Schnellere Öffnungen dank Technik?
«Man sollte in jeden Raum ein Messgerät stellen»

Die Wissenschaft warnt vor Aerosolen. GLP-Nationalrat Martin Bäumle will ihnen mit Messgeräten zu Leibe rücken. Werden so noch schnellere Lockerungen möglich?
Publiziert: 19.04.2021 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2021 um 10:49 Uhr
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Der Bundesrat öffnet.
Foto: AFP
Danny Schlumpf

Der Bundesrat lässt mehr soziales Leben zu. Nicht nur auf den Terrassen, sondern auch in Kinos, Theatern, Fitnesscentern. Bürgerliche Politiker jubeln, Wissenschaftler sind entsetzt.

Kommt die Sache gut? Wichtig dafür sind Aerosole – kleinste Tröpfchen in der Luft, die wir ununterbrochen ein- und ausatmen. Sie dienen den Viren als Transportmittel. «Aerosole spielen bei der Übertragung des Coronavirus eine entscheidende Rolle», sagt GLP-Nationalrat und Atmosphärenwissenschaftler Martin Bäumle (56). «Die Luftqualität in Innenräumen ist deshalb zentral.»

Urs Baltensperger (66) pflichtet Bäumle bei. «Im Freien wird die Atemluft stark verdünnt, was die Virenlast rasch reduziert.» Deshalb hält der Aerosolforscher am Paul Scherrer Institut offene Terrassen für ein tolerierbares Risiko, warnt jedoch: «Aerosole können stundenlang im Raum schweben.» Deshalb sei die Öffnung von Innenräumen kritisch zu betrachten – besonders die von Fitnesscentern: «Körperliche Anstrengung führt zu deutlich stärkerem Aerosol-Ausstoss.» Und: «Dann ist bei Infizierten auch die Viruslast viel grösser.»

100 bis 200 Franken pro Messgerät

Aerosolforscher Michael Riediker (51), Direktor des Schweizerischen Zentrums für Arbeits- und Umweltgesundheit, sagt es so: «Ich würde meine Mutter nicht ins Fitnesscenter schicken. Denn wer neben einem Superspreader trainiert, atmet Tausende Viren pro Stunde ein.» Viele dieser Grossräume verfügten nicht über die nötigen Lüftungsanlagen, um das Risiko zu minimieren.

In seiner neuen Öffnungsverordnung hält der Bundesrat fest: «Die Räumlichkeit muss über eine wirksame Lüftung verfügen.» Präziser wird er nicht. Wie gut eine Lüftung funktioniere, lasse sich aber durchaus feststellen, sagt Nationalrat Bäumle – mit CO2-Messgeräten.

Denn die Virenkonzentration in Innenräumen korreliert in der Regel mit dem CO2-Gehalt. So lässt sich das Risiko abschätzen. «Man sollte in jeden Raum ein Messgerät stellen», sagt Bäumle. Die Kosten: 100 bis 200 Franken pro Stück. «Sie helfen, die Menschen für die Risiken zu sensibilisieren, die von schlecht belüfteten Räumen ausgehen», so Bäumle. «Möglich wäre ein Ampelsystem, das von Grün auf Gelb oder Rot schaltet und warnt, wenn bestimmte Werte überschritten werden.»

Mögliche Öffnung von Beizeninnenräumen?

Wissenschaftler Baltensperger unterstützt das: «CO2-Messgeräte sollten grossflächig eingesetzt werden, besonders in den Schulen.» So könne ein regelmässiges Lüften sichergestellt werden. «Wenn geeignete Filter vorhanden sind, die einen regelmässigen Luftwechsel unterstützen, ist das umso besser.»

Lüften, filtern, messen: Könnte man so nicht auch die Innenräume der Restaurants öffnen – schon heute? «Auf jeden Fall», sagt Gesundheitsökonom Tilman Slembeck (56), Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). «Die notwendige Filtertechnik existiert bereits.» Deshalb fordert Slembeck: «In Ergänzung zu Impfung und Abstand sollte man Aerosolfilter in Innenräumen installieren, dass diese schnellstmöglich wieder geöffnet werden können.»

Doch so einfach sei es nicht, sagt Michael Riediker. «In den Restaurants finden oft laute Unterhaltungen statt. Dabei stossen wir rund 100 Mal mehr Aerosole aus als beim Atmen. Da bieten normale Lüftungen keinen guten Schutz.»

Auch Urs Baltensperger sieht die Öffnung der Beizeninnenräume skeptisch. «Es wäre zumindest das Zertifikat eines Ingenieurbüros angezeigt, das bestätigt: Hier gibt es eine zertifizierte Filteranlage mit klar definiertem Luftwechsel pro Stunde.» Eine Selbstdeklaration der Wirte genüge jedenfalls nicht.

«Wir müssen Beizen jetzt auch drinnen öffnen»

Nationalrat Thomas Aeschi (42) sieht das als No-Go: «Der Bundesrat soll den Wirten nun nicht noch mehr Vorschriften machen. Die bisherigen Schutzkonzepte mit Schutzmasken, Plexiglas und Abstand zwischen den Tischen reichen aus.» Zudem werde ja niemand gezwungen, ins Restaurant zu gehen. Deshalb fordert der SVP-Fraktionschef: «Wir müssen die Beizen jetzt auch drinnen öffnen.»

FDP-Nationalrat Marcel Dobler (40) stösst ins gleiche Horn: «Öffnen ja – noch mehr Kontrollen nein.» Bäumles Vorschlag sei zwar grundsätzlich zu begrüssen. «Der Einsatz von Filtern und Messgeräten muss aber den Betreibern überlassen bleiben.» Zumal sich die Lage stetig verbessere: «Mit der Zunahme der Impfungen nimmt die Zahl der schweren Verläufe und Todesfälle ab. Das sollte der Bundesrat bei seinen weiteren Lockerungsentscheidungen berücksichtigen.»

SP-Nationalrätin Barbara Gysi (56) widerspricht: «Es ist zwingend, mit der weiteren Öffnung von Innenräumen noch zu warten, bis die Impfrate höher ist und es wärmer wird.» Für Gysi ist klar: «Wir können mit technischen Lösungen keine schnelleren Öffnungen erreichen.»

Mässig lässig
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Auf die Terrasse, fertig, los?Mässig lässig
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