«Es waren erstens mehr Patienten betroffen, es wurden zweitens mehr Substanzen getestet, und drittens ist auch der Zeitraum der Medikamentenversuche länger», sagte die Studienleiterin in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» und dem «Bund» vom Montag. Bislang wurden maximal 1600 betroffene Patienten vermutet. «Doch es sind bestimmt mehr», sagte Meier.
Es seien Dutzende Substanzen getestet worden bis in die 1980er Jahre hinein. Für die Versuche verantwortlich war der damalige Direktor der Klinik, Roland Kuhn (1912-2005). Er soll zusammen mit seinem Oberarzt Patienten mit nicht zugelassenen Medikamenten behandelt haben. «Er trat 1980 als Klinikdirektor zurück, führte die Versuche jedoch auch nach seinem Rücktritt weiter», sagte Meier.
Nach kritischen Medienberichten hatten Kuhns Erben dem Kanton Thurgau den Nachlass vor drei Jahren übergeben, damit die Vorwürfe auf einer möglichst breiten Quellenlage geklärt werden können. Die Staatskanzlei teilte im vergangenen Dezember mit, der Kanton habe einen Forschungsauftrag vergeben, der die klinische Psychopharmaka-Forschung in der Klinik in Münsterlingen und die Verantwortlichkeit der vorgesetzten Behörden und der pharmazeutischen Industrie beleuchten soll.
Wie Meier im Interview ausführt, wurden die Medikamente, insbesondere Antidepressiva, nicht nur an stationären, sondern auch an ambulanten Patienten getestet. Demnach sei Psychiater Kuhn der Meinung gewesen, die «Wirkung von Antidepressiva lasse sich am besten im Alltag testen».
Meier geht davon aus, dass man auch ausserhalb der Klinik um die Versuche wusste, «zum Beispiel bei der kantonalen Gesundheitsdirektion - damals Sanitätsdepartement genannt - sowie bei der Aufsichtsbehörde der Klinik».
Bereits 2014 hatte die Beratungsstelle für Landesgeschichte (BLG) Zürich in einem Bericht zu Vorgängen im ehemaligen Heim St. Iddazell des Klosters Fischingen TG Hinweise aufgeführt, wonach die Psychiatrische Klinik Münsterlingen an Zöglingen aus Fischingen Versuche mit Medikamenten durchgeführt habe.
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