Kurt Schreiber, Präsident von Pro Bahn, ist empört. «Was am Gotthard abgeht, ist skandalös», sagt der oberste Interessenvertreter der ÖV-Kunden in der heutigen Ausgabe der «NZZ am Sonntag».
Es sind die SBB-Pannenzüge des Typs ETR 610, die bei Schreiber die Emotionen hochkochen lassen. Eingesetzt wird der Hochgeschwindigkeitszug aus dem Hause Alstom auf der Nord-Süd-Achse – bald auch im Gotthard-Basistunnel, der am 1. Juni nach 17 Jahren Bauarbeiten feierlich eröffnet wird.
Wie bereits sein Vorgänger, der Cisalpino, sorgt der ETR 610 regelmässig für Ärger. Die Pannen auf der Gotthard-Strecke häufen sich, allein gestern kam es laut «NZZ am Sonntag» zu drei Zugausfällen auf der Nord-Süd-Strecke. Immer wieder sind Züge verspätet, Toiletten defekt, Passagiere klagen über kaputte Klimaanlagen und Mief im Zug.
Tessiner Zugbegleiter beklagten sich
Auch den Tessiner Zugbegleitern stinkts. Sie, die täglich mit den Beschwerden der Passagiere konfrontiert sind, haben ihrem Ärger bereits in einem Brief an SBB-Personenverkehrschefin Jeannine Pilloud Luft gemacht. Die Tessiner Sektion wirft ihr Untätigkeit vor. Obwohl die zahlreichen Reklamationen weitergeleitet worden seien, habe die SBB-Spitze bisher nicht gehandelt.
Unterstützung bekommt das Tessiner Zugpersonal von der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. Laut Sprecher Peter Moor verpassten Zugreisende in Arth-Goldau immer wieder ihren Anschluss, weil die Abteilungen Infrastruktur und Personenverkehr dem Zugpersonal unterschiedliche Anweisungen geben, ob ein verspäteter Zug abgewartet werden soll oder nicht.
Für Pro-Bahn-Präsident Kurt Schreiber ist klar: Die SBB haben den Bahnbetrieb auf der Nord-Süd-Achse nicht im Griff. Es sei ein Hohn, dass die Bundesbahnen den neuen Tunnel gar als Grund für eine Preiserhöhung angäben, sagt Schreiber zur «NZZ am Sonntag».
Auch sein Vorgänger Erwin Dutler wählt deutliche Worte. «Die oberste Führung der Bundesbahnen hat versagt», wird der ehemalige Pro-Bahn-Präsident zitiert.
«Wir arbeiten mit Hochdruck an Lösungen»
Anders als im Falle der Pannen um den Cisalpino kann die SBB die Schuld an den Betriebsstörungen nicht den Italienern zuschieben, die damals für die Wartung der Züge zuständig waren. Die neuen ETR 610 werden in Genf gewartet – in den Werkstätten der SBB.
Diese verteidigen den Pannenzug. «Der ETR 610 ist grundsätzlich ein guter, komfortabler Zug», sagt Sprecher Christian Ginsig. Er gibt aber zu, dass es auf der Gotthardachse in letzter Zeit zu Problemen mit der Pünktlichkeit gekommen sei, unter anderem aufgrund technischer Störungen. Ginsig versichert: «Wir arbeiten mit Hochdruck an Lösungen.»
Dabei drängt die Zeit. Auf den Fahrplanwechsel im Dezember wird der Gotthard-Basistunnel in Betrieb genommen – ein Bauwerk, das laut dem PR-Text auf der Homepage des Mega-Projekts für «Schweizer Werte wie Innovation, Präzision und Zuverlässigkeit» stehen soll.