Rätsel-Morde Teil 5: Sechsjährige verschwand auf dem Weg zur Grossmutter spurlos
Auch das FBI suchte nach Sarah

Im September 1985 wollte das Mädchen aus Saxon im Unterwallis seine Grossmutter besuchen. Dann verschwand es spurlos.
Publiziert: 05.02.2017 um 15:22 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 03:18 Uhr
Auch das FBI suchte nach Sarah
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Rätsel-Morde Teil 5:Auch das FBI suchte nach Sarah
Walter Hauser

Rund um Saxon VS blühen Weinreben und Aprikosenbäume. Die Sonne scheint auf das Dorf im Unterwallis, die Einwohner geniessen den Tag im Freien. Es ist eine trügerische Idylle: An diesem 28. September 1985 verschwindet die sechsjährige Sarah Oberson. Sie wird nie wieder gesehen. «Für die Familie, für das Dorf, für die ganze Bevölkerung hier ist und bleibt es eine schreckliche Tragödie», sagt Bernard Comby (77). Er war damals Walliser Erziehungsdirektor und lebte selbst in Saxon. Bis heute hat er die Hoffnung nicht aufgegeben: «Das Dossier Sarah Oberson ist keineswegs geschlossen.»

Ein Abwart und ein Gymnasiast sahen Sarah als Letzte

Comby kennt die Familie gut – und kann sich exakt an jenen Samstag vor über 31 Jahren erinnern. Damals lebten lediglich 2500 Menschen im Dorf, halb so viele wie heute. Trotzdem war viel los: Eine Auto-Rallye fand statt, die Vorbereitungen zu einem Zehnkilometerlauf liefen.

Über Sarah Obersons Verschwinden kursieren etliche Gerüchte.

Um halb sechs Uhr abends hatte Sarah das Elternhaus verlassen, um ihre Grossmutter zu besuchen. Doch dann entschloss sich das Mädchen offenbar anders und fuhr auf dem Velo zum knapp 100 Meter entfernten damaligen Dorfschulhaus.

Gegen 18 Uhr sah ein Gymi-Schüler sie zusammen mit dem Schulabwart auf dem Pausenplatz. Die beiden unterhielten sich. Der Abwart und der Gymnasiast sind die letzten, die Sarah lebend sahen.

Auf dem Schulhof lag Sarahs Velo

Als das Mädchen nicht heimkehrte, machten sich Eltern und Freunde um 19 Uhr auf die Suche nach ihr. Bei der Grossmutter war sie nicht. Auf dem Schulhof, direkt vor der Eingangstreppe, fanden die Eltern ihr rotes Velo. Doch von dem Kind fehlte jede Spur.

Bernard Comby zeigt die Stelle vor dem Schulhaus, wo Sarahs Velo gefunden wurde.
Foto: Thomas Andenmatten

Um 21.20 Uhr benachrichtigte Claudy Oberson (heute 64), Sarahs Vater, die Polizei. Eine gross angelegte Suchaktion lief an, an der sich viele Dorfbewohner beteiligten. Die Polizei und private Helfer durchkämmten in den folgenden Tagen die Wälder, suchten in Ställen und Kellern, später kamen auch Militärs zum Einsatz. «Man glaubte und hoffte, Sarah könnte sich irgendwo verirrt oder aus Versehen eingeschlossen haben», erinnert sich Bernard Comby.

Auch Scharlatane wollten helfen

Doch sie blieb verschwunden. Ende 1985 versuchte man nochmals alles, um Sarah zu finden: FBI-Beamte aus den USA wurden beigezogen. Unterstützer verteilten 150'000 Flugblätter. 70 Pendler und Hellseher versammelten sich in Saxon. «Es gab unter den Helfern auch Leute, die sich wichtig machen wollten, Scharlatane», so Comby. Unzählige Anrufer meldeten sich. Einmal hiess es, Sarah sei in Wien gesehen worden, ein anderes Mal hiess es: in Lyon. Doch all das brachte die Ermittler nicht weiter.

Neben der Polizei, Privatpersonen und dem FBI suchte auch die Armee nach dem Mädchen.
Foto: Keystone

In den Tagen nach dem Verschwinden gründete Staatsrat Comby die «Solidaritätsbewegung Sarah Oberson». Zehn Jahre später entstand daraus die gleichnamige Stiftung. Sie besteht bis heute und bietet noch immer 50'000 Franken für weiterführende Hinweise.

Spuren in Algerien verliefen im Sand

2010 keimte Hoffnung auf. Per E-Mail meldete sich eine Frau aus Algerien und behauptete: «Ich glaube, ich bin Sarah Oberson und wurde als Kind entführt.» Die Schweizer Botschaft fand die Absenderin, schickte ein Foto von ihr in die Schweiz. Tatsächlich hatte sie eine gewisse Ähnlichkeit mit Sarah, die damals bereits 30 Jahre alt gewesen wäre. Doch eine DNA-Analyse fiel negativ aus. So verlief auch diese Spur im Sand.

Ein Phantombild aus der TV-Sendung «Aktenzeichen XY» zeigt, wie Sarah als Erwachsene aussehen könnte.

In den 80er-Jahren verschwanden in der Schweiz zahlreiche Kinder und wurden teilweise bis heute nicht gefunden. Für Bernard Comby hat der Fall Oberson eine ähnliche Handschrift wie etwa die Fälle von Sylvie B.* (12) in Neuenburg, Rebecca B.* (8) in Gettnau LU und Edith T.* (8) in Gass-Wetzikon TG. «Alle diese Mädchen wurden in der Umgebung von Schulen oder bei schulischen Aktivitäten entführt», sagt Comby. Möglicherweise fielen sie einem Serientäter zum Opfer, der landesweit sein Unwesen trieb.

Verdacht gegen den Schulabwart

Auch über Einwohner von Saxon kursierten Gerüchte und Anschuldigungen. Ein Mann geriet unter Verdacht, nachdem er im Dorf Selbstmord beging. Der Schulabwart, mit dem Sarah zuletzt gesehen worden war, galt für manche hinter vorgehaltener Hand als möglicher Täter. Schliesslich wurde der Druck auf ihn so gross, dass er nach Monthey VS zog. Inzwischen ist der Mann verstorben.

Für Sarahs Familie und das ganz Dorf blieb der Schmerz. Gemäss Comby ist die Mutter der Vermissten trotz allem überzeugt, man dürfe das Vertrauen ins Leben nicht verlieren. Zwei Jahre nach dem Verschwinden ihrer Tochter brachte sie wieder ein Kind zur Welt: Justine – «die Gerechte». Diese arbeitet heute als Polizistin.

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