Die Schiebetüre öffnet sich, Sandro Singenberger betritt mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter die Räume der Intensivstation des Seespitals Horgen ZH. Ein Zimmer und der Gang sollen von Coronaviren befreit werden. Dafür müssen die drei mitten hinein in die infizierte Zone. Sie tragen Schutzanzug, Gesichtsmaske, Brille und Handschuhe.
Die Lüftungen hat ein Spitalangestellter bereits abgestellt, die Truppe legt los. Zuallererst verteilt sie überall im Zimmer Lackmusstäbchen. Mit diesen wird am Schluss der Desinfektion kontrolliert, ob das Mittel alle Ecken des Raums erreicht hat. Dann werden drei Vernebelungsmaschinen an den Strom angeschlossen – sie pusten das Reinigungsmittel in kleinsten Tröpfchen in die Luft. Ein gleichmässiges Rauschen erfüllt den Raum.
Singenberger hat einen Job, den wenig Menschen gerne machen würden. Der 47-jährige Frauenfelder verdient sein Geld damit, Räume zu desinfizieren, die mit Viren oder Bakterien verseucht sind. Seine Leidenschaft für dieses unheimliche Thema entwickelte er bereits als 20-Jähriger. Ausschlaggebend war der Blockbuster «Outbreak – Lautlose Killer», den er damals im Kino sah. Dustin Hoffman, Rene Russo und Morgan Freeman kämpfen darin gegen das «Motaba-Virus», das ein Affe auf die Menschheit übertrug. «Dieser Film war wie eine Explosion in meinem Kopf.»
Er sah die Epidemie voraus
Als er Ende 2019 von einem speziellen Sars-Fall in Wuhan gelesen habe, sagt Singenberger, sei er sich sicher gewesen: «Jetzt geht es ratzfatz, und dieses Virus ist bei uns.» Bisher hatte er den Verlauf jeder Epidemie, die irgendwo auf der Welt ausbrach, genau verfolgt. So war es auch beim Coronavirus. «Europa hat bisher einfach Glück gehabt.»
Glück im Unglück war die Pandemie für ihn selbst. Die Nachfrage nach seiner Dienstleistung explodierte. Spitäler und Altersheime aus der ganzen Deutschschweiz nehmen sie in Anspruch. Wer ihn braucht, ruft an. In 24 Stunden ist der Job erledigt. Deshalb der Name der Firma: Keimfrei 24.
Sein Wissen hat sich Singenberger über viele Jahre angeeignet. Früher beriet er Industrieunternehmen beim Kauf von Reinigungsgeräten und -mitteln. Dafür musste er die eidgenössische Giftprüfung für die Klassen 2–4 absolvieren und machte sich mit allen möglichen Reinigungsarten vertraut.
Hochgefährliche Putzmittel
Das gängigste Mittel für Raumdesinfektion, Wasserstoffperoxid, ist aggressiv. Ist die Schutzausrüstung an einer Stelle undicht, hat das verheerende Folgen. Singenberger erfuhr es am eigenen Leib, als seine Schutzmaske einmal 30 Sekunden lang nicht hundertprozentig anliegend war. «Danach musste ich erbrechen und hatte zwei Tage lang Kopfschmerzen.»
Eine andere Methode zur Raumdesinfektion funktioniert mithilfe ultravioletter Strahlung. Auch sie birgt laut Singenberger Risiken. Bei freien Hautstellen verursachen die Strahlen des Typs UV-C sofort starke Verbrennungen und längerfristig im schlimmsten Fall Krebs. Auch wenn das Gerät mittels Fernsteuerung von ausserhalb des Raums an- und ausgeschaltet wird, ist Singenberger nie ganz wohl dabei. Was, wenn ein UV-Gerät wegen eines technischen Defekts noch läuft, wenn jemand in seine Nähe kommt? «Die grösste Gefahr besteht darin, der Technik zu fest zu vertrauen.»
Im Vakuum können Viren überleben
Inzwischen reinigt Singenberger mit Anosan, einem gesundheitlich unbedenklichen Desinfektionsmittel. Es besteht aus einer Kochsalz-Wasser-Lösung, die in einem Bioreaktor so aufgeladen wird, dass Mikroorganismen bei Kontakt mit dem Mittel zerstört werden. In Deutschland verwenden Fachpersonen das Verfahren schon seit Jahren, bisher jedoch nicht im Bereich der Raumdesinfektion. Singenberger hat dafür gesorgt, dass er es in Schweizer Spitälern benutzen darf, und lässt das Mittel von einer Schweizer Chemiefirma herstellen.
Während der Reinigung im Seespital Horgen geht die Truppe von Keimfrei 24 durch den Raum und bewegt die Gegenstände, die sich in ihm befinden. Die Stühle, das Telefon – einfach alles. Denn wenn flache Gegenstände mit Oberflächen, auf denen sie stehen, ein Vakuum bilden, können dort Viren und Bakterien zurückbleiben.
Gute 30 Minuten später ist die Arbeit getan. Singenberger zeigt drei Lackmusstäbchen, die sich grün verfärbt haben. Das heisst: Der Raum ist jetzt sauber. Er schält sich aus seinem Anzug, wischt sich den Schweiss von der Stirn und greift nach seinem Handy, um Nachrichten zu checken. Seine Hilfe wird bereits woanders benötigt.
Dieses Porträt ist Teil einer Kooperation mit Journalismus-Studierenden der Zürcher Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
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