Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (62) hat harte Zeiten durchlebt. 106 Tage schmorte er in U-Haft. Essen, Schlafen und Körperhygiene – sein ganzer Alltag spielte sich in einer Zehn-Quadratmeter-Zelle ab. Kontakt zu Mitgefangenen gab es nicht. Die Staatsanwaltschaft verbot dem Banker sogar den Konsum von Medien.
Für Vincenz war seine Haft übertrieben
«Was ich in den letzten Wochen erlebt habe, wünsche ich niemandem», lässt Vincenz per Mitteilung verlauten. Dennoch scheint er ungebrochen: «Es geht mir den Umständen entsprechend gut. Ich danke allen, die in dieser schwierigen Zeit zu mir stehen.» Der Bündner spricht Klartext: «Die Untersuchungshaft war aus meiner Sicht unnötig und ihre Länge völlig unverhältnismässig.»
Auch zum Verfahren äussert sich Vincenz: «Die gegen mich erhobenen Vorwürfe bestreite ich nach wie vor und ich werde mich mit allen Mitteln dagegen wehren.» Zusammen mit seiner Frau erholt er sich nun an einem geheimen Ort.
Rechtspsychologin Monika Egli-Alge (59) vom Forensischen Institut Ostschweiz (Forio) versteht den Rückzug. Sie weiss: «Untersuchungshaft ist für jeden ein Schock, egal ob schuldig oder unschuldig.»
Zwar kennt sie Pierin Vincenz nicht persönlich, dafür sind ihr die Dynamiken der U-Haft vertraut: «Plötzlich bricht die Realität ein. Ein Gefangener erlebt die ganze Macht und Gewalt vom Rechtsstaat am eigenen Leib.»
Psychologin: «Es gibt keine Freiheit mehr»
Egli-Alge konkretisiert: «Man hat in dieser Situation keine Freiheit mehr. Wenn man etwa morgens um 7 Uhr zum Verhör gerufen wird, muss man antraben.» Aus psychologischer Sicht nennt sie die U-Haft deshalb einen «traumatischen Einschnitt ins bürgerliche Leben».
Laut der Expertin haben es unschuldig Inhaftierte besonders schwer. Für diese Gefangenen drängt sich die Frage auf: «Wie verhalte ich mich richtig? Ruft man aus oder bricht man zusammen?» Ein Rezept gibt es nicht.
Im Normalfall bekommt nur das direkte Umfeld etwas von den Anschuldigungen mit. Beim Ex-Raiffeisen-Chef ist das anders. Er ist eine Person des öffentlichen Lebens – ergo weiss die ganze Schweiz Bescheid.
Doppelte Belastung durch das öffentliche Interesse
«Das ist natürlich eine doppelte Belastung», so Egli-Alge. «Er darf keine Nachrichten konsumieren, weiss aber, dass draussen alle über ihn sprechen.» Doch das mediale Interesse hat für die Psychologin auch Vorteile: «Falls seine Unschuld bewiesen wird, bekommen es alle mit. Sein Ruf wäre wiederhergestellt.»