«Hinter fast jeder Prostituierten steht ein Mann, der profitiert»
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Der grosse Rotlicht-Report:«Es war klar, dass ich mal auf dem Strich lande»

Puffmutter Anna über die Frauen, die in ihrem Bordell anschaffen
«Hinter fast jeder Prostituierten steht ein Mann, der profitiert»

Menschenhandel und Prostitution lassen sich kaum trennen. «Die Grenzen sind fliessend», sagt die Polizei. Doch das System ist so perfide, dass es kaum auffällt.
Publiziert: 16.08.2020 um 00:11 Uhr
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Aktualisiert: 19.01.2021 um 10:31 Uhr
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Ioana ist minderjährig. Sie lebt in einem Dorf ausserhalb von Bukarest. Ioana muss sich prostituieren. Ihre Mutter hilft ihr dabei, sich für die Nächte auf der Strasse vorzubereiten.
Foto: andrea bruce / NOOR
Aline Wüst

Sexarbeit sei ganz normale Arbeit, sagt der Zürcher Milieu-anwalt und SVP-Kantonsrat Valentin Landmann (70). Von Frauen aus dem Milieu wisse er ausser-dem, dass diese Tätigkeit keineswegs so unangenehm sei, wie sie stets dargestellt werde. Landmann sagt auch: Der Grossteil der Frauen arbeite selbst­bestimmt. Unter Zwang stünden die wenigsten.

Organisationen, die Prostituierte unterstützen, wiederholen wie Landmann unermüdlich, das Thema Menschenhandel sei strikt von Prostitution zu trennen.

Simon Steger ist Polizist bei der Kantonspolizei Luzern – Schwerpunkt Menschenhandel und Milieuaufklärung. Er sagt: «Die meisten Menschen denken, es sei schwarz oder weiss. Hier die Zwangsprostitution, da die normale Prostitution. Dabei ist alles viel fliessender.»
Alexander Ott von der Fremdenpolizei Bern leitet eine der wenigen Behörden, die über Zahlen zur Prostitution hierzulande verfügen – weil jede Person, die sich in seiner Stadt prostituieren will, zu einem persönlichen Gespräch vorbeikommen muss. Seine Erfahrung: 95 Prozent der Prostituierten sind Migrantinnen, etwa die Hälfte kommt aus Osteuropa.

Polizist Steger: «Ich gehe davon aus, dass der grösste Teil der Osteuropäerinnen diese Arbeit nicht freiwillig ausübt.» Gemäss Ott arbeiten 30 bis 50 Prozent aller Frauen unter Zwang. Dazu kämen jedoch immer mehr, die von ihrem Freund zur Prostitution gedrängt werden. Man nennt die Männer Loverboys. «Bei diesem Phänomen sind wir ziemlich machtlos», sagt er.

«Er hat mein Leben zerstört»

Bukarest, 2019. Im ersten Taxi fragt der Fahrer, weshalb ich in Rumänien sei. Dann lacht er: «Stimmt, die Rumäninnen gehen ins Puff nach Deutschland und in die Schweiz. They fuck in Puff.» Ich frage ihn, warum die Rumäninnen im Puff arbeiten. Er sagt: «Geld! Aber weisst du, fast immer ist ein Mann dahinter.» Er erklärt: Ein Mann sucht eine junge Frau, sagt ihr, er liebe sie. Nach einer Weile sagt er, sie solle für ihn anschaffen. Sie will nicht. Er manipuliert sie, bis sie es tut. Der Mann hat zwei oder drei Frauen, ein gutes Leben. Viele Frauen sind eben nicht so clever, meint der Taxifahrer und lacht.

In der Schweiz erzählen mir viele Rumäninnen von ihrem Freund, für den sie anschaffen. Saskia (28) hat nach zehn Jahren gemerkt, dass sie ausgebeutet wird. Über diesen als Freund getarnten Zuhälter sagt sie heute: «Er hat mein Leben zerstört. Ohne ihn hätte ich diesen Job niemals gemacht.»

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Innerlich zerbrochen

Emma wird ebenfalls von ihrem Freund in die Prostitution geschickt: «Es ist das bisher grösste Opfer, das ich für ihn gebracht habe. Es war nicht mein eigener Wille, mich zu prostituieren.» Wie hoch der Preis ist, sagt sie ebenfalls: «In der ersten Zeit hier war ich so verletzt. Abends lag ich im Bett und wollte nicht, dass jemand sieht, dass ich zerbrochen bin. Also habe ich die einzelnen Stücke von mir eingesammelt und mich wieder zusammengesetzt.»

Auch Lucy wurde von einem Loverboy getäuscht. Sie sagt: «So viele Frauen, die ich in Bordellen überall in Europa traf, haben das Gleiche erlebt wie ich. Ich bin keine Ausnahme. Immer steckt ein Mann dahinter.»

Die Schwierigkeit, erklären mir Lucie und Saskia: Sie wollten ihre Ausbeutung lange nicht wahr­haben. «Wenn mich in den letzten zehn Jahren jemand gefragt hätte, ob ich das freiwillig mache, hätte ich bis zum letzten Tag gesagt: Sicher mache ich das freiwillig – keine Frau würde zugeben, dass sie für einen Mann anschafft!»

Prostitution im Ausland

Die Schweiz hat eines der liberalsten Prostitutionsgesetze weltweit. In Deutschland zeigt sich: Mit der Liberalisierung 1992 wuchs das Sexgewerbe enorm. Das Ziel, die Frauen zu stärken und zu schützen, wurde nicht erreicht. Stattdessen blüht der Menschenhandel.
Deshalb wird nun auf politischer Ebene über andere rechtliche Möglichkeiten diskutiert, um diese Frauen besser zu schützen. Darunter fällt auch das schwedische Modell. Dort werden Freier seit 20 Jahren bestraft, Prostituierte bleiben straffrei. Prostitution sei Gewalt an Frauen, sagen die Schweden. Deshalb müsse die Nachfrage eingedämmt werden. Frauen, die aussteigen wollen, erhalten Unterstützung. Auch Frankreich, Norwegen, Israel und Kanada verfahren heute so.

Die Schweiz hat eines der liberalsten Prostitutionsgesetze weltweit. In Deutschland zeigt sich: Mit der Liberalisierung 1992 wuchs das Sexgewerbe enorm. Das Ziel, die Frauen zu stärken und zu schützen, wurde nicht erreicht. Stattdessen blüht der Menschenhandel.
Deshalb wird nun auf politischer Ebene über andere rechtliche Möglichkeiten diskutiert, um diese Frauen besser zu schützen. Darunter fällt auch das schwedische Modell. Dort werden Freier seit 20 Jahren bestraft, Prostituierte bleiben straffrei. Prostitution sei Gewalt an Frauen, sagen die Schweden. Deshalb müsse die Nachfrage eingedämmt werden. Frauen, die aussteigen wollen, erhalten Unterstützung. Auch Frankreich, Norwegen, Israel und Kanada verfahren heute so.

Opfer können schwer identifiziert werden

Anna betreibt in der Schweiz ein Bordell. Sie profitiert von der Prostitution, ist aber nicht wie viele andere blind gegenüber der Situation der Prostituierten. Tausende Frauen hat sie kommen und gehen sehen in ihrem Puff. «Hinter fast jeder Frau steht heute ein Mann, der profitiert», sagt sie. Sei es ein Freund, ein Zuhälter oder ein Clan. Die Frauen sagten das meist nicht einmal ihr. Anna sagt: «Wenn ein Mann im Hintergrund Druck ausübt, was heute fast immer der Fall ist, dann fühlt sich das, was im Zimmer passiert, für die Frau wie eine Vergewaltigung an. Diese Frauen erleben also jeden Tag meh­rere Vergewaltigungen.»

Die Rumänin Monica Boseff, die in Bukarest ein Schutzhaus betreibt, erklärt, dass durch die Normalisierung der Prostitu­tion Folgendes passiert sei: «Wir haben nun Formen von Menschenhandel, die so gut getarnt sind, dass die Opfer nicht mehr als solche identifiziert werden können.»

Das Buch

Die Journalistin Aline Wüst recherchierte zwei Jahre lang im Rotlichtmilieu. Sie sprach mit rund 100 Frauen, die Geld mit Sex verdienen. Sie sass viele Abende im Puff, klickte sich durch Tausende von Sex-Annoncen, fror auf dem Strassenstrich, reiste mit einer Bulgarin in deren Heimatdorf, trieb Geld von einem Freier ein und schöppelte in Bukarest das Baby eines Menschenhändlers.

In ihrem Buch «Piff, Paff, Puff – Prostitution in der Schweiz» kommen neben Prostituierten auch Freier, eine Bordellbetreiberin, Polizisten, eine Gynäkologin und ein Psychiater zu Wort. Es ist im Echtzeit Verlag erschienen.

Vernissage: Freitag, 21. August, 20 Uhr, Kosmos, Zürich

Echtzeit

Die Journalistin Aline Wüst recherchierte zwei Jahre lang im Rotlichtmilieu. Sie sprach mit rund 100 Frauen, die Geld mit Sex verdienen. Sie sass viele Abende im Puff, klickte sich durch Tausende von Sex-Annoncen, fror auf dem Strassenstrich, reiste mit einer Bulgarin in deren Heimatdorf, trieb Geld von einem Freier ein und schöppelte in Bukarest das Baby eines Menschenhändlers.

In ihrem Buch «Piff, Paff, Puff – Prostitution in der Schweiz» kommen neben Prostituierten auch Freier, eine Bordellbetreiberin, Polizisten, eine Gynäkologin und ein Psychiater zu Wort. Es ist im Echtzeit Verlag erschienen.

Vernissage: Freitag, 21. August, 20 Uhr, Kosmos, Zürich


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