Rhetorik-Profi Patrick Rohr zu Ääähm-Arslan und Schneider-Ammann
Warum können wir Schweizer nicht reden?

Wenn es um öffentliche Auftritte geht, sind wir Schweizer nicht gerade weltmeisterlich. Kommunikations-Profi Patrick Rohr erklärt, woran das liegt.
Publiziert: 16.03.2016 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 03:33 Uhr
Ääähm-Alarm bei Neo-Nationalrätin Sibel Arslan
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Beim ersten Auftritt vor dem Parlament:Ääähm-Alarm bei Neo-Nationalrätin Sibel Arslan
Roman Rey

Die ganze Welt machte sich über die monotone Rede von Bundespräsident Johann Schneider-Ammann lustig – und nun blamierte sich die neue Nationalrätin Sibel Arslan bei ihrem ersten Auftritt vor dem Parlament. Immer wieder tun sich Schweizer bei öffentlichen Auftritten schwer. Woran liegt das? BLICK hat bei Patrick Rohr, der seit 10 Jahren eine Kommunikationsagentur führt, nachgefragt.

BLICK: Haben wir in der Schweiz ein Rhetorik-Problem?

Patrick Rohr: Im Vergleich mit anderen Ländern wie den USA, wo man viele brillante Redner findet, besteht hier tatsächlich Nachholbedarf.

Woran liegt das?

Einerseits sicher daran, dass das Reden vor Publikum in der Schule lange stark vernachlässigt wurde. Und dann ist man plötzlich in einer repräsentativen Funktion, wird Geschäftsführer oder Gemeindepräsident, ohne es je gelernt zu haben.

An Ihren Kursen nehmen Menschen verschiedener Nationalitäten teil. Wie unterscheiden sich die Schweizer von ihnen?

Deutsche zum Beispiel reden oft schon zu Anfang eines Kurses viel geschliffener. Was aber nicht heisst, dass das besser ist. Wenn jemand viel redet, aber nichts sagt, hat auch niemand etwas davon. Schweizer sind da generell viel unsicherer. Oft auch, weil sie sich in der Schulzeit nie mit dem Thema befassen mussten.

Patrick Rohr: Ex-TV-Mann und Kommunikations-Profi.

Das ist doch einfach unsere Mentalität.

Die berüchtigte Schweizer Bescheidenheit spielt bestimmt auch eine Rolle. Ich habe viele Kunden, die gleich zu Beginn sagen: «Ich will niemand sein, der alles überstrahlt.» Sehr anständig, aber beim Auftreten finde ich diese Bescheidenheit falsch, denn man stiehlt seinem Publikum mit einer langweiligen Präsentation oder Rede wertvolle Lebenszeit.

Ist nicht auch die Sprache ein Problem?

Tatsächlich schreiben viele Schweizer ihre Reden auf auf Hochdeutsch und tragen sie im Dialekt vor. Das kommt selten gut. Erstens, weil die Sprachen anders strukturiert sind. Zweitens, weil es einfach sofort weniger authentisch wirkt. Man soll den Mut haben, zu seiner Sprache zu stehen und so reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist.

An wem darf man sich orientieren?

Adolf Ogi und Christoph Blocher sind grossartige Redner, sehr volksnah. Auch Doris Leuthard wirkt sehr authentisch. Und natürlich Moritz Leuenberger. Der redet zwar etwas geschliffener und arbeitet mit allen möglichen rhetorischen Mitteln, aber es passt zu ihm, man kauft es ihm ab.

Die Nationalrätin Sibel Arslan hat sich gerade öffentlich blamiert.

Seien wir fair: Das Video, das zurzeit kursiert, ist aus dem Kontext gerissen. Frau Arslan hatte davor eine fünfminütige Rede, die war sehr gut. Erst die unvorbereitete Nachfrage brachte sie aus dem Konzept.

Wie reagiert man am besten in so einer Situation?

Da gibt es gute Strategien, die man üben kann. Eine Einteilung in Einerseits, Andererseits, Folgerung, zum Beispiel. Da kann man mit den vertrautesten Informationen beginnen. So gewinnt man Zeit, sich für den zweiten Teil und den Schluss zu sammeln, und liefert doch bereits Inhalt. Eine andere Möglichkeit ist, ein Statement in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu unterteilen.

Die Rede von Bundespräsident Schneider-Ammann war aber vorbereitet.

Ja, und jetzt lacht die ganze Welt über die Schweiz. Darum sollten wir die Kunst des Redens nicht unterschätzen. Egal, wie gut jemand seinen Job macht, ein schlechter Auftritt kann zum Verhängnis werden. 2009 hatte Peter Kurer als VR-Präsident der UBS der Sendung «10vor10» ein sehr unglückliches Interview gegeben. Kurz darauf trat er zurück. Kurer wurde für die Grossbank zum Reputationsrisiko. Wer eine Spitzenposition innehat, muss sich bewusst sein, dass die Kommunikation einen wichtigen Teil des Jobs ausmacht.

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