Wer im Coop oder in der Migros einkauft, erlebt ein kulinarisches Disneyland: übervolle Regale mit Produkten aus aller Welt, verführerisch, vielfältig, stets verfügbar. Wer ethisch einwandfrei konsumieren möchte, findet zahlreiche nachhaltig angebaute Fairtrade-Bio-Lebensmittel.
Der Konsument kann den korrekten Einkauf im Internet weiter perfektionieren: Dort gibt es zum Beispiel Bio-Lamm aus dem Walliser Lötschental. Wer bereit ist, 82 Franken für ein Kilo Lammfilet zu investieren, erhält das Fleisch per Post geliefert.
Der neuste Trend heisst Kuhteilen. Ob übers Internet oder direkt ab Hof: Das Tier wird erst geschlachtet, wenn alle Teile verkauft sind. Der Käufer erhält nicht nur die teuren Filetstücke, sondern auch Zunge, Gnagi und Kutteln. Teurer als die plastikverpackte Massenware aus dem Kühlregal, dafür näher am Verbraucher.
Dennoch sind viele Umwelt- und Gesundheitsbewusste dem kommerziellen Bio-Paradies nicht grün. Ihnen liegt das Essen schwer im Magen. Zwar steigt der Marktanteil von Bio-Lebensmitteln seit vielen Jahren. Unter dem Strich wird der Grossteil der in der Schweiz verkauften Lebensmittel aber eben doch nach wie vor konventionell hergestellt. Laut jüngsten Zahlen von Bio Suisse machen Bio-Lebensmittel lediglich neun Prozent des Gesamtumsatzes in der hiesigen Lebensmittelbranche aus.
Erste Umfragen zeigen eine breite Zustimmung
Was der Markt nicht oder nur zögerlich erreicht, soll nun auf politischem Weg durchgesetzt werden. In der Schweiz steht eine ganze Reihe von Volksinitiativen zum Thema Landwirtschaft und Ernährung auf der Agenda. Sie alle sollen den Konsum noch fairer, noch umweltfreundlicher, noch gesünder gestalten helfen.
Den Auftakt machen am 23. September die Abstimmungen über die Fair-Food-Initiative sowie die Initiative «Für Ernährungssouveränität». Beide Vorlagen zielen auf eine regionale, nachhaltige, faire Lebensmittelproduktion.
Die Abstimmung wird für die Schweizer Landwirtschaft zu einem Richtungsentscheid. Erste Umfragen zeigen eine breite Zustimmung zu beiden Anliegen.
Woher rührt das Unbehagen darüber, wie unser Essen auf den Teller kommt? «Für viele Konsumenten ist die Ernährung eine Blackbox», sagt Michael Siegrist (53), Psychologe für Konsumentenverhalten an der ETH Zürich. «Sie haben sich von der Landwirtschaft entfremdet und wissen nicht, wie Esswaren heute produziert und verarbeitet werden.» Das führe zu einem Unbehagen und zu mangelndem Vertrauen.
Tatsächlich sind die Initiativen Ausdruck eines Widerspruchs: Seit der Mensch die Natur durch Wissenschaft und Technik beherrschbar gemacht hat, stieg die Sehnsucht nach Natürlichkeit. «Wir müssen uns heute nicht mehr vor der Natur fürchten», sagt Siegrist. «Die Natur ist für viele Menschen nur positiv.» Je natürlicher ein Lebensmittel erscheint, desto beliebter ist es bei den Verbrauchern.
Der Fortschritt machte das Essen sicherer
Dabei ist es noch nicht allzu lange her, dass Menschen in der Schweiz riskierten, an verdorbenem Essen oder Verunreinigungen zu sterben. Kein Wunder, freuten sich die Konsumenten in den 1950er-Jahren über verarbeitete Lebensmittel, über Zusatz- und Konservierungsstoffe.
Der Fortschritt der Technologie machte das Essen länger haltbar und sicherer. «Die Menschen schätzen diesen Fortschritt zu wenig», sagt Siegrist. «Sie haben vergessen, dass ihr Essen dank Technik und Wissen sicher ist. Und denken, nur Natürliches sei gut und gesund.» Der Psychologe erkennt darin eine verzerrte Wahrnehmung.
Spielt sich also alles nur im Kopf weltfremder Städter ab? Siegrists Erklärungen geben eben doch nur einen Teil der Wahrheit wieder. Die Lebensmittelskandale der jüngsten Vergangenheit – Pferdefleisch in der Lasagne, Dioxin-Eier, BSE-Panik – haben die Konsumenten ja zu Recht verunsichert.
Die industrielle Nahrungsmittelproduktion ist offensichtlich nicht frei von Risiken. Nicht ohne Grund sind es gerade auch Bauern, die unsere Landwirtschaft umpflügen wollen.
Hinter der Initiative «Für Ernährungssouveränität» etwa steht die Westschweizer Bauerngewerkschaft Uniterre. Und nicht ohne Grund spricht sich die Präsidentin des Landfrauenverbandes unmissverständlich für die Fair-Food-Initiative aus.
Tierdichte pro Hektar Fläche ist nirgendwo anders so hoch
Tatsächlich ist die Schweizer Landwirtschaft auf Hochleistung getrimmt – mitsamt allen Nebenwirkungen. So ist die Tierdichte pro Hektar Fläche nirgendwo anders so hoch. Entsprechend viel Gülle wird hierzulande ausgebracht: rekordhohe 239 Kilo Nitrat pro Hektar Landwirtschaftsland. Inzwischen lassen sich die tierischen Ausscheidungen im Grundwasser nachweisen: Laut jüngsten Zahlen des Bundes werden bei 15 Prozent der Messstellen die Grenzwerte von 40 Milligramm Nitrat pro Liter überschritten – besonders in Regionen mit intensiver Landwirtschaft ist dies der Fall. Auch im Trinkwasser wird die höchst problematische Mischung aus Flüssigabfällen inzwischen nachgewiesen, die laut jüngsten Studien bereits in geringen Mengen Darmkrebs auslösen kann.
Die jüngste Volksinitiative heisst «Jugend und Genuss», ihre Lancierung wurde gestern Nachmittag beschlossen. Damit möchte der Verein Slow Food Schweiz die Ernährungserziehung in der Verfassung verankern.
«Jugend und Genuss» ist nur die letzte einer ganzen Serie von Volksinitiativen zum Thema Essen. Am 23. September kommen die Fair-Food-Initiative und die Initiative «Für Ernährungssouveränität» zur Abstimmung. Die Fair-Food-Initianten wollen, dass der Staat eine ökologische, nachhaltige, faire Produktion von Lebensmitteln fördert – und Importe verbietet, die nicht hiesigen Standards entsprechen. Die Initiative «Für Ernährungssouveränität» geht noch weiter: Der Staat soll eine lokale Landwirtschaft fördern, nachhaltig und gentechfrei, und zwar mit Importzöllen und dem Verbot von Exportsubventionen.
Bald wird die Foie-gras-Initiative lanciert
Am 25. November kommt die Hornkuh-Initiative vors Volk. Zustande gekommen sind und auf einen Abstimmungstermin warten derzeit die Pestizid- und die Trinkwasser-Initiative, für ein Verbot der Masssentierhaltung werden Unterschriften gesammelt. Und bald lanciert werden soll die Foie-gras-Initiative, die den Import von Tierquälprodukten verbieten will.
Die jüngste Volksinitiative heisst «Jugend und Genuss», ihre Lancierung wurde gestern Nachmittag beschlossen. Damit möchte der Verein Slow Food Schweiz die Ernährungserziehung in der Verfassung verankern.
«Jugend und Genuss» ist nur die letzte einer ganzen Serie von Volksinitiativen zum Thema Essen. Am 23. September kommen die Fair-Food-Initiative und die Initiative «Für Ernährungssouveränität» zur Abstimmung. Die Fair-Food-Initianten wollen, dass der Staat eine ökologische, nachhaltige, faire Produktion von Lebensmitteln fördert – und Importe verbietet, die nicht hiesigen Standards entsprechen. Die Initiative «Für Ernährungssouveränität» geht noch weiter: Der Staat soll eine lokale Landwirtschaft fördern, nachhaltig und gentechfrei, und zwar mit Importzöllen und dem Verbot von Exportsubventionen.
Bald wird die Foie-gras-Initiative lanciert
Am 25. November kommt die Hornkuh-Initiative vors Volk. Zustande gekommen sind und auf einen Abstimmungstermin warten derzeit die Pestizid- und die Trinkwasser-Initiative, für ein Verbot der Masssentierhaltung werden Unterschriften gesammelt. Und bald lanciert werden soll die Foie-gras-Initiative, die den Import von Tierquälprodukten verbieten will.
Auch Pestizide kommen auf unseren Anbauflächen in ungeheuerlichen Mengen zum Einsatz – 2000 Tonnen pro Jahr.
Spitzenreiter sind der Obst- und Weinanbau: Durchschnittlich 31 Mal werden Äpfel in einer Saison mit Gift behandelt, Trauben 18 Mal. Der Unkrautvertilger Glyphosat wird mittlerweile auch im Wein nachgewiesen.
Pestizidhersteller bestreiten zwar Gefahren für die Gesundheit. Doch in unserem westlichen Nachbarland gilt der Zusammenhang als unbestritten: Die Parkinson-Erkrankung als Folge des Pestizideinsatzes ist bei Frankreichs Winzern rechtlich als Berufskrankheit anerkannt.
Eigentlich ist die Schweiz für eine intensive Landwirtschaft zu klein. Den Preis für deren im Wesentlichen auf Masse ausgerichtete Produktion bezahlen die Schweizer Konsumenten daher nicht nur mit einem Verlust an Biodiversität – und mit ihrer Gesundheit –, sondern auch übers Portemonnaie: Sie zahlen für Fleisch durchschnittlich 153 Prozent mehr als Kunden in Deutschland.
Immer mehr Bauern möchten aus dem System ausbrechen
Nicht nur für die Konsumenten hat die überdrehte Produktion von Lebensmitteln Nachteile: Immer mehr Bauern möchten aus diesem System ausbrechen. Denn trotz 7,7 Milliarden Franken an Direktzahlungen stagniert das Einkommen der Landwirte auf relativ tiefem Niveau. 64300 Franken beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen pro Betrieb.
Ein Grund dafür sind hohe Produktionskosten. Landwirte zahlen viel zu viel für Futter und unterhalten einen sündhaft teuren Maschinenpark. Der Bund versucht sie mit Hilfe von Zöllen vor billiger Massenware aus dem Ausland zu schützen. Doch die Handelsschranken entpuppen sich immer mehr als Hemmnis. Sie erschweren nämlich auch, dass Schweizer Bauern ihre Erzeugnisse ins Ausland exportieren können.
Eigentlich könnte schon heute jeder fair produzierte, ökologisch nachhaltige und gesunde Produkte kaufen – wenn er will. Vor dem Einkaufsregal verhält sich der Mensch aber anders als in Umfragen. Dort entscheidet nämlich meist der Preis.
Die Frage für die kommende Serie von Urnengängen ist darum: Wie werden Herr und Frau Schweizer abstimmen? Lassen sie sich von ihrem Wunsch nach dem Paradies leiten? Oder entscheidet für sie am Ende eben doch das Portemonnaie?
Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.
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