Peter Fehr (60) ist ein Vorreiter der In-vitro-Fertilisation (IVF) in der Schweiz: Der Facharzt für Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie leitete früher die Kinderwunschabteilung im Kantonsspital St. Gallen. Ab 1994 baute er in Schaffhausen eine private Reproduktionsklinik auf. 2013 zog seine Klinik nach Zürich. Fehr beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Paaren, die auf ihrem Weg zum Kinderglück einen Umweg machen müssen.
Herr Fehr, bei fast zwei Dritteln der 18- bis 22-jährigen Schweizer genügt die Spermienqualität nicht den Normwerten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sterben wir bald aus?
Peter Fehr: Nein, die Menschheit wird nicht aussterben – und wir Schweizer auch nicht. Schliesslich bedeuten die Zahlen nicht, dass zwei Drittel der jungen Schweizer völlig unfruchtbar sind und deshalb kinderlos bleiben werden. Aber die Spermienqualität nimmt tatsächlich ab. Die Zahlen sind beunruhigend.
Was sind die Gründe dafür?
Einen einzelnen Grund gibt es nicht, sonst hätten wir ihn längst gefunden. Vereinfacht gesagt, gibt es vier Einflussfaktoren. Die Vererbung, also die Gene. Die Zeit im Mutterleib während der Schwangerschaft, Epigenetik genannt. Der eigene Lebensstil, also zum Beispiel ob jemand raucht, sich gesund ernährt und Sport treibt. Sowie die Umwelteinflüsse, also die Auswirkungen von Chemikalien, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind.
Wissen wir dank der neuen Studie der Universität Genf mehr?
Die Studie hat nicht nur die Spermienqualität untersucht, sondern auch nach möglichen Ursachen geforscht. Deshalb konnte belegt werden: Wenn eine Frau während der Schwangerschaft raucht, verringert dies die Fruchtbarkeit ihres Sohnes. Nichtsdestotrotz gibt es aber nach wie vor viele offene Fragen.
Wenn die Fruchtbarkeit abnimmt, müsste die Zahl der künstlichen Befruchtungen eigentlich zunehmen. Das ist aber gemäss Bundesamt für Statistik nicht der Fall, die Zahlen stagnieren seit 2010. Wie passt das zusammen?
Darüber kann man nur spekulieren. Ein möglicher Grund ist, dass mehr Schweizer ins Ausland reisen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Schliesslich sind Eizellenspenden in der Schweiz verboten. Und Behandlungen im Ausland erscheinen nicht in der Statistik. Die stagnierenden Zahlen könnten aber auch damit zusammenhängen, dass die Erfolgsquote künstlicher Befruchtungen stetig steigt. Dadurch müssen weniger Befruchtungen durchgeführt werden.
Wie häufig ist es, dass es bei einem Paar nicht klappt mit dem Kinderwunsch?
Eines von acht Paaren ist ungewollt kinderlos. Von den betroffenen Paaren wiederum kann man heute aber 60 bis 80 Prozent helfen, dank künstlicher Befruchtung ein Kind zu bekommen – ohne Sperma- und Eizellenspende.
An wem liegt es öfter, dass es auf natürliche Weise nicht funktioniert?
Zu 50 Prozent liegt das Problem bei der Frau, zu 50 Prozent beim Mann. Grosse Unterschiede gibt es aber, wie die beiden Geschlechter mit dem Problem umgehen. Frauen beschäftigen sich in der Regel sehr sachlich damit und versuchen eine Lösung zu finden. Männer hingegen blocken oft ab, wenn es um ihre Fruchtbarkeit geht.
Wieso das?
Beim Mann wird Unfruchtbarkeit oft mit Impotenz verwechselt. Es ist ein riesiges Tabuthema. Viele Männer können oder wollen mit niemandem darüber reden. Dabei gibt es für Männer, deren Spermienqualität beeinträchtigt ist, oft Hoffnung auf Besserung – im Gegensatz zur Frau.
Das heisst, Männer können an ihrer Spermienqualität arbeiten?
Auf jeden Fall. Durch einen gesunden Lebensstil kann die Spermienqualität bei vielen Männern innerhalb von wenigen Monaten verbessert werden.
Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Wie steht es eigentlich um die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen, die durch eine künstliche Befruchtung auf die Welt gekommen sind?
Ein führender Fruchtbarkeitsforscher aus Norwegen hat kürzlich behauptet, dass Babys, die durch In-vitro-Fertilisation geboren wurden, wahrscheinlich wie ihre Eltern Fruchtbarkeitsprobleme haben werden. Zudem gibt es Hinweise, dass eine künstliche Befruchtung für das Kind möglicherweise mit erhöhten Gesundheitsrisiken verbunden ist. Vor einigen Jahren sorgte die Studie des Berner Kardiologen Urs Scherrer für Furore. Diese zeigte: Kinder, die dank einer künstlichen Befruchtung zur Welt gekommen sind, weisen einen erhöhten Blutdruck auf. Es gibt in diesem Bereich aber noch viele offene Fragen, und viele Studienergebnisse konnten in Nachfolgeuntersuchungen nicht mehr bestätigt werden.