Der Ball liegt beim Bundesrat. Seit Jahren verhandelt er mit der EU über den Abschluss eines Rahmenabkommens. Mit einem solchen will die EU im Verhältnis zur Schweiz institutionelle Mechanismen wie Rechtsübernahme, Überwachung, Rechtsprechung und Streitschlichtung regeln. Am Freitag kommuniziert die Regierung die nächsten Schritte.
Achtzig Parlamentarier forderten zu Beginn der laufenden Herbstsession - also vor Bekanntgabe des bundesrätlichen Fahrplans - eine aktuelle Debatte zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union. Fünf dringliche Interpellationen wurden eingereicht. Am Donnerstag nahmen die Parteien im Nationalrat diesen Rahmen zum Anlass, noch einmal ihren Standpunkt klarzumachen.
Der Prolog zu den Bundesratsentscheiden verlief erwartungsgemäss emotional. Die Fraktionssprecher wurden immer wieder von immer gleichen Fragen der SVP konfrontiert. Nationalratspräsident Dominique de Buman (CVP/FR) mahnte einigermassen erfolglos zur Disziplin.
Thomas Aeschi (SVP/ZG) forderte am Rande seines EU-kritischen Votums eine generelle Erhöhung der Redezeit im Parlament. Solche langen, offenen Debatten seien viel zu selten im Nationalrat. Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL) setzte einen Kontrapunkt dazu mit ihrer rhetorischen Frage: «Bringt uns diese Debatte heute wirklich weiter?»
Fakt ist: Die Meinungen der Parteien sind gemacht. Während der fast dreistündigen Debatte wiederholten alle Fraktionen ihre Argumente.
Laut der FDP geht es um mehr als um ein Abkommen. «Es geht um Wohlstand und Arbeitsplätze», sagte Hans-Peter Portmann (ZH). Er griff die SVP frontal an und warf der Partei falsche Behauptungen vor. «Was Sie tun, ist systematisches Brainwashing der Bevölkerung.»
SVP-Parteipräsident Albert Rösti (BE) konterte: Wenn es so weitergehe, könnten die Schweizerinnen und Schweizer ihr Stimmrecht bald in Brüssel abgeben. Sein Zürcher Parteikollege Roger Köppel kritisierte das «erotische Verhältnis» vieler Parlamentarier zu einem EU-Rahmenvertrag, der die Schweiz zwingen werde, sich «fremden Richtern» zu unterstellen.
Die CVP warnte davor, den Wegfall der Bilateralen zu riskieren. «Es steht zu viel auf dem Spiel», sagte die Zürcherin Kathy Riklin. GLP-Nationalrätin Tiana Angelina Moser (ZH) forderte eine «ehrliche und offene Auseinandersetzung mit der Bevölkerung über die Zukunft der Bilateralen».
Einigkeit herrscht darüber, dass nun fertig verhandelt und der Vertragsentwurf in die Vernehmlassung geschickt werden müsse. «Wer nicht verhandelt, bekommt auch nichts», hielt BDP-Präsident Martin Landolt (GL) fest. Wenn das Abkommen auf dem Tisch sei, könnten sich alle eine Meinung machen.
In einem Punkt will die SP nicht nachgeben. «Wir sind wild entschlossen, den Lohnschutz zu verteidigen», sagte Fraktionschef Roger Nordmann (VD). Die Grünen plädierten für den Weg, wonach ein unabhängiges Schiedsgericht über Streitfragen entscheiden soll. Solche «haben in der Schweiz Tradition und sind gut verankert», sagte Sibel Arslan (BS).
Aussenminister Ignazio Cassis liess sich am Donnerstag nicht in die Karten blicken, in welche Richtung der europapolitische Kurs des Bundesrats neu gehen könnte. Er sprach den Zielkonflikt der Regierung, die bestmögliche wirtschaftliche Integration bei gleichzeitig grösstmöglicher institutioneller Eigenständigkeit anzustreben.
Das Rahmenabkommen komme für ihn nur infrage, «wenn es qualitativ hochwertig genug ist», sagte Cassis. Viele Punkte seien gelöst. Keine Einigung gebe es weiterhin bei den flankierenden Massnahmen. An die Adresse der Linken hielt Cassis fest, dass ihm die Sozialpartnerschaft wichtig sei.
Der Bundesrat bekräftigte auch, dass ihm die Qualität einer Einigung wichtiger ist als die Geschwindigkeit des Abschlusses. «Ob es uns gelingt, ins Ziel zu kommen, steht in den Sternen.»