Rettet Hans Michael Kellner mit seiner Maschine das Klima?
Dieser Ingenieur löst das CO2-Problem

Ingenieure bringen neue Technologien zur Rettung des Planeten. Klimaaktivisten sagen Nein dazu. Mittendrin im Kampf ums Überleben: die Grünen.
Publiziert: 12.10.2019 um 23:21 Uhr
|
Aktualisiert: 13.10.2019 um 10:27 Uhr
1/12
Ingenieur Hans Michael Kellner (54) hat eine CO2-Recycling-Maschine entwickelt.
Foto: Thomas Meier
Dana Liechti und Danny Schlumpf

Die Grünen rufen zur Klimawahl. Umfragen sagen: Es dürfte sich lohnen. Tun müssen sie dafür kaum etwas. Ihre Arbeit übernimmt die Klimajugend. Die jungen Aktivisten fordern eine Abkehr von der umweltschädlichen kapitalistischen Wirtschaft und ihren Technologien.

Gerade solche Technologien versprechen aber, das Klimaproblem zu lösen. Schweizer Unternehmer und Wissenschaftler sind weltweit führend in diesem Bereich. Einer von ihnen ist der Ingenieur Hans Michael Kellner (54). Er hat eine CO2-Recycling-Maschine entwickelt und fordert von der Politik mehr Offenheit für technologische Innovationen.

Für die Grünen ergibt sich da­raus ein Dilemma: Sollen sie weiter auf der Klimawelle der kapitalismuskritischen Jugend reiten oder eher Lösungsvorschläge aus der Wirtschaft akzeptieren?

Radikale Verhaltensänderung gefordert

Die Klimajugend hat ein klares Rezept: «System Change, not Climate Change» – Systemwechsel statt Klimawandel. Diese Forderung prangt immer wieder auf ihren Transparenten. Die Jugendlichen finden, wir müssten unser Verhalten radikal ändern – wie wir unsere Nahrungsmittel produzieren, wie wir wohnen, uns fortbewegen und konsumieren.

Luisa Neubauer (23), prominente Vertreterin der Bewegung in Deutschland, schreibt im Buch «Vom Ende der Klimakrise», das nächste Woche erscheint: «Globale Erwärmung, Umweltzerstörung und wachsende Ungleichheit sind vor allem die Folgen einer entfesselten Wirtschaftsweise, die auf Profit und Quartalszahlen ausgerichtet ist, nicht aber auf das Wohlergehen von Mensch und Natur.»

Den heutigen Lebensstandard aufrechterhalten und das Klima­problem technisch lösen? Die Klimajugend glaubt nicht, dass dies funktionieren kann. Schon an der Klimakonferenz in Polen 2018 warnte Greta Thunberg vor den Mächtigen der Welt, die über «magische Maschinen sprechen, die es gar nicht gibt». Und in den USA klagte sie kürzlich an: «Wie könnt ihr es wagen zu glauben, dass man das lösen kann, indem man so weitermacht wie bislang – und mit ein paar technischen Lösungsansätzen?»

So wurde Greta Thunberg weltberühmt
1:57
Klima-Ikone im Portrait:So wurde Greta Thunberg weltberühmt

Offen kapitalismusfeindlich

Noch deutlicher wird Extinction Rebellion, eine Gruppierung, die jetzt in vielen Grossstädten weltweit mit Strassenblockaden auf sich aufmerksam machte und sich offen kapitalismusfeindlich gibt.

Ihr Vordenker, der britische Philosoph Rupert Read (53), warnt vor der «Magie der Techno-Industrie» und ruft dazu auf, «die Illusion des Techno-Optimismus» fallen zu lassen. Die Menschen müssten vielmehr ihren Lebensstil radikal ändern: «Wir setzen das Überleben des Planeten aufs Spiel, wenn wir solchen Technologien vertrauen.» Laut Read wäre die einzig richtige Antwort auf die Klimabedrohung, Bäume zu pflanzen und sich an der prähistorischen Jäger-und-Sammler-Gesellschaft zu orientieren.

Weltweite Strassenblockaden für das Klima
1:13
Tausende festgenommen:Weltweite Strassenblockaden für das Klima

Bäume pflanzen sei schön und gut, findet Hans Michael Kellner. «Aber ohne Technologie kommen wir nie auf einen grünen Zweig.» Der Chef des Gasunternehmens Messer Schweiz aus Lenzburg AG setzt voll auf CO2-Rückgewinnung. In Sulgen TG liess er eine Anlage bauen, die das Rauchgas des Milchpulverherstellers Hochdorf abfängt und ihm das CO2 entzieht.

CO2 zurück in die Industrie

Doch wohin mit dem Kohlen­dioxid? Das Gas aus Sulgen kommt bei der Produktion der Milchpulver-Verpackungen zum Einsatz. Tatsächlich kann die Industrie CO2 gut gebrauchen. Zur Herstellung von Getränken wie Mineralwasser, Bier und Cola beispielsweise, in der Bauindustrie oder auch in Gewächshäusern.

Von Hochdorf und wenigen weiteren Ausnahmen abgesehen wird das von der Schweizer Wirtschaft nachgefragte Kohlendioxid heute importiert – über Tausende von Kilometern, von Abgas produzierenden LKW! Dabei gibt es bekanntlich mehr als genügend Unternehmen, die CO2 in rauen Mengen ausstossen. Kellners Lösung: «Statt das Kohlendioxid in die Atmosphäre zu lassen, reinigen wir es und vermitteln es wieder an die Industrie.» Allerdings wird viel mehr CO2 ausgestossen, als die Industrie je verarbeiten könnte. Wohin damit? Auch darauf hat Kellner eine Antwort: «In den Beton!» Er verweist dazu auf die USA. Dort gibt es eine neue Technik: Beton, der mit CO2 hergestellt wird, schluckt und speichert das Treibhausgas. Mit Blick auf die vier Milliarden Kubikmeter Beton, die jährlich weltweit produziert werden, liesse sich sehr viel Speicherplatz für CO2 schaffen.

Ab in die Wüste

Auch andernorts wird getüftelt. CO2 lässt sich auch in Treibstoff umwandeln. Professor Aldo Steinfeld (59) und sein Forschungsteam tun dies auf dem Dach der ETH Zürich. Sie gewinnen Kohlendioxid nicht aus Abgasen, sondern direkt aus der Atmosphäre – mit einer Mini-Raffinerie, die aus Umgebungsluft und Sonnenlicht synthetische Treibstoffe herstellt: Kerosin, Benzin und Methanol. Kraft­stoffe für Flugzeuge und Autos.

Steinfelds Mini-Raffinerie stellt – noch nicht sehr beeindruckend – einen Deziliter Treibstoff pro Tag her. «Wir müssen den Wirkungsgrad noch steigern und brauchen natürlich grössere Solaranlagen», sagt der Forscher. Die benötigen Platz. Und auch dafür gibt es eine Lösung: Am besten funktionierten die Anlagen in Gegenden mit viel Sonnenlicht, in Wüsten zum Beispiel.

«Verteilt über den Globus wären insgesamt 200 mal 200 Kilometer Fläche nötig, um den Kerosinbedarf der gesamten Luftfahrt zu decken», sagt Steinfeld. Das wäre weniger Fläche als jene der Schweiz – und klingt jetzt plötzlich doch beeindruckend. Warum nutzt man solche Technologien nicht sofort und im grossen Stil?

Politik ist gefordert

«Es gibt Hürden», sagt der Klimatologe Reto Knutti (46), ebenfalls von der Zürcher ETH. Er ist überzeugt, dass diese Technologien zwingend nötig sind, um das CO2-Problem in den Griff zu kriegen. «Ich glaube nicht, dass die Menschheit das Problem mit apokalyptischer Weltrevolution und Verzicht lösen wird.» Aber die Politik solle den Einsatz solcher Technologien nicht verhindern, sondern fördern. «Die freie Marktwirtschaft hat noch kein einziges Umweltproblem selber gelöst. Die Politik muss Anreize schaffen, mit Steuern, Lenkungsabgaben, Subventionen.»

Hans Michael Kellner hat früh den Kontakt zu Politikern aus allen Lagern gesucht. Demnächst wird er seine Ideen dem Bundesrat vorstellen. Überrascht ist er von der Reaktion der Parteien: «Die SVP hat sofort Interesse gezeigt, auch der Aargauer SP-Regierungsrat Urs Hoffmann hat Unterstützung angeboten.» Und die Grünen? «Sie sind die ein­zige Partei, die überhaupt nicht auf meine Versuche zur Kontaktaufnahme reagiert hat. Offenbar ist Angstmacherei für sie erfolgversprechender als die Arbeit an konkreten Projekten.» Regula Rytz verteidigt ihre Parteikollegen: Die Grünen könnten nicht mit allen Unternehmern direkte Kontakte pflegen.

Am grundsätzlichen Dilemma der Grünen ändert das nichts: Im Sinne der Klimabewegung einen glaubwürdigen Umgang mit neuen Technologien zu finden, ist keine leichte Übung. Doch letztlich braucht es beides: Baumschulen und neue Technologien, einen Wandel unseres Lebensstils und magische Maschinen.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Dieses Buch soll Kindern den Klimawandel erklären
2:15
Neues Lehrmittel für Schulen:Dieses Buch soll Kindern den Klimawandel erklären
So rasant schmilzt der grösste Gletscher der Alpen
0:53
Gletscherschmelze:So rasant schmilzt der grösste Gletscher der Alpen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?