks. Könnte sie das auch im Schweizer ÖV-System übernehmen?
Unsere Firma hat ja bereits eine Mobility-App für die SBB entwickelt. Die technischen Grundlagen existieren also schon heute. Es wäre ein Leichtes, sie in kurzer Zeit auch hierzulande einzuführen. Aber dazu braucht es die Mitwirkung des Bundes.
Haben Sie die App in Bern vorgestellt?
Wir haben uns seit Ende März darum bemüht, sie den Schweizer Behörden zu präsentieren. Aber wir sind vom Bundeshaus an das Bundesamt für Gesundheit verwiesen worden. Dieses hat uns dann an den Krisenstab weitergereicht. Von dort ging es an dessen IT-Verantwortlichen. Eine Reaktion blieb bis heute aus. Wir stossen beim Bund auf taube Ohren.
Genügt die App den Ansprüchen des Bundes nicht?
Das dürfte kaum der Grund sein. Wir konnten sie ja noch gar nicht vorstellen.
Warum finden Sie kein Gehör?
Der Bundesrat ist auf die Tracing-App fokussiert. Alles andere blendet er aus. Damit vergibt er sich und den Bürgern sehr viel, denn das Potenzial des Smartphones ist bedeutend grösser. In New York hat man das sofort erkannt. In der Zeit, in der wir vergeblich den Kontakt zu den Schweizer Behörden suchen, haben wir in New York über die App verhandelt und sie eingeführt.
Haben Sie Hoffnung, dass der Bundesrat doch noch reagiert?
Er hat sich in der Corona-Krise Bestnoten verdient. Aber im digitalen Bereich glaubt der Bundesrat offenbar, dass es mit einer Tracing-App getan sei. Das ist viel zu kurz gedacht. Ich bin trotzdem guter Hoffnung, dass diese Türe noch nicht zu ist. Die App kann einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit der Reisenden im öffentlichen Verkehr leisten, und zwar nicht nur in New York.