Schweiz - EU
Europa-Expertin Tobler: «Viel Wunschdenken»

Chefunterhändler de Watteville muss in erster Linie die Probleme mit der Personenfreizügigkeit lösen und eine Einigung bei den institutionellen Fragen erzielen. Es gibt aber noch viele andere hängige EU-Dossiers. Ob er mit einer Bündelung mehr erreicht, ist fraglich.
Publiziert: 13.08.2015 um 16:19 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 13:56 Uhr

Aussenminister Didier Burkhalter scheint auf diese diplomatische Mechanik zu vertrauen. Unter Umständen komme man in einem Dossier weiter, wenn man sich in einem anderen bewege, erklärte er am Mittwoch vor den Medien. Die Aufgabe seines neuen Chefunterhändlers ist es nun, den Überblick zu behalten und allfälligen Spielraum so geschickt auszunutzen, dass er am Schluss ein «Gesamtergebnis» präsentieren kann.

Nach Ansicht von Christa Tobler, Europarechtlerin am Europainstitut der Uni Basel, ist der Bundesrat aber zunächst einer anderen diplomatischen Weisheit gefolgt: «Wenn ein Problem zu klein ist, um es zu lösen, macht man es grösser», sagte sie im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda.

Dass sich aus der Bündelung der verschiedenen Dossiers merklich leichter eine Lösung ergeben könnte, glaubt sie nicht. «Ich sehe nichts, was für die EU so lebenswichtig wäre, dass sie der Schweiz in den für sie wichtigen Fragen entgegenkommen würde.» Dabei ist die Auswahl der Themen gross. Bloss scheint keines davon geeignet, Jacques de Watteville in Verhandlungen als Hebel zu dienen.

Immer wieder hervorgehoben wird die Bedeutung der Schweiz als «Stromdrehscheibe» im integrierten europäischen Strommarkt. Als wirkungsvolle Verhandlungsmasse eignet sich das Stromabkommen laut Tobler aber nicht. «Eine Einbindung der Schweiz wäre natürlich im Interesse der EU, aber die kann sich auch anders organisieren», sagte sie.

Das gleiche gilt nach Ansicht der Europarechtlerin für alle anderen EU-Dossiers, über die derzeit verhandelt wird. Als Land in der Mitte habe die Schweiz etwas zu bieten. «Aber es ist nicht so, dass die EU ohne eine Einigung zusammenkrachen würde», sagte Tobler. Ein nüchterner Blick auf die Liste der laufenden Verhandlungen bestätigt dies.

Die EU kann Kultur fördern ohne Teilnahme der Schweiz am Kulturförderprogramm «Kreatives Europa». Auch die Forschungsförderung und der Studentenaustausch würden ohne grossen Schaden weiterlaufen. An der Verknüpfung der Emissionshandelssysteme hat die Schweiz aufgrund des europäischen Marktvolumens selber grosses Interesse.

Verhandelt wird auch in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit, Produktesicherheit und öffentliche Gesundheit. Dabei geht es zunächst um engere Zusammenarbeit und die Harmonisierung von Standards, was für beide Seiten eine Erleichterung wäre. Aber auch hier gilt: Für die EU geht es auch ohne die Schweiz. Und beim Agrarfreihandel wird sich de Watteville mit Rücksicht auf die Schweizer Bauern mit Zugeständnissen zurückhalten müssen.

Auch jene Themen, über welche derzeit gar nicht verhandelt wird, eignen sich wenig als Druck- oder Lockmittel. Dazu gehört das angestrebte Finanzdienstleistungsabkommen, an dem die Schweizer Finanzbranche ein vitales Interesse hat.

Gleich liegen die Dinge beim europäischen Chemikalien-Regelwerk REACH, während die Themen Friedensförderung oder der Austausch von DNA-Profilen schlicht zu wenig Gewicht haben, um die Verhandlungen entscheidend zu beeinflussen. Und die Osthilfe wurde bisher stets separat behandelt, weil es sich nicht um sektorielle Abkommen handelt.

Viele komplexe Themen also für Chefunterhändler de Watteville, aber wenig Gewicht. «Man hat in der Schweiz wohl zu viel Wunschdenken in diese Richtung», sagte Tobler. Da sei zum Teil auch nationalistisches Denken im Spiel.

Nach Ansicht der Europarechtlerin steht Staatssekretär de Wattewille daher vor einer grossen Herausforderung. Die Verhandlungen über die institutionellen Fragen steckten fest, eine Lösung sei nicht in Sicht. Bei der Personenfreizügigkeit seien sie noch gar nicht in Gang gekommen. «Ein erstes Ziel muss es daher sein, die EU dazu zu bringen, überhaupt darüber zu verhandeln», sagte Tobler.

Was man damit erreiche, werde sich zeigen. Sie selber sieht aber zur Zeit keinen Anlass, warum die EU der Schweiz eine Sonderposition einräumen sollte. «Im Moment sehe ich keine Lösung», sagte sie.

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