Dienstagabend. Vertreter der grossen bürgerlichen Parteien bekräftigen vor den Mikrophonen, dass sie bei der Präsidentenwahl vom Mittwoch SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (65) grossmehrheitlich unterstützen. Sie sei turnusgemäss an der Reihe, heisst es bei FDP und CVP. Das gebiete die Konkordanz bei der SVP.
Nur: Was die Parteien sagen, ist das eine. Was sie tun wollen, etwas anderes. Im direkten Gespräch mit Politikern wird klar, .
Mittwochmorgen, 8 Uhr 22. Die Ohrfeige ist verabreicht. Calmy-Rey wird zur Bundespräsidentin 2011 gewählt. Mit historisch schlechten 106 Stimmen. Ausserhalb des links-grünen Lagers hat sie wenig mehr als 30 Stimmen bekommen. Möglich wären 170 gewesen.
23 Parlamentsmitglieder fehlten bei der Wahl. 27 legten leer oder ungültig ein. 33 gaben ihre Stimme Didier Burkhalter (FDP), je 20 Ueli Maurer (SVP) und Eveline Widmer-Schlumpf (BDP). 10 Voten erhielt Simonetta Sommaruga (SP).
Scheinheiliges Parlament! Warum haben SVP, FDP und CVP vor der Wahl nicht offen gesagt, dass sie Calmy-Rey einen Denkzettel verpassen wollen?
Eine Antwort ist auch im Nachhinein nicht zu bekommen.
«Wir stehen zur Konkordanz», sagt SVP-Fraktionschef Caspar Baader. «Aber klar gab es auch bei uns Leute, die Calmy-Rey nicht wählten.» FDP-Chef Fulvio Pelli befindet: «Calmy-Rey ist gewählt, sie muss zufrieden sein. Mehr zu tun war die Bundesversammlung eben nicht bereit.» CVP-Fraktionschef Urs Schwaller sagt: «Es spielte eine Vielzahl von Elementen zusammen». Wie Calmy-Rey mit dem Parlament umgehe, ihre Sololäufe, unzufriedene Bundesratskollegen, der Libyen-Bericht.
Keiner mags gewesen sein
Letztlich mags also keiner gewesen sein. Naheliegende Erklärung: Man braucht auch mal wieder die Unterstützung der SP. «2011 kommt. Wir werden uns merken, wer Calmy-Rey nicht wählt», sagte SP-Nationalrat Eric Nussbaumer schon zu Wochenbeginn.
Gerade die CVP war aber diesmal darauf aus, Calmy-Rey abzustrafen. Exponenten versuchten, andere Bürgerliche zu überzeugen, die ungeliebte Genferin in einen zweiten Wahlgang zu schicken (im BLICK). Rivalitäten zwischen der Genferin und CVP-Bundesrätin Doris Leuthard spielten eine Rolle. Und: Die Nicht-Wahl von Urs Schwaller 2009 als Bundesrat lastet die CVP immer noch der SP an. Jetzt ist die SP ihrerseits vorab auf die CVP sauer. «Die CVPler sind falsche Fünfziger», sagt SP-Nationalrat Carlo Sommaruga.
Gelassener gibt sich SP-Chef Christian Levrat: «Das Resultat sagt mehr aus über SVP, FDP und CVP als über Calmy-Rey.» Er sei aber «sehr zufrieden», dass Calmy-Rey gewählt wurde. «Sie ist bei der Bevölkerung sehr populär. Und sie wird ihr Präsidialjahr nützen, sich bei der Bevölkerung noch stärker zu verankern.»
Das Parlament kann aber auch anders. Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) erzielte ein sehr gutes Resultat. Sie wurde mit 146 von 222 gültigen Stimmen zur Vizepräsidentin gewählt. Was heisst: Nur die SVP gab ihr die Stimmen nicht.