Dies ist eine unendliche Geschichte, und sie handelt vom Riedbergtunnel in Gampel VS, einem Teilstück der A9 im Oberwallis. Und auch von den Millionen Franken, die dessen Bau die Steuerzahler bis heute gekostet haben.
Martin Hutter (56), seit 2013 Chef der Dienststelle für Nationalstrassenbau, steht mit weissem Helm, gelb-blauer Baustellenbekleidung und schwarzen Stiefeln vor dem Riedbergtunnel und führt in die Südröhre. Es ist kurz nach 9 Uhr an einem Mittwochmorgen. 17 Jahre nach dem Spatenstich. Der Tunnel: noch immer eine Baustelle. Drinnen werden die Arbeiter mit starken Lampen beleuchtet. Die Männer erstellen mit Stahlträgern, Armierungen und Ortbeton eine permanente Ausbruchsicherung. Draussen ist es grau und kalt, Hochnebel hängt über dem Rhonetal. Das Wetter ist sinnbildlich für die Geschichte des Riedbergtunnels.
Der Tunnel hat je eine Länge von etwas mehr als 500 Metern pro Röhre und wird in einen Rutschhang gebaut. Das heisst: Er wird in einem instabilen Berghang erstellt, der sich pro Jahr etwa einen Zentimeter talwärts bewegt. Die Tücken der Natur liessen die Kosten explodieren. Anfänglich auf 54 Millionen Franken budgetiert, wird der Bau des Riedbergtunnels bei seiner Fertigstellung 220 Millionen Franken gekosten haben (Stand heute). Das Vierfache! Runtergebrochen heisst das: 220'000 Franken – oder ein 640 PS starker Lamborghini – pro verbauten Tunnel-Meter. Er ist damit der teuerste Tunnel der Schweiz.
Nach dem Spatenstich begannen die Probleme
Der Ausbau der A9 im Oberwallis wurde in den 1970er-Jahren beschlossen. Bereits in den 1980er-Jahren haben Kritiker gewarnt und ihre Bedenken geäussert: Ist der Riedbergtunnel in diesem Umfeld tatsächlich sinnvoll und realisierbar? Ja, fanden die Behörden. Und um alle Zweifel aus der Welt zu schaffen, liessen sie in den Jahren 1988 bis 89 auf dem Trassee der geplanten Südröhre einen 100 Meter langen Sondierstollen vortreiben.
Weil der Vortrieb ohne Probleme verlief, wurde der Tunnelbau definitiv umgesetzt.
Hutter sagt dazu: «Das Rhonetal ist eng. Im Bereich des Riedberg-Hangfusses ist der Talboden durch den Rotten, die Kantonsstrasse und die SBB belegt. Mit dem Tunnel sollte dieser Engpass umfahren werden.» Nur wenige Monate nach dem Spatenstich im September 2004 begann die grosse Ernüchterung.
Das Bauvorhaben wurde bereits 2005 wieder eingestellt. Der Grund: Am Bauwerk traten unerwartet Deformationen auf – weil der Hang stärker ins Rutschen geraten war. «Die Bauarbeiten waren und sind bis heute nicht der Grund dafür, dass der Hang rutscht», sagt Hutter. Die Folge: Die Arbeiten am Tunnel wurden für Jahre blockiert. Jahre, in denen Studien und Analysen erstellt wurden, um doch noch ein Loch in den rutschenden Berg rammen und irgendwann Licht am Ende des Tunnels sehen zu können. Die Ergebnisse zeigten, dass die beiden Tunnelröhren nur mit zusätzlichen Verstärkungsmassnahmen gebaut werden können.
Gefälschte Rechnungen, um das Budget auszuschöpfen
Als wäre das nicht genug, wurde 2006 auch noch publik, dass mit ersonnenen Rechnungen Millionenbeträge an Bauunternehmen geflossen waren – für Arbeiten, die noch gar nicht ausgeführt wurden! Ein Trick der Walliser, um das jährliche 700-Millionen-Budget des Bundes für den Autobahnbau vollständig ausschöpfen zu können. Denn: Der Bund stellt Milliarden für den Bau von Nationalstrassen zur Verfügung, ausgeführt werden die Arbeiten aber von den Kantonen. Das Bezirksgericht Brig sprach später alle neun Angeklagten frei.
Sie gelten als Meisterstücke der Ingenieurskunst: Strassen- und Eisenbahntunnel. Doch so sehr die Bauten nach der Fertigstellung jeweils gefeiert werden, so sehr gingen ihnen oft finanzielle und zeitliche Flops voraus. Drei Beispiele:
- Am 5. September 1980 wurde der Gotthard-Strassentunnel dem Verkehr übergeben. Er galt mit knapp
17 Kilometern damals als längster Strassentunnel der Welt. Aber: Der Jahrhundertbau war Segen und Fluch zugleich. Denn das Projekt verzögerte sich um Jahre, vor allem wegen schlechten Gesteins und Wassereinbrüchen. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 686 Millionen Franken, 380 Millionen mehr als budgetiert. - Der Gotthard-Basistunnel ist mit 57 km der längste Eisenbahntunnel der Welt. Bei der Eröffnung 2016 wurden die Baukosten mit 12,2 Milliarden Franken angegeben. Ursprünglich war mit 6,3 Milliarden gerechnet worden. Doch die Kosten verdoppelten sich wegen der Teuerung, höherer Sicherheitsstandards, modernerer Technik und geologischer Schwierigkeiten.
- Die BLS wird den gesamten Lötschberg-Bahntunnel zwischen Kandersteg BE und Goppenstein VS sanieren. Die Erneuerung des alten Scheiteltunnels wird aber teurer als geplant: Anstelle von gesamthaft 105 Millionen Franken dürfte diese nun 158 Millionen kosten. Der Grund: Zwischen dem Bahnunternehmen und der mit der Sanierung beauftragten Arge Marti entfachte ein Streit um Dutzende Millionen Franken. Die Bauarbeiten verlängern sich damit voraussichtlich bis Ende 2024. Ursprünglich sollte die Sanierung Ende 2022 abgeschlossen sein. 2020 wurde die Frist bereits auf Ende 2023 verschoben.
Sie gelten als Meisterstücke der Ingenieurskunst: Strassen- und Eisenbahntunnel. Doch so sehr die Bauten nach der Fertigstellung jeweils gefeiert werden, so sehr gingen ihnen oft finanzielle und zeitliche Flops voraus. Drei Beispiele:
- Am 5. September 1980 wurde der Gotthard-Strassentunnel dem Verkehr übergeben. Er galt mit knapp
17 Kilometern damals als längster Strassentunnel der Welt. Aber: Der Jahrhundertbau war Segen und Fluch zugleich. Denn das Projekt verzögerte sich um Jahre, vor allem wegen schlechten Gesteins und Wassereinbrüchen. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 686 Millionen Franken, 380 Millionen mehr als budgetiert. - Der Gotthard-Basistunnel ist mit 57 km der längste Eisenbahntunnel der Welt. Bei der Eröffnung 2016 wurden die Baukosten mit 12,2 Milliarden Franken angegeben. Ursprünglich war mit 6,3 Milliarden gerechnet worden. Doch die Kosten verdoppelten sich wegen der Teuerung, höherer Sicherheitsstandards, modernerer Technik und geologischer Schwierigkeiten.
- Die BLS wird den gesamten Lötschberg-Bahntunnel zwischen Kandersteg BE und Goppenstein VS sanieren. Die Erneuerung des alten Scheiteltunnels wird aber teurer als geplant: Anstelle von gesamthaft 105 Millionen Franken dürfte diese nun 158 Millionen kosten. Der Grund: Zwischen dem Bahnunternehmen und der mit der Sanierung beauftragten Arge Marti entfachte ein Streit um Dutzende Millionen Franken. Die Bauarbeiten verlängern sich damit voraussichtlich bis Ende 2024. Ursprünglich sollte die Sanierung Ende 2022 abgeschlossen sein. 2020 wurde die Frist bereits auf Ende 2023 verschoben.
Im Herbst 2014 schliesslich, zehn Jahre nach Baubeginn, wurden wieder Vorbereitungs- und Stabilisierungsarbeiten am Tunnel aufgenommen. Die Vortriebsarbeiten selbst sollten im Frühling 2015 weitergehen. Aber: Eine Beschwerde zum Ausschreibeverfahren sabotierte die Bauarbeiten erneut. Die frühere Arbeitsgemeinschaft stieg auf die Barrikaden, weil der Kanton Wallis den Werkvertrag aufgelöst und neu vergeben hatte. Das Kantonsgericht wies die Beschwerde Ende 2014 ab. Im Sommer 2016 dann endlich die Nachricht: Es geht weiter!
Gegner forderten Abbruch der «Riedberg-Übung»
Der tägliche Fortschritt beim Aushub: ganze 25 Zentimeter. Das veranlasste eine Handvoll SP-Grossräte dazu, 2018 ein Postulat einzureichen. Sie forderten den Abbruch der «Riedberg-Übung» und eine offene Linienführung. Dies wurde vom Grossrat abgelehnt. Bauchef Hutter sagt heute: «Es ist viel einfacher, einen Tunnel im Fels zu bauen als im Lockergestein. Und auch wenn der Aushub nur langsam vorwärtskam: Die Sicherheit steht immer an erster Stelle. Die Tunnelarbeiten zu stoppen und auf eine offene Linienführung umzuschwenken, hätte die Arbeiten noch einmal um Jahre verzögert.»
Einer der damaligen Mitunterzeichner des Postulats ist Werner Jordan (56), heute Gemeinderat in Brig. Er sagt: «Das Thema Riedbergtunnel könnte abendfüllend diskutiert werden. Aber heute macht es keinen Sinn mehr, die Übung abzubrechen – auch weil seit März 2021 die beiden Röhren durchgebrochen sind. Bis jetzt wurden 200 Millionen Franken im Riedbergtunnel verlocht – wie soll man jetzt den Steuerzahlern klarmachen, dass es nun doch noch eine offene Linienführung braucht?» Trotzdem glaubt er nicht an die Nachhaltigkeit dieses Baus. Es werde künftig immer wieder Sperrungen geben wegen Unterhaltsarbeiten, was den Tunnel am Ende noch teurer machen werde.
Licht am Ende des Tunnels
«Obwohl jetzt beide Röhren durchschlagen sind, bleiben die bautechnischen Herausforderungen weiterhin gross», sagt Martin Hutter beim Begehen des Tunnels. Und doch ist er optimistisch: «Sobald die Arbeiten für die verstärkte Ausbruchsicherung abgeschlossen sind, werden Innenschale und Innenausbau so auf die zu erwartenden Zwangsverschiebungen ausgelegt, dass ein möglichst flexibles Bauwerk entsteht.» Denn je steifer der Betonkörper des Gewölbes, desto grösser die Gefahr, dass es zu Abplatzungen komme.
Ende Oktober dieses Jahres verkündete er darum gemeinsam mit dem zuständigen Staatsrat Franz Ruppen (50) vor den Medien eine frohe Neuigkeit: Der Riedberbergtunnel soll 2025/26 in Betrieb genommen werden können. Gut möglich, dass diese unendliche Geschichte doch noch irgendwann ein Ende findet.