Raiffeisen könnte Grundversorgung sicherstellen
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Nicht nur Postfinance:Raiffeisen könnte Grundversorgung sicherstellen

Raiffeisen-Chef bringt seine Bank ins Spiel für Service public
«Nicht nur Postfinance kann Grundversorgung gewährleisten»

Raiffeisen-CEO Heinz Huber hat keine Angst vor einer Postfinance, die Hypotheken vergeben darf. Im Gegenteil: Raiffeisen sieht eine allfällige Privatisierung der Post-Tochter als Chance.
Publiziert: 24.01.2021 um 21:21 Uhr
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Aktualisiert: 18.04.2021 um 19:53 Uhr
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Der Bundesrat hat diese ­Woche bekannt gegeben, dass er die Postfinance privatisieren will.
Foto: keystone-sda.ch
Interview: Thomas Schlittler

Der Bundesrat hat diese Woche bekannt gegeben, dass er die Postfinance privatisieren will. Das würde bedeuten, dass die Post-Tochter in Zukunft auch Hypotheken vergeben darf. Raiffeisen, die Nummer eins in diesem Geschäft, wäre plötzlich mit einer Konkurrentin konfrontiert, die in der Bevölkerung grosses Vertrauen geniesst. Im Telefon-Interview mit SonntagsBlick sagt Raiffeisen-CEO Heinz Huber, was die Bundesratspläne für seine Bank bedeuten.

Herr Huber, der Bundesrat will die Postfinance privatisieren und zu einer vollständigen Bank machen. Zittern Sie?
Heinz Huber:
Im Gegenteil. Raiffeisen begrüsst die Privatisierungspläne des Bundesrats. Die Postfinance bietet ja heute schon Bankdienstleistungen an und ist im Anlagebereich sowie im Zahlungsverkehr eine direkte Konkurrentin. Neu wäre, dass die Postfinance in Zukunft auch direkt Kredite und Hypotheken vergeben könnte.

Ein wichtiger Unterschied!
Klar. Aber auf dem Kredit- und Hypothekenmarkt gibt es schon heute viele Anbieter. Der Wettbewerb ist extrem kompetitiv. Wenn jetzt auch noch die Postfinance hinzukommt, spielt das für uns keine grosse Rolle. Wir sind der grösste Hypothekaranbieter in der Schweiz, haben eine starke regionale Verwurzelung und sind deshalb in einer hervorragenden Ausgangslage. Wir stellen uns diesem Wettbewerb.

In ruhigem Fahrwasser

Heinz Huber (56) ist seit zwei Jahren Raiffeisen-Chef. Nach dem Skandal um Langzeit-CEO Pierin Vincenz führte er die Genossenschaftsbank wieder in ruhigere Gewässer. Zuvor war er fünf Jahre Geschäftsleiter der Thurgauer Kantonalbank.

Heinz Huber (56) ist seit zwei Jahren Raiffeisen-Chef. Nach dem Skandal um Langzeit-CEO Pierin Vincenz führte er die Genossenschaftsbank wieder in ruhigere Gewässer. Zuvor war er fünf Jahre Geschäftsleiter der Thurgauer Kantonalbank.

Vor einigen Monaten tönte das noch anders. Als der Bundesrat im Sommer vorschlug, das Kredit- und Hypothekenverbot der Postfinance aufzuheben, ohne das Unternehmen zu privatisieren, sprach sich Raiffeisen in der Vernehmlassung klar dagegen aus. Weshalb?
Das war eine komplett andere Ausgangslage. Unser Grundsatz lautet: Gleich lange Spiesse für alle Marktteilnehmer. Mit einer privatisierten Postfinance haben wir kein Problem. Eine Postfinance mit dem Bund im Rücken wäre hingegen eine Wettbewerbsverzerrung. Der Staat soll nur in Bereiche eingreifen, die nicht funktionieren. Das ist auf dem Kredit- und Hypothekenmarkt definitiv nicht der Fall. Deshalb wäre es fehl am Platz, wenn der Staat hier ein eigenes Angebot lancieren würde.

Diese Wettbewerbsverzerrung gibt es ja längst: Fast alle Kantonalbanken haben eine Staatsgarantie der Kantone.
Diese sind im 19. Jahrhundert entstanden, als grosse Teile der Bevölkerung keinen Zugang hatten zu Krediten. Bei der Postfinance geht es aktuell aber darum, die Kapitalanforderungen der Finma zu erfüllen. Das ist für alle betroffenen Banken eine Herausforderung. Vor diesem Hintergrund wäre eine Staatsgarantie weder fair noch zeitgemäss.

Die Postfinance hat in den vergangenen Jahren die gesamte Post quersubventioniert. Bei einer Privatisierung wäre deshalb die Finanzierung der Grundversorgung im Brief- und Paketbereich in Gefahr. Ist Ihnen das gleichgültig?
Nein, wir sind klar der Meinung, dass es in der Schweiz eine Grundversorgung für die gesamte Bevölkerung braucht. Aber es kann nicht sein, dass sich die Post von der Quersubventionierung durch die Postfinance abhängig macht. Die Post braucht eine stabile, unabhängige und politisch abgestützte Finanzierung. Die unsicheren und schwankenden Gewinne eines Tochterunternehmens sind kein taugliches Geschäftsmodell für die Zukunft. Wenn sich ein Teil der Grundversorgung nicht kostendeckend sicherstellen lässt, soll das direkt vom Staat finanziert werden, sauber deklariert über Steuergelder.

Was ist so schlimm an einer Quersubventionierung? Der Bahnverkehr wird zu einem Teil auch von SBB Immobilien finanziert. Wir alle profitieren davon – wir müssen weniger Steuern bezahlen.
Die Gefahr bei einer Quersubventionierung ist, dass die Produkte nicht mehr so viel kosten, wie sie eigentlich kosten sollten. Das ist nicht im Sinne einer offenen, marktwirtschaftlichen Ordnung.

Die Grundversorgung im Zahlungsverkehr wäre bei einer Postfinance-Privatisierung ebenfalls gefährdet. Wer soll diese sicherstellen? Nicht jeder Rentner ist in der Lage, seine Rechnungen per E-Banking zu bezahlen.
Die Digitalisierung schreitet laufend voran: Einzahlungsscheine werden 2022 durch den QR-Code ersetzt, der Bargeldverkehr schrumpft jährlich. Solange es jedoch den Bargeldverkehr gibt, braucht es auch eine Infrastruktur dafür. Wie diese Grundversorgung genau aussehen soll, muss jetzt diskutiert werden. Klar ist aber: Nicht nur die Postfinance kann eine solche Grundversorgung gewährleisten. Auch Raiffeisen bietet bereits heute eine Art Grundversorgung an.

Wie meinen Sie das?
Wir haben 834 Geschäftsstellen, mehr als 1700 Bancomaten und ein Onlinebanking, das täglich über eine halbe Million Nutzerinnen und Nutzer bedient. Wir sind die einzige Bank der Schweiz, die das so auf nationaler Ebene leistet.

Bedeutet das, dass Raiffeisen den Grundversorgungs- auftrag im Zahlungsverkehr übernehmen will?
Die Politik muss zuerst bestimmen, was eine Grundversorgung im Zahlungsverkehr in der heutigen Zeit bedeutet und eine geeignete Lösung finden. Raiffeisen ist bereit, sich an dieser Diskussion über den Service public zu beteiligen. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass ein Grundversorgungsauftrag öffentlich ausgeschrieben wird.

Heute lautet der Auftrag: «Für 90 Prozent der Bevölkerung müssen die Dienstleistungen des Zahlungsverkehrs zu Fuss oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln innerhalb von 20 Minuten erreichbar sein.» Kann Raiffeisen diese Bedingungen erfüllen?
Das müssten wir im Detail anschauen. Was ich aber sagen kann: Über 90Prozent der Schweizer Bevölkerung erreicht innerhalb von zehn Autominuten eine Raiffeisen-Geschäftsstelle. Wir sind also sicher nicht weit weg vom heutigen Grundversorgungsauftrag der Postfinance.

Mit diesen Aussagen bringen Sie Raiffeisen als möglichen Grundversorger ins Spiel. In den vergangenen Jahren hat Raiffeisen aber zahlreiche Filialen dichtgemacht. 2000 hatten Sie 1300 Filialen, jetzt noch 834. Ist das nicht ein Widerspruch?
Es stimmt, wir haben in den vergangenen Jahren Geschäftsstellen abgebaut. Die Genossenschaftsbanken orientieren sich an der Nachfrage. Sie wissen, wie der Bedarf vor Ort ist und entscheiden autonom. Wenn in einem Bergdorf der Grossteil der Bevölkerung in die Stadt abwandert, stellt sich automatisch die Frage, ob sich eine Geschäftsstelle noch lohnt. Für Raiffeisen ist aber klar: Wir werden auch in Zukunft eine breite Präsenz haben.

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