Das Theater am Neumarkt rief zur nationalen «Ent-Köppelung» auf, um mit Flüchen den bösen Geist des Julius Streicher aus der Seele von «Weltwoche»- Chef Roger Köppel (50) zu vertreiben. Wer ist Julius Streicher?
Julius Streicher (1885–1946) war ein furchtbarer Nazi, der selbst Mitgliedern der NSDAP zu rechtsextrem war. Das NSDAP-Mitglied war Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes «Der Stürmer» und leitete ab 1933 das Zentralkomitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze. 1935 publizierte Streicher das Plakat «Todesstrafe für Rassenschande».
Nach Kriegsende wurde er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet. Wer zwischen Streicher und Köppel keinen Unterschied sehen will, trivialisiert die grauenhaften Verbrechen der Nazis.
Einer, der sich wie Roger Köppel gern exponiert und provoziert, bietet seinen Gegnern genügend Angriffsfläche für substanzielle Kritik. Es gehört jedoch zum Repertoire populistischer Kulturschaffender, jeden rechtskonservativen Journalisten mit Nazi-Schurken gleichzusetzen. Ein «rechter Journalist» ist stets einer, der rechts vom eigenen Standort steht. Wer sich einredet, er verfüge über die moralische Lufthoheit, braucht keine Argumente, er kann sich mit launigen Stammtischparolen begnügen und erntet im eigenen Umfeld stets Applaus.
Mit dem Wortspiel «ent-köppeln» ist wahrscheinlich «ent-köpfeln» beziehungsweise «ent-haupten» gemeint. Die Besucher von schweiz-entköppeln.ch wurden eingeladen, ihr geliebtes Hassobjekt zu verfluchen. Zur Auswahl standen unter anderem folgende
Flüche: Querschnittlähmung, Ebola, Verkehrsunfall. Die Initianten versprachen, den Wünschen der Abstimmungsteilnehmer nachzukommen ...
Ist das nun Satire, geschmacklose Satire oder bereits ein Fall für die Gerichte? Man stelle sich den Aufschrei bei vertauschten Rollen vor. Welchen historischen Vergleich würden die Initianten ziehen, wenn plötzlich Rechtsextreme zum Marsch auf das Theater am Neumarkt in Zürich blasen würden?
Köppel-Bashing ist sehr beliebt, weil es absolut ungefährlich ist und die Initianten zu ernsthaften Kandidaten für kulturelle Auszeichnungen macht. Gefährlicher wäre eine Satire gegen Islamisten, die in Schweizer Innenstädten Hetzschriften («Das Buch der vereinfachten Rechtswissenschaft») verteilen, die zur Ermordung von Juden, Schwulen und Ungläubigen aufrufen.
Aber was die Initianten antreibt, ist eben nicht die Sorge um unseren demokratischen Rechtsstaat, sondern das Bemühen um Publicity ohne Leistung.
Es braucht gerade für Kulturschaffende wesentlich mehr Zivilcourage, diese Aktionen zu kritisieren, als mit einer selbstverliebten Herde zu blöken, die jeden Kritiker in den eigenen Reihen als Sechzehntel-Nazi diffamiert und exkommuniziert.
Wir alle lesen Artikel, die uns nerven. Vielleicht nervt auch dieser Text, aber man muss ihn nicht zu Ende lesen. Und wenn man es dennoch tut, muss man ihn aushalten und darf dabei nicht vergessen, dass Andersdenkende, die sich innerhalb des demokratischen Spektrums artikulieren, keine Feinde sind, sondern einfach Leute, die, aus welchen Gründen auch immer, andere Ansichten vertreten.