Bündner Bergquellwasser und Edelweiss: Diese Kombination macht die Handcreme der Marke Tal zur meistverkauften Salbe in Schweizer Apotheken und Drogerien. Doch der heimische Markt ist gesättigt. Deshalb suchte die Prättigauer Firma Parsenn Produkte AG neue Absatzmöglichkeiten für ihre Creme – und landete einen Coup in China.
Dort lockt ein 40-Milliarden-Markt für Beauty-Produkte. Bloss: Wie kommt ein Schweizer Kleinunternehmen mit 15 Angestellten in diesen Megabasar, in dem sich Giganten wie L’Oréal und Dior duellieren? «Am besten auf möglichst direktem Weg», sagt Tal-Chef Oliver Lüscher (47). Über eine chinesische Vertriebsfirma nahm er Kontakt mit Austin Li (28) auf – dem grössten Influencer im Reich der Mitte.
Der ehemalige Verkaufsassistent Li ging 2017 online: Er liess sich von Kosmetikfirmen Produkte liefern und verkaufte sie live auf der E-Commerce-Plattform Taobao.
Teleshopping für Junge
Die Streams gingen in kürzester Zeit durch die Decke. Seit Austin Li einmal in fünf Minuten 15'000 Lippenstifte verkaufte, ist er der «Lipstick King» Asiens. Heute folgen bis zu 100 Millionen junger Chinesinnen seinen digitalen Teleshopping-Sendungen, wenn er in die Kamera ruft: «Oh mein Gott, Schwestern, kauft das!»
Im Januar war Tal dran: «Die Hände sind das zweite Gesicht der Frau», sagte Austin Li in seinem Livestream. Dann rieb er sich mit der Prättigauer Salbe die Hände ein. «Da ist Gletscherwasser aus den Schweizer Alpen drin. Die Salbe ist überhaupt nicht fettig und zieht sofort ein.»
Und dann sagte Li: «Wir haben nur 12'000 Stück verfügbar.» Zwei Minuten später waren die Salben ausverkauft.
Es hätte auch anders kommen können: Der Topinfluencer hat schon Cremes von L‘Oréal vor laufender Kamera zur Schnecke gemacht, weil sie ihm nicht passten. «Wir wissen nicht genau, warum er unsere Salben mag», sagt Tal-Marketingchef Mario Engi (35). «Aber es hat wohl einiges mit dem Bild der heilen Schweizer Bergwelt zu tun, das in Asien fest verankert ist.»
Kommt es zum Edelweissmangel?
40'000 Tal-Salben gingen in China mittlerweile über den Ladentisch. Interessenten aus Taiwan und Südkorea haben im Prättigau angeklopft. Und jetzt sind die Chinesen auch auf die Handmasken von Tal aufmerksam geworden: 300'000 Stück sind bereits weg. Im Mai testet Li auch dieses Produkt in seiner Sendung. Oliver Lüscher ist auf alles gefasst: «Die Aktion dürfte die Nachfrage antreiben. Wir müssen schauen, dass uns das Edelweiss nicht ausgeht.»
Edelweissmangel im Bündnerland, weil ein chinesischer Influencer eine Salbe in die Kamera hält: Wie ist das möglich? «Früher hatte man die Bibel, heute hat man Instagram und Tiktok», sagt Kommunikationsexpertin Ivana Leiseder (35). «Influencer sind die neuen Propheten, Projektionsflächen für allerlei Träume und Wünsche.»
Es sei der gleiche Mechanismus wie in Computergames, sagt Leiseder. Dort munitionieren sich Helden mit magischen Gegenständen auf. «Mit der Salbe von Tal wird man auch zum Helden, zur kleinen Kopie des grossen Austin Li.»