Ruth Ramstein, die Frau, die Kinderschänder Köbi F. auffliegen liess
Auch sie wurde aus dem Dorf gemobbt

Publiziert: 13.09.2007 um 23:44 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:31 Uhr
Von Thomas Ley
MÖRIKEN AG – Zwei Frauen, ein Schicksal. Mutig decken sie sexuellen Missbrauch auf – und werden dafür abgestraft. Vor Sarahs Mami in Rhäzüns erlebte das schon Ruth Ramstein (58) in Möriken.

Zwei Buben vergewaltigen die kleine Sarah (5). Ihre Mutter Marianne Tschus (39) macht die Schandtat öffentlich. Und wird jetzt in Rhäzüns von Müttern gemobbt (im BLICK).

Auch Ruth Ramstein ging in ihrem Dorf durch die Hölle. 1990 schlägt die Schulpflegerin von Möriken Alarm: Primar- und Turnlehrer Köbi F.* (47) belästige zahlreiche Mädchen. Auch ihre Tochter.

Das hat schlimme Folgen – für Ruth Ramstein. Denn Köbi F. ist beliebt. Die Schulpflege schwört auf ihn. Die Anklägerin dagegen sei doch bloss «prüde» und «mediengeil». Mache das Dorf schlecht.

Nach zwei Jahren Kesseltreiben tritt Ruth Ramstein zurück. Köbi F. wird zwar zu 31/2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Aber Ruth Ramstein zieht fort aus Möriken. Wo viele ihr bis heute nicht verziehen haben.

BLICK: Frau Ramstein, Marianne Tschus wird schlechtgemacht, weil sie Missbrauch aufdeckte. Wie damals Sie.
Ruth Ramstein: «Es gibt tatsächlich Parallelen. Vor allem, dass man die Gründe für die Übergriffe beim Opfer sucht.»

Welche denn?
«Die angeblich large Erziehung ihrer Tochter. Oder das offenbar zu ‹kurze Röckchen› des kleinen Mädchens. In Möriken gab es ähnliche Ausreden, etwa: Die Mädchen hätten sich ja wehren können.»

Sind das immer Ausreden?
«Diese schon. Damit entschuldigt man den Missbrauch – und sagt letztlich, das Opfer war selber schuld. Aber ein 5-jähriges Mädchen trifft nie eine Schuld an Missbrauch.»

Aber vielleicht die Mutter?
«Natürlich nicht! Es ist völlig unangebracht, dass der Mutter vorgeworfen wird, sich nicht genug um ihre Tochter zu kümmern.»

Hat sie denn nicht die Aufsichtspflicht?
«Doch, aber wie sie diese wahrnimmt, ist gar nicht die Frage. Das rechtfertigt niemals sexuelle Übergriffe. Und warum richtet sich der Vorwurf eigentlich nur an die Mutter und nicht an den Vater?»

Also liegen die Mütter in Rhäzüns völlig daneben?
«Nicht ganz. Ich finde, dass man diese Buben nicht jedes Mal unter Hausarrest stellen kann, wenn sie dem Mädchen im Dorf begegnen. Aber zu einer vernünftigen Regelung ist ein offenes Gespräch nötig, mit allen betroffenen Erwachsenen und mit Fachleuten.»

Marianne Tschus sagt, dazu wäre sie bereit.
«Dann ist es schade, dass solche Aktionen hinter ihrem Rücken durchgeführt werden. Es wird wohl für alle auf lange Sicht schwierig, in einem Dorf zu leben.»

Geht das nicht mehr?
«Ich erachte es als schwierig, dass alle beteiligten Familien in Rhäzüns wohnen bleiben. In kleinen Gemeinden begegnet man sich immer wieder.»

Sind Sie darum weggezogen?
«Ich wusste immer, dass ich in Möriken nicht alt werde. Wir haben in Lenzburg eine gute Lösung gefunden.»

Werden Sie in Möriken noch geschnitten?
«Es gibt immer noch Leute, die mich ablehnen. Solchen Stimmungen geht man irgendwann aus dem Weg.»

Wegziehen: Ist das nicht eine Niederlage?
«Ich habe nicht das Gefühl, nachgegeben zu haben. Wir haben den Zeitpunkt des Wegzugs selber bestimmt. Und schliesslich wurden die sexuellen Übergriffe gestoppt. Köbi F. hat seine Strafe bekommen.»

*Name der Redaktion bekannt

«Übeltäter ist, wer die Idylle zerstört»
Das Opfer wird zum Täter gemacht. Immer wieder passiert das, weiss der Zürcher Psychiater Frank Urbaniok (44).

«Viele Leute solidarisieren sich nicht gern mit dem Opfer», sagt Urbaniok, ein schweizweit anerkannter Spezialist für Sexual- und Gewaltstraftäter.

Marianne Tschus (39) und ihre kleine Sarah (5) erleben das zurzeit in Rhäzüns GR. Aber sie sind beileibe nicht die einzigen.

Opfer oder Menschen, die Verbrechen ans Licht bringen, werden gemobbt.

So ergings auch Ruth Ramstein (58) in Möriken AG. (Interview nebenan).

«Dörfer reagieren oft wie Familien, in denen sexueller Missbrauch stattfand», sagt Psychiater Urbaniok: «In ihren Augen ist der wahre Übeltäter die Person, welche die Idylle zerstört hat – also das Opfer, das den Fall publik macht.»

Dabei will Familie Tschus mit ihren Nachbarn zusammenarbeiten. «Wir haben es immer gesagt», betont Marianne Tschus: «Wir sind jederzeit bereit, mit allen Beteiligten ein offenes Gespräch zu führen!»

Gestern erhielt sie den ganzen Tag Telefonanrufe: von Freunden und Bekannten, aber auch wildfremden Menschen aus der ganzen Schweiz. Alle machten ihr Mut: «Gehen Sie ihren Weg konsequent weiter!»

Dajan Roman und Thomas Ley
Das Opfer wird zum Täter gemacht. Immer wieder passiert das, weiss der Zürcher Psychiater Frank Urbaniok (44).

«Viele Leute solidarisieren sich nicht gern mit dem Opfer», sagt Urbaniok, ein schweizweit anerkannter Spezialist für Sexual- und Gewaltstraftäter.

Marianne Tschus (39) und ihre kleine Sarah (5) erleben das zurzeit in Rhäzüns GR. Aber sie sind beileibe nicht die einzigen.

Opfer oder Menschen, die Verbrechen ans Licht bringen, werden gemobbt.

So ergings auch Ruth Ramstein (58) in Möriken AG. (Interview nebenan).

«Dörfer reagieren oft wie Familien, in denen sexueller Missbrauch stattfand», sagt Psychiater Urbaniok: «In ihren Augen ist der wahre Übeltäter die Person, welche die Idylle zerstört hat – also das Opfer, das den Fall publik macht.»

Dabei will Familie Tschus mit ihren Nachbarn zusammenarbeiten. «Wir haben es immer gesagt», betont Marianne Tschus: «Wir sind jederzeit bereit, mit allen Beteiligten ein offenes Gespräch zu führen!»

Gestern erhielt sie den ganzen Tag Telefonanrufe: von Freunden und Bekannten, aber auch wildfremden Menschen aus der ganzen Schweiz. Alle machten ihr Mut: «Gehen Sie ihren Weg konsequent weiter!»

Dajan Roman und Thomas Ley
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